# taz.de -- Übersterblichkeit in den Corona-Jahren: Lockdownfrei und Erfolg da… | |
> War Schwedens Weg, weitgehend auf Schutzmaßnahmen gegen Corona zu | |
> verzichten, der bessere? Eine Studie zur Übersterblichkeit in der EU legt | |
> das nahe. | |
Bild: Blieb offen, als der Rest der Welt im Lockdown war: Bar in Schwedens Haup… | |
STOCKHOLM taz | „Ich mag das Wort Revanche nicht“, antwortete Anders | |
Tegnell, ehemaliger Staatsepidemiologe der schwedischen Gesundheitsbehörde | |
Folkhälsomyndigheten am Sonntag auf eine entsprechende Frage in einem | |
Interview mit der Tageszeitung Svenska Dagbladet: „Wir haben nur unseren | |
Job gemacht. Aber ich glaube, wir können alle recht zufrieden sein, dass | |
wir einen guten Job gemacht haben.“ | |
Anlass für das Interview mit dem 67-jährigen Spezialisten für | |
Infektionskrankheiten, der federführend die Strategie des Landes beim | |
Umgang mit der Coronapandemie bestimmt hatte und mit seinen damaligen | |
täglichen Pressekonferenzen so etwas wie Schwedens inoffizieller „Mister | |
Corona“ war, sind neue [1][Statistikzahlen], die das schwedische | |
Statistikamt SCB auf der Grundlage von Daten der EU-Statistikbehörde | |
Eurostat und des European Centre for Disease Prevention and Control | |
ermittelt und nun veröffentlicht hat. Deren hauptsächliches Resultat: | |
Schweden hatte in den „Coronajahren“ 2020–2022 die mit Abstand niedrigste | |
Übersterblichkeitsrate in der EU. | |
Verglichen mit den drei Vor-Corona-Jahren 2017–2019 lag die Todesrate in | |
Schweden bei einem Plus von 4,4 Prozent, in Norwegen mit der | |
zweitniedrigsten Rate bei 5, gefolgt von Dänemark und Luxemburg mit 5,4 | |
Prozent. Für Deutschland und Finnland wurden mit 8,6 und 8,7 Prozent schon | |
deutlich höhere Werte ermittelt, Spanien und Portugal kamen auf 11,3 | |
Prozent, am höchsten lag die Rate in Polen (17,7), der Slowakei (18,7) und | |
Bulgarien (19,8 Prozent). | |
Die Rate der Übersterblichkeit gilt vielen WissenschaftlerInnen als | |
besserer Vergleichsmaßstab über die Entwicklung und das Ausmaß der | |
Coronapandemie in verschiedenen Ländern und der Zahl von dort jeweils an | |
Corona verstorbenen Menschen. Sie habe nämlich den Vorteil, unabhängig von | |
dem in den einzelnen Ländern [2][höchst unterschiedlichen | |
Erhebungsverfahren] der Behörden zu sein. So wurden je nach Land und | |
Todesumstand Todesfälle höchst unterschiedlich einer Covid-19-Erkrankung | |
zugeordnet oder eben nicht. | |
## Die andere Strategie: „Freiheit in Selbstverantwortung“ | |
Die Übersterblichkeitsrate habe deutliche Vorteile, sei aber auch ein recht | |
grober Maßstab, sagt Tegnell und habe ihre Schwächen: Beispielsweise werde | |
die Altersstruktur einer Gesellschaft und die Bevölkerungsentwicklung nicht | |
berücksichtigt. Außerdem sei die Frage, wie viele Coronatote ein Land zu | |
beklagen habe, nicht die ganze Antwort, welche Folgen die Pandemie gehabt | |
habe. Aber immerhin werde mit diesen neuen Vergleichszahlen klar, dass ein | |
großer Teil der internationalen Kritik an Schwedens Umgang mit der Pandemie | |
nicht gerechtfertigt gewesen sei. | |
Schweden verfolgte von Anfang an mit einem „Freiheit in | |
Selbstverantwortung“-Prinzip eine etwas [3][andere Strategie] als die | |
meisten europäischen Länder. Die Folkhälsomyndigheten, auf deren | |
Empfehlungen sich die Politik bei ihren Maßnahmen stützte, ging von einem | |
ganzheitlichen und nicht isoliert auf die bloße Epidemiebekämpfung | |
gerichteten Gesundheitsbegriff aus. Wegen der gesellschaftlichen | |
Auswirkungen verzichtete man deshalb beispielsweise auf Lockdowns und | |
Schulschließungen. | |
Der Infektion sollte mit gezielten Maßnahmen begegnet werden, von denen man | |
sicher sein konnte, dass sie funktionieren. Einschränkungen des | |
gesellschaftlichen Lebens und der persönlichen Freiheit sollten die Ultima | |
Ratio sein. Was nicht zuletzt auch der Wirtschaft zugutekam. Für die Jahre | |
2020 und 2021 hatte Schweden den achthöchsten Zuwachs beim | |
Bruttoinlandsprodukt (BIP) aller 27 EU-Staaten. In Deutschland und im | |
EU-Schnitt rutschte das BIP ins Minus. | |
Auch wenn Schweden insgesamt gesehen also vergleichsweise gut durch die | |
Pandemie gekommen ist, will Tegnell von Schweden getroffene oder eben nicht | |
getroffene Schutzmaßnahmen nicht als Vorbild für andere Staaten bezeichnen. | |
Es gebe leider nach wie vor zu wenig aussagekräftige Forschung darüber, | |
welche Einzelmaßnahmen wirksam und welche relativ unwirksam und deshalb | |
verzichtbar gewesen seien. Schließlich könne man von Menschen nur Maßnahmen | |
verlangen, die diese dann auch wie bei Corona zwei Jahre durchhalten | |
könnten. | |
Als Beispiel nennt Tegnell den schwedischen Verzicht auf eine | |
Maskenpflicht, mit dem Schweden fast alleine stand. So sinnvoll Masken im | |
Gesundheitssektor seien, so wenig sei bislang nachgewiesen, dass ihr | |
Alltagsgebrauch durch die breite Bevölkerung auf die Ausbreitung der | |
Infektion überhaupt einen oder einen mehr als nur geringen Effekt gehabt | |
habe. Er fühle sich durch eine im Januar veröffentlichte [4][Studie des | |
Cochrane-Gesundheitsnetzwerks] bestätigt, die nahezu keinen Effekt des | |
Maskentragens auf das Infektionsrisiko ergeben habe: „Das haben wir ja die | |
ganze Zeit gesagt. Es ist nur tragisch, dass es so wenig Forschung dazu | |
gibt.“ Die Aussagekraft der Studie, die auch in Deutschland für Furore | |
sorgte, ist allerdings [5][umstritten]. | |
7 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www-europaportalen-se.translate.goog/2023/03/sverige-hade-lagsta-ov… | |
[2] /Uebersterblichkeit-in-der-Pandemie/!5901153 | |
[3] /Schwedens-Coronastrategie/!5814655 | |
[4] https://www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD006207.pub6/full | |
[5] https://www.tagesschau.de/faktenfinder/corona-studie-masken-101.html | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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