# taz.de -- Botschafter der Ukraine in Deutschland: Leberwurst-Diplomatie | |
> Andrij Melnyk hat Olaf Scholz als beleidigte Leberwurst bezeichnet. Der | |
> Diplomat teilt aus, denn Krawall zieht immer – sogar in Kriegszeiten. | |
Bild: Haut gern mal rauf: Andrij Melnyk | |
Melnyk mal wieder. Diesmal hat der ukrainische Botschafter den | |
Bundeskanzler als „beleidigte Leberwurst“ tituliert, was aus seinem | |
Repertoire der Herabwürdigungen zwar längst nicht mehr als | |
Außerordentlichkeit heraussticht, ihm aber doch wieder eine ordentliche | |
Reichweite einbrachte. Die dpa verschickte das Zitat am Dienstag um 3 Uhr | |
morgens in einer eigenen Meldung an die Redaktionen des Landes. Auf Twitter | |
landete das Stichwort Leberwurst am Vormittag auf Platz 1 der Trend-Themen. | |
Die Wortmeldungen des [1][Andrij Melnyk] nutzen sich in der | |
Aufmerksamkeitsökonomie nicht ab, so vorhersehbar sie mittlerweile auch | |
sind. Zum Public Diplomathat er sich seit Beginn des [2][Krieges] | |
entwickelt, zum Botschafter mit dem vielleicht größten Bekanntheitsgrad in | |
der Geschichte der Bundesrepublik. Es ist der Bruch mit den Erwartungen, | |
der ihn als O-Ton-Geber so interessant macht. Krawall zieht immer. Krawall | |
von einem, der qua Amt doch eigentlich jeden Krawall großflächig umfahren | |
sollte, zieht umso mehr. | |
Die Reibungsenergie entsteht aber nicht allein dadurch, dass ein Diplomat | |
undiplomatisch auftritt. Hinzu kommt, dass Melnyks Posten doch eigentlich | |
große Sympathie zuteilwird. Beispielhaft abzulesen war das an den Standing | |
Ovations, die ihm der Bundestag bei seiner Sondersitzung am 27. Februar | |
beinahe geschlossen widmete. Ihm, dem Botschafter als Repräsentanten des | |
angegriffenen Staates. | |
## Künstler und Werk | |
Im krassen Gegensatz dazu steht die Antipathie, die sich gegen die Person | |
Melnyk richtet, weil er nicht wie erwartet dankbar zurückgrüßt, sondern | |
eben unentwegt austeilt. Weil sich die Person vom Posten ähnlich schwer | |
trennen lässt wie der Künstler vom Werk, entsteht unweigerlich eine | |
Dissonanz. Wie umgehen damit? In Fragen der Leberwurstigkeit des | |
Bundeskanzlers und ähnlichen Zusammenhängen könnte es mit einer gelassenen | |
Gleichgültigkeit funktionieren. | |
Es ist zwar fraglich, ob seine Polterei der ukrainischen Regierung dabei | |
hilft, ihre Ziele in Deutschland zu erreichen. Natürlich, sagen die einen: | |
Nur durch maximalen Druck sei die Bundesregierung zu echter Solidarität zu | |
bewegen. Zur Zusage schwerer Waffen hat sie sich dieser Lesart zufolge nur | |
durchgerungen, weil Melnyk im Zusammenspiel mit dem Trio | |
Hofreiter/Roth/Strack-Zimmermann so schön rücksichtslos auf die Pauke | |
haute. | |
Demgegenüber steht die naheliegende Vermutung, dass in der öffentlichen | |
Meinung die Antipathie gegen die Person auch auf ihr Anliegen übergreifen | |
könnte, vielleicht geschieht das sogar schon. | |
Gleichzeitig stützt er die Argumentation seiner Kontrahenten zuweilen eher, | |
als dass er sie widerlegt. Als die Bundesregierung noch der Meinung war, | |
keine schweren Waffen liefern zu können, weil unter anderem nicht genügend | |
Munition aufzutreiben sei, war noch von Ausflüchten die Rede. Seitdem sie | |
dann doch die Lieferung von Gepard-Panzern ankündigte, beklagt sich Melnyk | |
darüber, dass die Bundesregierung noch nicht genügend Munition aufgetrieben | |
habe. Konsistent ist das nun nicht gerade. | |
## Nationalhelden und Opfer | |
Aber gut: Für wie erfolgversprechend sie den Kurs ihres Botschafters hält, | |
muss die ukrainische Regierung entscheiden; in der deutschen Debatte über | |
die Unterstützung der Ukraine sollten andere Aspekte den Ausschlag geben | |
als die Manieren des Andrij Melnyk. | |
Schwieriger ist es mit der Gleichgültigkeit, wenn sich der Diplomat | |
geschichtspolitisch betätigt. Den ukrainischen Nationalisten Stephan | |
Bandera verklärt er, Kritik daran weist er brüsk zurück. „Weder die Russen | |
noch die Deutschen haben das Recht zu bestimmen, wen die Ukrainer als | |
Helden verehren“, schrieb er Anfang April zum Beispiel in Richtung des | |
Süddeutsche-Autors Heribert Prantl. „Lasst uns in Ruhe mit euren | |
Belehrungen.“ | |
Es ist eine Widerspruchsfreiheit, die Melnyk hier einfordert, vielfach | |
unterstützt von seinen deutschen Fans, die sich vor allem auf Twitter für | |
den Botschafter starkmachen: Sein Land werde angegriffen, da könne man ihn | |
mit solchen Feinheiten ja wohl nicht behelligen. Ein bisschen erinnert das | |
an die identitätspolitischen Diskurse der letzten Jahre, in denen es manche | |
von der Position des Sprechers abhängig machen wollen, welchen Wert sein | |
Argument hat. Die Definitionsmacht erhält in der extremsten Form allein, | |
wer Opfer ist; wer dagegen Privilegien genießt, möge die Klappe halten. | |
Nun ist Sensibilität für unterschiedliche Perspektiven sicher notwendig. | |
Melnyks Haltung wird ein wenig verständlicher, wenn man bedenkt, dass ein | |
verzerrt dargestellter ukrainischer Nationalismus vonseiten Russlands als | |
Begründung für den Krieg herangezogen wird und für sein Land akut | |
tatsächlich andere Fragen anstehen als die der Geschichtsschreibung des 20. | |
Jahrhunderts. In den deutschen Diskurs zu dem Thema hat sich der | |
Botschafter aber nun mal aktiv hineinbegeben. Disputische Immunität kann er | |
da für sich nicht in Anspruch nehmen. | |
Zumal er eine solche Widerspruchsfreiheit noch nicht mal im eigenen Land | |
genießen könnte. Eine homogene Haltung zu Bandera, die Melnyk suggeriert, | |
wenn er in der Frage von „uns“ und „euch“ twittert, gibt es auch in der | |
Ukraine nicht. Auch dort ist die Geschichtspolitik ein Aushandlungsprozess, | |
ohne Definitionsmacht für Einzelne. Und so muss man an dieser Stelle | |
vielleicht doch einmal ernsthaft versuchen, den Posten von der Person zu | |
trennen: Es ist nicht unbedingt die Ukraine, die durch ihren Botschafter | |
dazu aufruft, an einem vermeintlichen Nationalhelden nicht zu wackeln. Es | |
ist zunächst einmal nur Andrij Melnyk. | |
3 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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