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# taz.de -- Briefe von Fritz Bauer: Der einsame Nazijäger
> Dokumente voller Verzweiflung und Hoffnung im Kampf gegen Altnazis: der
> Briefwechsel zwischen Staatsanwalt Fritz Bauer und Thomas Harlan.
Bild: Fritz Bauer am 11. April 1961.
Der Jurist Fritz Bauer (1903-1968) war lange nur einem Fachpublikum
bekannt. Das änderte sich in den letzten Jahren. 1995 – fünfzig Jahre nach
der Befreiung vom Nationalsozialismus – wurde das Fritz Bauer Institut
gegründet und zu seinem 100. Geburtstag gedachte das Jüdische Museum in
Frankfurt am Main Bauers mit einer Ausstellung.
Zwei Biografien von Irmtrud Wojak und Ronen Steinke folgten, die den Streit
um Bauers Erbe und einzelne Details in seinem Lebenslauf nicht klären
konnten. Lars Kraume drehte den preisgekrönten Film „Der Staat gegen Fritz
Bauer“, der gerade in den Kinos läuft.
Nun ist eine von Werner Renz annotierte, mustergültige Edition von Fritz
Bauers Briefen an Thomas Harlan unter dem Titel „Von Gott und der Welt
verlassen“ (so Bauer über sich selbst) erschienen. Der Titel trifft die
komplexe Persönlichkeit Bauers, der wenigen vertraute, mit wenigen
befreundet war und mit seiner Haushälterin ein einsames Privatleben führte.
Als er 1936 wegen seiner jüdischen Herkunft ins Exil musste, ging er eine
Scheinehe mit einer Dänin ein. Starke Indizien sprechen für Bauers
Homosexualität, aber er tat – aus guten Gründen im bigotten Adenauer-Staat
– alles, um dies zu verbergen. Bauer widmete sich ganz seiner Arbeit, ja
seiner rechtspolitischen Mission – dem Kampf gegen die nicht einmal
halbherzige juristische Aufklärung der Naziverbrechen, worauf sich die
grandiose Arbeit von Wojak konzentriert.
Die arbeitsteilig durchgeführten Massenmorde mussten den Tätern einzeln
nachgewiesen werden, was mangels Überlebenden, Zeugen und Akten schwer war.
Bauer empfand die höchstrichterlich verordnete „Atomisierung des
Gewaltgeschehens“ als „Korsett“ und seinem Ziel einer „neuen Pädagogik…
Menschlichkeit“ und des „sozialistischen Idealismus“ entgegengesetzt. Sei…
Hoffnungen setzte er auf die Generation junger Deutscher.
1960 lernte er in Thomas Harlan (1929–2010) einen solchen Deutschen kennen.
Thomas Harlan war der Sohn von Veit Harlan (1899–1964), der u. a. den
Nazifilm „Jud Süß“ (1940) gedreht hatte. Der Sohn distanzierte sich vom
Vater und begann eine private Jagd auf ehemalige Nazis in der BRD. Harlan
stellte 2.000 Strafanzeigen und recherchierte auf eigene Faust in
polnischen Archiven, bis er auf polnische Nazikollaborateure stieß und
prompt verhaftet wurde.
## „Verbundenheit und Anhänglichkeit“
Auf Intervention des italienischen Kommunisten Luigi Longo und des linken
Verlegers Giangiacomo Feltrinelli kam er frei. Nach Bauers Tod heiratete
Harlan 1969 Luisa Orioli di Lajano und wurde bekannt mit Dokumentarfilmen
über den Vietnamkrieg, den Putsch in Chile und die Revolution in Portugal.
Ein Film über die RAF und die Schleyer-Entführung von 1980 konnte erst 1984
gezeigt werden.
Bauers erster Brief an Harlan vom 1. April 1962 markiert den Beginn einer
rührenden Freundschaft. Mit „Verbundenheit und Anhänglichkeit“ bot er
Harlan seine Hilfe an im Kampf gegen Altnazis. Bauer gesteht dem 23 Jahre
jüngeren Harlan, dass er jemanden brauche, „bei dem ich mich über die
Trostlosigkeiten ‚ausweinen‘ kann“. Harlan lebte damals in Ascona, Bauer
besuchte ihn gelegentlich und schätzte dabei „viel herzliche Sozialität und
Solidarität“ sowie „seelsorgerische Ratschläge“.
Erst im Sommer 1965 zog ein vertrauliches „Du“ in die zarte Freundschaft
zwischen den beiden ein. Geprägt wurde die Freundschaft jedoch von einem
Gefälle. Bauer ist der Zuneigungsbedürftige, der an zahlreichen Wochenenden
Dutzende Male versuchte, Harlan zu erreichen, der sich verleugnete. Einmal
nur, als Bauer von Harlans Freundin erfährt, rutschte ihm ein Satz heraus,
der die tragische Einseitigkeit der Beziehung in Umrissen erkennen lässt:
Bauer schreibt ungeschützt, „meine platonischen Wünsche sind schal
angesichts der animalischen Wärme des Tessin“.
Bei einem gemeinsamen Urlaub in Tunesien holte sich Bauer einen
Sonnenbrand, den Harlan nach einem „afrikanischen Hausrezept“ mit dem
Einreiben frischer Tomaten behandelte, worauf Bauer gestanden haben soll,
dass es „das dritte Mal in seinem Leben“ sei, dass er „von einem Menschen
berührt“ werde. Der Briefwechsel ist ein anrührendes Dokument von
Freundschaft und Trostlosigkeit.
19 Nov 2015
## AUTOREN
Rudolf Walther
## TAGS
Fritz Bauer
Nazis
Juden
Junge Alternative (AfD)
Fritz Bauer
Fritz Bauer
Nazis
Fritz Bauer
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
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