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# taz.de -- Brexit und Pop: We're really, really fucked
> Viele britische Popmusiker lehnen den EU-Ausstieg ab. In Schottland sehen
> sich Musiker in ihrem Wunsch nach Unabhängigkeit bestätigt.
Bild: Der Musiker Skepta auf dem Glastonbury Festival
„Niemand hat je behauptet, dass die Mehrheit weiß, was sie tut“, schrieb
Smiths-Gitarrist Johnny Marr auf Twitter. Umso mehr müsse der Rest jetzt
zusammenhalten. „Angst und Hass haben gewonnen. Wir alle haben verloren“,
meinte der Techno-Produzent Surgeon. Ed Simons von den Chemical Brothers
gestand: „Ich kann das nicht verarbeiten.“ Die Abstimmung war knapp, aber
unter den britischen Popmusikern war das Ergebnis eindeutig: Sie lehnen den
Ausstieg aus der EU ab.
Europa hat einen festen Platz im Vokabular britischer Popmusik. Deutsche
Krautrock-Bands der 70er werden nirgendwo so verehrt wie im United Kingdom.
Die Rave-Generation hat auf Ibiza gefeiert. Berlin ist nicht nur Reiseziel
für den „Easyjetset“ britischer Partytouristen, sondern auch neue Heimat
vieler Techno- und Elektronikproduzenten. „ Dieser Morgen fühlt sich wie
der Beginn des Endes von Europa an“, [1][schreibt der Dub-Producer The Bug
auf Twitter], der in Berlin lebt. Im Moment lässt die
EU-Freizügigkeitsregelung dies noch problemlos zu.
Britische Popmusiker haben den Brexit fast einhellig abgelehnt. Für
Produzent Brian Eno (David Bowie, Roxy Music), der auch Mitglied von Yanis
Varoufakis’ DiEM25 ist, kann nur die EU ökologische und soziale Standards
garantieren. Gruff Rhys, der walisische Sänger der Super Furry Animals, hat
ein Liebeslied gegen den Brexit geschrieben: „I love EU.“ Genutzt hat es
nichts. Wales hat mehrheitlich für den Brexit gestimmt.
In Schottland sehen sich Musiker dagegen in ihren
Unabhängigkeitsbestrebungen bestätigt: „Ich bin Schotte und Europäer“,
[2][schrieb der Musiker Nick Currie alias Momus auf Facebook]. „Ich werde
mich nie wieder als ‚britisch‘ bezeichnen.“ Wie viele andere Musiker hatte
er 2014 die Unabhängigkeit Schottlands unterstützt.
## Generation Gap
Zwei prominente Musiker haben ihren Brexit-Wunsch jedoch erfüllt bekommen:
Roger Daltrey, der Sänger von The Who, und der kanadische Rocksänger Bryan
Adams, der in London wohnt. Sie verkörpern auch den „generation gap“, der
dem Votum für den Brexit zugrunde liegt: Daltrey ist 72 Jahre alt, Adams
57. Ihre Altersgruppe hat überwiegend für den Ausstieg gestimmt, während
die Stimmen der unter 50-Jährigen überwiegend im „Remain“-Lager waren.
„Well millennials. We’re really really fucked“, [3][fasste es die
31-jährige Sängerin Lily Allen auf Twitter zusammen].
In der Brexit-Abstimmung zeigt sich auch ein regionales Gefälle. Londoner
Stadtteile wie Hackney oder Lambeth, die seit Jahren von Musikern bewohnt
werden, stimmten für den Verbleib in der EU. In Sheffield in Nordengland,
das mit dem Plattenlabel Warp und der Glam-Pop-Band Pulp die britische
Popmusik der letzten drei Jahrzehnte mitgeprägt hat, entschieden sich die
Bewohner aber mehrheitlich für den Ausstieg. „Viele Musiker, die aus dem
Norden kommen und jetzt in London wohnen, wundern sich über ihre alte
Heimat“, erzählt der österreichische Musiker und Journalist Robert Rotifer.
Rotifer produziert eine Radiosendung mit britischer Musik für den
österreichischen Sender FM4, er betreibt ein Poplabel und spielt in
verschiedenen Bands. Ob er all dies nun weiter machen kann, weiß er nicht.
„Wahrscheinlich stehe ich vor der Wahl: Einbürgerung oder Auswanderung“,
sagt er. Seit 19 Jahren lebt er in England, seine Kinder sind dort
aufgewachsen. „Es wurde zwar gesagt, dass Nichtbriten wie ich weiter in
Großbritannien arbeiten sollen, aber viele Details, etwa meine
Krankenversicherung, sind noch unklar.“
Auch für Musiker mit britischer Staatsbürgerschaft wird die ökonomische
Lage wohl schwieriger werden. Die Musikindustrie hat 2015 im UK 4,1
Milliarden Pfund erwirtschaftet, die Hälfte davon mit Exporten. In der EU
beträgt der Marktanteil britischer Musik rund 17 Prozent. Nun drohen den
Plattenlabels Einfuhrzölle, was ihre Produkte auf dem EU-Markt verteuern
könnte, aber auch Auswirkungen auf das Plattengeschäft in Großbritannien
hat. Die größten Werke für Vinyl und CDs befinden sich auf dem Kontinent
und müssten die fertigen Tonträger nach vollzogenem Brexit offiziell
einführen.
Auch das Konzertgeschäft ist zweifach vom Brexit betroffen. Für britische
Musiker und DJs wird das Touren auf dem Kontinent schwieriger, obwohl es
für viele eine wichtige Einnahmequelle ist. Demnächst kommen zu den
üblichen Kosten für Fahrt und Verpflegung noch die Gebühren für ein Visum
hinzu. Bands vom Festland, die sich eine Fanbase in UK aufbauen möchten,
haben es ebenfalls schwerer, da britischen Konzertveranstaltern die
EU-Förderung gestrichen werden könnte. Und ob die Festivalfans weiter ins
Vereinigte Königreich strömen, ist unsicher. 2014 hat der Festivaltourismus
aus Europa 3,1 Milliarden Pfund ins Land gebracht.
Dieses Wochenende feiert sich die britische Musikszene beim
Glastonbury-Festival mal wieder selbst. Auch David Cameron hat das Festival
regelmäßig besucht. Willkommen dürfte er dort nicht mehr sein.
25 Jun 2016
## LINKS
[1] https://twitter.com/thebugzoo/status/746242720348311552
[2] https://www.facebook.com/nicholas.currie3?fref=ts
[3] https://twitter.com/lilyallen/status/746221722282557440
## AUTOREN
Christian Werthschulte
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