# taz.de -- Bodo Ramelow über die AfD: „Sich nicht erpressen lassen“ | |
> In Nordhausen konnte ein AfD-Bürgermeister verhindert werden – dank | |
> Zivilgesellschaft, sagt Thüringens Ministerpräsident. Wagenknecht gibt er | |
> einen Rat. | |
Bild: „Faschistische Positionen sind zu einer Normalität geworden“, so Th�… | |
taz: Herr Ramelow, in Nordhausen ist es gelungen, die Wahl des sehr | |
aussichtsreichen AfD-Kandidaten zum Oberbürgermeister zu verhindern. Was | |
lässt sich daraus ableiten, wenn es darum geht, die AfD kleinzuhalten? | |
Bodo Ramelow: [1][In Nordhausen hat die Zivilgesellschaft sich aufgemacht], | |
alle anderen und damit eine Mehrheit zu mobilisieren. Es gab Menschen, die | |
vor Ort gewirbelt haben, mit Gottesdiensten, mit Veranstaltungen und mit | |
einer hohen Präsenz an den Haustüren und in der Nachbarschaft. Das hat dann | |
den Unterschied ausgemacht. Das Entscheidende ist, es musste vor Ort | |
geschehen. Es hilft nicht, von Erfurt oder von Berlin aus öffentlich | |
Ratschläge zu geben, die werden dann vor Ort oft nicht als Rat, sondern nur | |
als Schläge wahrgenommen. | |
Es war also richtig, auf eine Wahlempfehlung für den demokratischen | |
Gegenkandidaten zu verzichten? | |
Ja. Dass wir es in Sonneberg getan haben, hat letztlich nur auf die Legende | |
eingezahlt: alle gegen einen. | |
Dort stellt die AfD nun den Landrat. In Thüringen ist sie in Umfragen | |
stärkste Kraft. Was läuft schief? | |
Nicht nur rechtspopulistische, auch faschistische Positionen sind in | |
Deutschland mittlerweile zu einer Normalität geworden. Ein [2][Friedrich | |
Merz von der CDU redet nicht ernsthaft über die Gesundheitsversorgung im | |
Land], sondern betreibt mit seinen Äußerungen zu Asylbewerbern, die | |
deutschen Bürgern die Zahnarzttermine wegnehmen würden, lieber das Geschäft | |
der AfD. Ich kann mir vorstellen, wie die sich auf die Schenkel gehauen | |
haben. Die AfD ist in Thüringen eine offen faschistisch agierende Partei. | |
Sie bedient ausländerfeindliche Ressentiments, die es auch schon zu | |
DDR-Zeiten gab, die aber nie so massiv und offen zutage getreten ist. Das | |
heißt aber nicht, dass wir uns deshalb in Hilflosigkeit ergeben sollten. | |
Wir müssen diese Herausforderung annehmen. | |
Wie groß ist die Herausforderung, wie mächtig ist die AfD mittlerweile in | |
Thüringen? | |
Sie ist eine relevante Größe. Die AfD spielt mit den formalen Elementen | |
unserer Verfassung. Es liegt an uns, sich als demokratische Mehrheit nicht | |
erpressen zu lassen. | |
Was meinen Sie konkret? | |
Es gibt ja immer wieder die Diskussion, warum ich 2020 dem AfD-Kandidaten | |
für das Amt des Vizepräsidenten im Landtag meine Stimme im Parlament | |
gegeben habe. Das war einfach eine Entscheidung gegen einen | |
Erpressungsversuch der AfD. Die hätten sonst keinen Vertreter in den | |
Richterwahlausschuss geschickt. Ohne einen Vertreter aus jeder Fraktion ist | |
dieses wichtige Gremium aber nicht beschlussfähig, und in Thüringen hätten | |
keine Richter mehr ernannt werden können. Deshalb wundert mich auch nicht, | |
dass die AfD bei der nächsten Landtagswahl 33 Prozent der Mandate erreichen | |
will. Sie würde nicht regieren, könnte aber wichtige demokratische Prozesse | |
blockieren, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern. | |
Wo ist denn der Unterschied? Sie geben Ihre Stimme der AfD, damit Richter | |
ernannt werden können. Die CDU setzt auf die AfD-Stimmen, damit die | |
Grundsteuer sinkt. | |
Im ersten Fall hat die AfD alle anderen Parteien im Parlament erpresst. Bei | |
der Entscheidung über die Grunderwerbssteuer hat die CDU bewusst die | |
Stimmen der AfD in Kauf genommen, um ein Gesetz durchzubringen, das durch | |
finanzielle Ausfälle für den Landeshaushalt sogar schadet und trotzdem | |
jungen Familien nicht hilft. | |
Hat die CDU nicht Ihre rot-rot-grüne Koalition erpresst? Sie hätten statt | |
der AfD ja dem Gesetz der CDU zustimmen können. | |
Von der Zielsetzung der Familienförderung habe ich mich nicht erpresst | |
gefühlt. | |
Tatsächlich? | |
Ich bin seit über einem Jahr mit dem CDU-Fraktionschef Mario Voigt im | |
Gespräch und habe ihn gefragt, worum es ihm eigentlich gehe. Herr Voigt | |
sagte mir stets, das Ziel sei es, jungen Familien zu helfen. Dieses Ziel | |
teile ich, das hätten wir unterstützt, dann wären die AfD-Stimmen egal | |
gewesen. Nur gegen seinen Weg hatte ich Bedenken, denn erstens ändert der | |
Bund gerade die Regeln für die Grunderwerbssteuer. Und zweitens ist eine | |
solche Steuersenkung keine gezielte Familienförderung, sondern vor allem | |
eine Unterstützung der Immobilienwirtschaft. | |
Waren Sie da nicht zu arglos, was die Motive der CDU angeht? Es ging ihr ja | |
offenbar nicht in erster Linie darum, junge Familien zu fördern, sondern | |
eigene Anliegen auch gegen Rot-Rot-Grün durchzusetzen. | |
Um mit einer Minderheitsregierung zu Ergebnissen zu kommen, und so haben | |
wir es auch immer gehandhabt, redet man darüber, was man will. Wenn Herr | |
Voigt mir sagt, es geht um Familienförderung, dann mache ich mir Gedanken | |
darum, wie gute Familienförderung aussehen könnte. Ich gehe davon aus, dass | |
er achtsam und redlich mit mir umgeht. Oder glauben Sie, ich gehe davon | |
aus, dass ich belogen werde? | |
Die CDU stimmt gemeinsam mit AfD und FDP gegen die rot-rot-grüne | |
Minderheitsregierung: Gehen Sie davon aus, dass sich dieses Muster | |
wiederholt? | |
Noch baue ich darauf, dass Demokraten miteinander reden können. | |
Linken-Fraktionschef Steffen Dittes sieht einen Strategiewechsel der CDU, | |
die nun auch eine regierende Mehrheit mit AfD und FDP sucht. Und Matthias | |
Hey von der SPD sagt, was gerade in Thüringen passiere, sei die Ouvertüre | |
für ganz Deutschland. | |
Ich will dem nicht widersprechen. Matthias Hey war am Vorabend der | |
Abstimmung noch mit der CDU verabredet und Herr Voigt ist nicht erschienen. | |
Deshalb hat Matthias Hey am nächsten Tag im Landtag bitter beklagt, die CDU | |
würde lieber mit der AfD stimmen, als mit der SPD zu reden. | |
Muss die rot-rot-grüne Koalition sich nicht noch stärker um die CDU | |
bemühen? Es geht demnächst um die Verabschiedung des Haushalts. | |
Da bin ich als Ministerpräsident erst mal raus – der Haushalt ist das | |
Königsrecht des Parlaments. Und der Landtag hat das Ziel, den Haushalt im | |
Dezember abzustimmen. Da ist die CDU-Fraktion nicht weniger in der | |
Verantwortung als die Koalitionsfraktionen. | |
Aber falls das scheitert – wäre es dann an der Zeit, dass Sie die | |
Vertrauensfrage stellen und so den Weg für Neuwahlen freimachen? | |
Was habe ich damit erreicht? | |
Falls Sie verlieren und innerhalb von 70 Tagen kein:e Nachfolger:in | |
gewählt würde, dann gäbe es Neuwahlen. Und die Hoffnung auf klare | |
Verhältnisse. | |
Ich bin sehr für klare Verhältnisse. Die hätten wir schon haben können, | |
wenn die CDU 2021 wie zugesagt den Weg für Neuwahlen freigemacht hätte. Mir | |
wäre außerdem der Vorwurf erspart geblieben, dass ich am Sessel kleben | |
würde. In der Annahme, dass das Parlament keinen Haushalt hinbekommt, die | |
Vertrauensfrage zu stellen, würde die Situation aber um kein My besser | |
machen. Wir hätten immer noch keinen Haushalt und es könnten auch keine | |
Minister mehr berufen werden, ich wäre ab diesem Moment nur noch | |
geschäftsführender Ministerpräsident. Das hielte ich im Moment für | |
verantwortungslos. | |
Umfragen sehen Linke und CDU gerade gleichauf, die AfD vorn. Wäre eine | |
Koalition von Linken und CDU unter Führung einer überparteilichen | |
Ministerpräsident:in denkbar? | |
Über solche strategischen Fragen werde ich öffentlich keine Debatten | |
führen. | |
2009 waren sie schon einmal bereit, auf das Ministerpräsidentenamt zu | |
verzichten, für eine Koalition mit SPD und Grünen, beide damals weit hinter | |
der Linken. Wäre ein solches Szenario also wieder denkbar? | |
Ich war zu allem Möglichen bereit, immer bezogen auf ganz konkrete | |
Situationen, und das zeigt, dass ich flexibel im Denken und im Handeln bin. | |
Aber jetzt werde ich solche Diskussionen nicht führen. Wie die Wahl in | |
Thüringen tatsächlich ausgeht, werden wir im nächsten Jahr sehen. | |
Ihre Linken-Kollegin Sahra Wagenknecht will eine eigene Partei gründen. Was | |
denken Sie, wird diese Partei eher Wähler:innen von der AfD abwerben | |
oder gräbt sie der Linken das Wasser ab? | |
Ich bin es leid, über die Wagenknecht-Partei zu reden. Das ist eine | |
Phantom-Debatte. Ich mache mir eher Sorgen, dass der CDU-Rechtsaußen | |
Hans-Georg Maaßen, der eine antisozialistische Politikwende will, zusammen | |
mit den Bürgern für Thüringen und den Freien Wählern eine Listenverbindung | |
bildet, die offenbar der AfD 2024 zu einer Minderheitsregierung verhelfen | |
soll. | |
Aber das Phantom W. ist immer noch Linken-Mitglied. Deshalb die Frage: Wie | |
sehr wird eine Wagenknecht-Partei die Linke schwächen? | |
Ich habe bereits auf unserem Landesparteitag gesagt: Wenn Frau Wagenknecht | |
verhindern will, dass Björn Höcke in Thüringen an die Schalthebel der Macht | |
kommt, kann sie gerne mit mir zusammen kandidieren. | |
Sie beide als Spitzenkandidat:innen für die Linke in Thüringen? | |
Warum denn nicht, sie ist ja in Thüringen geboren und immer noch Mitglied | |
der Linkspartei. | |
Hat Sahra Wagenknecht darauf schon geantwortet? | |
Nein. Sie kommt ja auch nicht auf Parteitage, sondern organisiert lieber | |
Lesungen gegen Geld. Aber wenn Frau Wagenknecht eine Partei gründen will, | |
dann bitte jetzt, dann soll sie aufhören, der Linken in Thüringen die Beine | |
zu stellen. | |
1 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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