# taz.de -- Mord an Olof Palme vor 34 Jahren: Eine Lösung, die keine ist | |
> Die Ermittlungen zum Mord des früheren Regierungschefs haben ein Ende | |
> gefunden. Doch wer auf handfeste Beweise hoffte, wird enttäuscht. | |
Bild: Olof Joachim Palme wurde am 28. Februar 1986 nach einem Kinobesuch auf of… | |
TÄLLÄNG taz | 34 Jahre sind eine lange Zeit. 40 Prozent der jetzigen | |
schwedischen Bevölkerung waren 1986 noch gar nicht geboren. Und dass es | |
überhaupt noch eine Sonderkommission der Polizei gab, die sich mit der | |
Ermordung von Olof Palme beschäftigte, dürfte den meisten gänzlich | |
unbekannt gewesen sein. Doch am Mittwoch war das Interesse plötzlich wieder | |
da: Am Ende einer regelrechten Fiasko-Kette der polizeilichen Ermittlungen | |
sollte nun doch noch das Rätsel gelöst werden, wer Schwedens international | |
bekanntesten und angesehensten Politiker ermordet hatte. | |
Was im [1][Verlauf der zweistündigen digitalen Pressekonferenz des Leiters | |
der Palme-Ermittlungen] wuchs, war dann nicht die Spannung, sondern die | |
Ernüchterung. Die meisten ZuschauerInnen dürften sich gefragt haben: Was | |
hatte sich Oberstaatsanwalt Krister Petersson eigentlich dabei gedacht, als | |
er vor einigen Wochen mitteilte, man sei sich jetzt sicher, den Mörder | |
gefunden zu haben? Es gebe technische Beweise, mit denen er an die Tat | |
gebunden werden könne, hatte er damals bekanntgegeben. Musste das nicht die | |
Tatwaffe mit seinen Fingerabdrücken oder eine DNA-Spur sein? | |
Nein, Petersson präsentierte weder Beweise noch eine schlüssige | |
Indizienketten. Er präsentierte eine bloße Theorie, was sich an diesem | |
kalten Freitagabend, dem 28. Februar 1986, um 23.21 Uhr an der Kreuzung | |
Sveavägen/Tunnelgatan in Stockholms Innenstadt abgespielt haben könnte. | |
Nach mehreren JournalistInnenfragen räumte er auch selbst betreten ein: | |
„Mehr haben wir eben nicht. Und wir glauben auch nicht, dass man nach all | |
den Jahren noch mehr finden kann.“ | |
Unter Berücksichtigung aller anderen Spuren sei die Anklagebehörde | |
jedenfalls zur Überzeugung gelangt, dass der Mann, der mit einem Schuss | |
Olof Palme auf offener Straße getötet und dessen Ehefrau Lisbeth mit einem | |
zweiten verletzt habe, Stig Engström gewesen sei. An ihm „kommt man nicht | |
vorbei“, sei er doch unzweifelhaft in unmittelbarer Tatortnähe gewesen. | |
Sein Äußeres habe zumindest teilweise mit der Beschreibung mehrerer Zeugen | |
über den Mann übereingestimmt, der nach den Schüssen vom Mordplatz | |
weggerannt sei. | |
## Ein eiskalter Spieler | |
Sollte Engström wirklich der Täter sein, müsste der 52-jährige | |
Versicherungsangestellte ein eiskalter Spieler gewesen sein. Stunden nach | |
der Tat meldete er sich am Samstagmittag bei der Polizei: Er habe da eine | |
Täterbeschreibung im Radio gehört, die auf ihn zutreffe. Weil er es aber | |
nicht gewesen sei, solle die Polizei das mal schleunigst korrigieren, sonst | |
gehe die Fahndung ja in die völlig falsche Richtung. Mit der gleichen | |
Geschichte meldete Engström sich anschließend bei der Tageszeitung Svenska | |
Dagbladet, die in ihrer Sonntagsausgabe einen Text plus Foto | |
veröffentlichte und ihn als wichtigen Tatzeugen präsentierte, der zwei | |
Minuten nach den Schüssen vor Ort gewesen sei. | |
Ein paar Wochen später demonstrierte Engström für den Fernsehsender SVT | |
eine Rekonstruktion der Situation in der Mordnacht. Er beschwert sich über | |
die Polizei, die seine Aussagen nicht ernst nehme und rennt dann im Outfit, | |
das dem in dieser Nacht entsprach – halblanger dunkler Mantel, | |
Schiebermütze und am Handgelenk ein Handtäschchen – den Sveavägen entlang. | |
Exponiert sich ein Täter wirklich derart? Obwohl er damit doch höchste | |
Gefahr läuft, dass bei Tatortzeugen die Überzeugung wachsen könnte: „Ja, | |
der war es tatsächlich!“? | |
Psychologen halten das für vorstellbar: Es gebe Täter, die diesen Kick | |
bräuchten oder eigentlich überführt werden wollten. Blieben die Fragen nach | |
Tatwaffe und Motiv, für die die Staatsanwaltschaft keinerlei Erklärung | |
lieferte. | |
Man könne natürlich nichts ausschließen, sagt der emeritierte | |
Kriminologieprofessor Leif GW Persson. Aber nach den Indizien, die die | |
Anklage präsentiert habe, solle das Szenario folgendermaßen aussehen, | |
erklärt der Kriminologe: „Engström kommt aus dem Büro auf die Straße, sie… | |
Palme, denkt „den erschieße ich jetzt mal“, er hat offenbar immer auch eine | |
Waffe so groß wie ein kleines Ferkel dabei, er erschießt Palme, rennt weg | |
und kehrt ein paar Minuten später ganz cool zum Tatort zurück.“ Wie | |
realistisch sei das? | |
## Engström wurde lange als Wichtigtuer abgetan | |
Obwohl eine Zeugin tatsächlich einen vom Tatort fliehenden Mann mit einer | |
auf Engström passenden Personenbeschreibung geschildert hatte – etwa 180 | |
groß, Schiebermütze, eine Männerhandtasche – kam Engström für die Polizei | |
nicht als Täter in Frage. Trotz oder wegen ständig wechselnder Aussagen | |
wurde er als Wichtigtuer abgetan, der die Ermittlungen nur störe. | |
Familienangehörige sowie Nachbarn in dem Villenvorort, in dem er 20 Jahre | |
lebte, halten seine Täterschaft für nicht vorstellbar. Er selbst kann nicht | |
mehr gefragt werden. Er wurde vor 20 Jahren tot im Bett gefunden, neben ihm | |
leere Whiskyflaschen und leere Packungen Schmerztabletten. | |
Der Staatsanwaltschaft gilt Engström als Einzeltäter. „Wir haben jedenfalls | |
nichts gefunden, was auf eine Konspiration schließen lassen könnte“, betont | |
der Oberstaatsanwalt Petersson. Es ist der zweite Einzeltäter, den die | |
Anklagebehörde in den 34 Jahre langen Ermittlungen als Palme-Mörder | |
präsentiert. Mit dem ersten hatte sie wenig Glück. 1988 erhob sie Anklage | |
gegen den drogenabhängigen Kleinkriminellen Christer Pettersson. Lisbeth | |
Palme glaubte ihn bei einer strafprozessual fragwürdigen Gegenüberstellung | |
als Täter identifizieren zu können. In erster Instanz verurteilt, wurde er | |
1989 von der Berufungsinstanz gerade wegen Zweifeln an dieser | |
Identifizierung freigesprochen. Einen Wiederaufnahmeantrag gegen Pettersson | |
lehnte der Oberste Gerichtshof 1997 ab. | |
Von [2][den zahlreichen Theorien], die von Anfang an hinter dem Palme-Mord | |
gerade keinen Einzeltäter, sondern ein politisches Komplott vermuteten, | |
sind jetzt vor allem noch zwei übriggeblieben: Die Südafrika- und die | |
Polizei-Spur. | |
Die Südafrika-Spur verdächtigt den südafrikanischen Geheimdienst der Tat, | |
weil kein westlicher Staatschef die Apartheidpolitik so scharf kritisierte | |
wie Palme. Noch eine Woche vor seiner Ermordung hatte er sie mit Hitler und | |
dem Massenmord in den KZ's verglichen. Unter Palmes Regierungszeit stand | |
Schweden an der Spitze der Länder, die eine stetige Ausdehnung der | |
UN-Sanktionen gegen Südafrika forderten. Petersson griff die Spur am | |
Mittwoch auch selbst auf: Die Staatsanwaltschaft halte die für durchaus | |
interessant, aber diese Spur habe sich „nicht weiter konkretisieren“ | |
lassen. | |
## Die Dartscheibe im Parteibüro trug ein Foto Palmes | |
Für die Polizei-Spur, die von einer Anti-Palme-Konspiration innerhalb von | |
Polizei, Geheimdienst und Militär ausgeht, könnte es womöglich sogar | |
Verbindungen zu Engström geben. Als Mitglied eines Schützenvereins konnte | |
er mit Waffen umgehen und war in Täby Lokalpolitiker der konservativen | |
„Moderaten“. Einer Partei, in der der „Palme-Hass“, wie er seinerzeit in | |
den Medien genannt wurde, weit verbreitet war. Die Dartscheibe im lokalen | |
Parteibüro in Täby war mit einem Foto Palmes versehen: Ein Treffer auf die | |
Augen gab den höchsten Wert. | |
Das Bild Palmes als eines „Volksverräters“, der Schweden an die Sowjetunion | |
„verscherbeln“ wolle, war gerade in Militär- und Polizeikreisen weit | |
verbreitet. „Wir hatten eben ein Polizeikorps, das das Mordopfer | |
verabscheute und sich entsprechend anstrengte“, sagt der Jurist und Autor | |
Thomas Engström. Er spricht von einem „vollendeten Staatsstreich“. | |
Der Ex-Armeeangehörige Engström verkehrte regelmäßig in Kreisen hoher | |
Offiziere. Auch in solchen mit Verschwörungsabsichten? Aber würde eine | |
Konspiration sich ausgerechnet eines Mannes wie Engström bedienen? Und | |
welchen Zusammenhang gibt es möglicherweise mit der Tatsache, dass die | |
Skandia-Versicherung, bei der Engström arbeitete, die Zentrale der | |
schwedischen Sektion von „Stay Behind“ beherbergte – der geheimen | |
paramilitärischen Untergrundorganisation von CIA und NATO? 34 Jahre sind | |
vermutlich eine zu lange Zeit, um solche Fragen noch klären zu können. | |
Gegen einen Toten kann kein Prozess geführt werden. Weil für die | |
Staatsanwaltschaft nun die Täterschaft Engströms feststeht, gegen ihn aber | |
keine Anklage mehr erhoben werden kann, sind damit gleichzeitig alle | |
Ermittlungen im Mordfall Palme abgeschlossen. Kein Gericht wird sich je mit | |
dem Palme-Mord befassen. Am Ende steht damit eine „Lösung“, die eigentlich | |
keine ist und die vor allem die bestätigen wird, die von Anfang an | |
vermuteten, der oder die wahren Täter sollten überhaupt nicht gefunden | |
werden. „Besseres Futter für Konspirationstheoretiker kann es eigentlich | |
gar nicht geben“, sagt Leif GW Persson. | |
12 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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