# taz.de -- Neues Album von Gruff Rhys: Fanfaren für einen Vulkan | |
> Der walisische Popstar Gruff Rhys hat sein neues Album „Seeking New Gods“ | |
> veröffentlicht. Darin geht es um einen Berg, Einsamkeit – und den Brexit. | |
Bild: Expeditionen müssen sein, und unterwegs kommt die Musik: Gruff Rhys beim… | |
Entwaffnender Humor und eine, wie er selbst sagt, „chronische | |
Schüchternheit“ – eine schwierige Kombination ist es, mit der der | |
walisische Musiker Gruff Rhys sich herumschlägt. Im taz-Interview bereitet | |
es dem ausgesprochen zugewandten 50-Jährigen sichtlich Mühe, ganze Sätze zu | |
bilden. Er spricht langsam, stockend, schließt die Augen, um sich zu | |
konzentrieren. Aber jede Mitteilung schließt er mit einem entspannten, | |
freundlichen Lächeln ab. Vielleicht eine besondere Form von Schüchternheit, | |
an der der ehemalige Sänger der Band Super Furry Animals leidet; sonderlich | |
ängstlich oder verschlossen wirkt er jedenfalls nicht. | |
Gruff Rhys hat es allerdings schon verstanden, seine | |
Kommunikationsschwierigkeiten durch charmante Tricks zu überlisten. Zum | |
Beispiel durch den Einsatz von sogenannten Cue Cards bei Konzerten – | |
Schildern mit Aufschriften wie „Applause!“, „Louder!“ und „Thank You!… | |
wurden zu Rhys’ Markenzeichen und fielen zunehmend überdrehter und absurder | |
aus: „Wild Abandon!“, „Burger Franchise Opportunity!“ oder aber: „Gen… | |
Festival Reaction!“ Ein anderer Trick ist es, sich Themen für Konzeptalben | |
auszudenken, um über diesen Umweg leichter Songs über sich selbst | |
komponieren zu können. | |
„Seeking New Gods“ heißt Gruff Rhys’ am Freitag (21. Mai) veröffentlich… | |
Werk, es dreht sich um den Vulkan Paektu im Grenzgebiet von China und | |
Nordkorea – ein Berg, der nach einer Überlieferung als Geburtsort des | |
koreanischen Volkes gilt und auch in der inoffiziellen koreanischen | |
Nationalhymne „Arirang“ besungen wird. Viel Stoff für ein Konzeptalbum | |
also, aber Gruff Rhys winkt lächelnd ab: Man werde beim Hören der Musik | |
nicht viel über diesen Berg erfahren – aber, so hofft er, man werde etwas | |
dabei fühlen. | |
Keine Sorge, es ist fast unmöglich, beim Hören dieser Musik teilnahmslos zu | |
bleiben. Rhys beginnt die äußerst gelungenen neun Songs mit drei | |
euphorischen Hymnen, die verdeutlichen, dass er in kompositorischer | |
Hinsicht alles andere als schüchtern ist. Melodieseliger Pop mit Klavier, | |
Streicherarrangements und Backgroundchören, leuchtend, schillernd, erhebend | |
– wie der Paektu bei Sonnenschein? | |
## Unterwegs nahmen die Songs ihren Anfang | |
„Für mich symbolisieren Vulkane Einsamkeit“, sagt Rhys. „Sie stehen für | |
sich, sind meist kein Teil von Gebirgsketten. Oft sind es Krater, sie haben | |
nicht mehr ihre ursprüngliche Gestalt.“ Wenn Rhys über sich selbst in | |
Gestalt eines Vulkans schreibt, klingt das zum Beispiel so: Im | |
Eröffnungsstück „Mausoleum of My Former Self“ reimt er: „A crater for t… | |
greater good / Smoking away as it should / Shrugging like it doesn’t care / | |
For a fanfare that elevates hair“. | |
Und Fanfaren, die die Haare zu Berge stehen lassen, hat Gruff Rhys drauf. | |
Dass seine Musik so mitreißt, liegt sicher auch daran, wie sie entstanden | |
ist: 2018 ging Rhys auf US-Tour, als ihm die Songs einfielen, besser | |
lavaartig aus ihm herausströmten. Er studierte sie mit seiner Band ein und | |
spielte sie live. | |
„Ich bekam Panik und dachte, ich muss dieses Album sofort aufnehmen, sonst | |
ist die Idee weg. Finale der Tour war in Los Angeles, und ich habe Freunde | |
gebeten, mir vor Ort ein Studio zu organisieren. Die Freude, diese Musik | |
aufzuführen, kommt auf dem Album durch. Und unsere Liebe zur Musik der | |
US-Westküste auch, zu den Songs von Gene Clark, dem Gitarristen der Byrds | |
und zu den Songs der Beach Boys.“ | |
Westküsten-Leichtigkeit und fernöstliche Naturmythologie also als Vehikel | |
für eher düstere Gedanken über das Leben, das Altern, die Welt überhaupt: | |
Die Figur des Vulkans, dessen Ausbruch Tod und Verderben bringt, und der | |
doch als Berg alles andere überdauert, bringt die Gegensätze von „Seeking | |
New Gods“ auf den Punkt: Schmerz und Vergänglichkeit in den Texten | |
(Gruff-Rhys-typisch in kuriose Bilder gepackt), zu einer Musik, die | |
teilweise überirdisch und lichtdurchflutet ist wie das Deckenfresko einer | |
Barockkirche. | |
Einen Blick ins Himmelreich sollte man von Gruff Rhys aber nicht erwarten. | |
„Ich bin Atheist, das Einzige, woran ich glaube, ist der Geist der | |
Lebenden. Und das einzige Vermächtnis, das man hinterlässt, sind Ideen.“ | |
## „Die düstere Zeit, in der wir leben“ | |
Nur zu gut in die Pandemie passt die Zeile „Fools will welcome plagues as | |
blessings“ aus dem Titelsong des Albums. „Bei,plague'“, sagt Rhys, „habe | |
ich an den extremen Nationalismus gedacht, der nach dem Brexit-Referendum | |
und der Wahl von Donald Trump aufkam. Das wäre auch am ehesten, worauf sich | |
der Titel „Seeking New Gods“ bezieht. Er umschreibt die düstere Zeit, in | |
der wir leben.“ | |
Da spricht Rhys auch als Waliser, der zwar aus den „Bergen“ stammt (höchste | |
Erhebung von Wales, der Snowdon, misst wenig mehr als 1.000 Meter), aber | |
heute in der walisischen Haupt- und Hafenstadt Cardiff lebt. Wales ist eine | |
der ärmsten Regionen Westeuropas, ein Großteil der Exporte von dort ging in | |
die EU, nicht nur die Fischerei leidet stark unter dem Brexit. | |
Gleichzeitig ist musikalisch und kulturell eine Menge los in Cymru (sprich | |
„Kimri“), wie die Waliser ihr Land nennen. Rhys selbst ist, als Sänger der | |
Super Furry Animals, eine der prominentesten Stimmen dessen, was in den | |
1990er Jahren, in Abgrenzung zu Cool Britannia, als Cool Cymru bezeichnet | |
wurde. | |
Gebeutelt vom Niedergang der Kohleindustrie, gab der Erfolg von walisischen | |
Popbands wie Manic Street Preachers, Gorky’s Zygotic Mynci und [1][Super | |
Furry Animals] den gut drei Millionen Einwohner*innen in der Region | |
neue Hoffnung und mehr Selbstbewusstsein. Als autonomer Triumph wurde es | |
gefeiert, als das Album „Mwng“ der Super Furry Animals, dessen zehn Songs | |
komplett auf Walisisch gesungen waren, Platz elf der britischen Albumcharts | |
erreichte. Und natürlich sind walisische Texte ein bewusstes Statement, die | |
Super Furry Animals hatten, wie viele andere Bands, ursprünglich in ihrer | |
Heimatsprache gesungen und nur ins Englische gewechselt, um mehr Leute | |
erreichen zu können. | |
Gruff Rhys als walisische Ikone zu bezeichnen, ohne die Vorsilbe „Pop-“, | |
ist keineswegs übertrieben. Trotzdem agiert er bis heute eher abseits | |
großer medialer Aufmerksamkeit, was einerseits erstaunlich ist, singt er | |
doch hauptsächlich auf Englisch. Seine Musik könnte zudem kaum freundlicher | |
und affirmativer sein. | |
## Chaotische Autobiografie | |
Andererseits ist die Gedankenwelt von Gruff Rhys doch ziemlich schräg und | |
nicht immer ganz so zugänglich. Das hat er gerade wieder mit seinem als | |
Autobiografie bezeichneten Buch „Resist Phony Encores!“ unterstrichen: | |
Besprechungen in der britischen Presse klingen durchweg so wohlmeinend wie | |
irritiert. Selbst die Wales Art Review schreibt von einer „chaotischen | |
Expedition, vollgestopft mit bizarren inhaltlichen Sprüngen“. | |
So ist sie wohl, die Welt des Gruff Rhys, der auf seinem neuen Soloalbum | |
„Seeking New Gods“ zwischen sich und einem koreanischen Vulkan hin- und | |
herspringt. Sympathisch ist, dass er das nicht aus einem erzwungenen Willen | |
zur Originalität tut: „Ich kann gar nicht anders, als Musik zu machen. | |
Besser als in einem Gespräch, kann ich mich ausdrücken, wenn ich Songs | |
komponiere. Da nehme ich mir Zeit, Ideen zu entwickeln und über die | |
Abstraktionen des Alterns und des Lebens überhaupt nachzudenken.“ | |
Ach ja, das Altern. Mit seinen 50 Jahren hat Gruff Rhys es bereits zu einem | |
enormen Vermächtnis gebracht, in dieser Hinsicht könnte er sich doch | |
zurücklehnen, oder? „Kultur ändert sich ständig. Ob die Art, wie ich | |
Popsongs schreibe, in der Zukunft noch relevant sein wird, lässt sich heute | |
nicht sagen. Jeder hat seine eigene Art, sein Leben zu dokumentieren. Zum | |
Beispiel durch Fotos. Oder dadurch, Heizungen in Häuser einzubauen, um sie | |
warm zu halten.“ Er lacht. Der Vergleich kommt aber nicht von ungefähr: | |
Gruff Rhys’ macht Musik, die Herzen warmhält. | |
22 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Britrocker-Super-Furry-Animals/!5164794 | |
## AUTOREN | |
Dirk Schneider | |
## TAGS | |
Musik | |
Pop | |
Wales | |
Vulkane | |
Pop | |
Pop | |
Popmusik | |
Großbritannien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Junge Musikszene von Wales: Popularitätsschub für Zungenbrecher | |
Pop aus Wales ist selbstbewusster und gefragter als früher. Die Musikszene | |
der britischen Region steht für die Autonomie des Landesteils. | |
Psychedelikband Vanishing Twin: Vollmond über London | |
„Ookii Gekkou“ heißt das neue Album der Psychedelikband Vanishing Twin. Es | |
mischt Polyrhythmen, seltsame Sounds und Latinbeats zu einem Mahlstrom. | |
Neues Album von Karen Peris: Wie sagt sie’s den Kindern | |
Die US-Sängerin Karen Peris klingt nach einem Menschen, der mit | |
aufrichtigem Erstaunen durch die Welt geht. Nun erscheint ein neues Album | |
von ihr. | |
Brexit und Pop: We're really, really fucked | |
Viele britische Popmusiker lehnen den EU-Ausstieg ab. In Schottland sehen | |
sich Musiker in ihrem Wunsch nach Unabhängigkeit bestätigt. | |
John Cales neues Album: „Ich wollte Dirigent werden“ | |
Der 70-Jährige Musiker John Cale über seine Tournee, Bratschen, HipHop, | |
Drogen und die Zeit mit Velvet Underground. | |
Britrocker Super Furry Animals: Rückkehr der Spinner | |
In England haben die Super Furry Animals ihre Fans, Popspinner stehen dort | |
unter Artenschutz. In Deutschland droht dagegen die Nische. |