| # taz.de -- Biografie über Walter Ulbricht: Lenins gelehriger Schüler | |
| > Ilko-Sascha Kowalczuk legt den zweiten Teil seiner Ulbricht-Biografie vor | |
| > und zeichnet ihn als umtriebig und herrschaftstechnisch äußerst begabt. | |
| Bild: DDR-Staatratsvorsitzender Walter Ulbricht bei der verregneten Eröffnung … | |
| Walter Ulbricht hat legendäre Worte gesprochen. Allein sein „Niemand hat | |
| die Absicht, eine Mauer zu errichten“ ist ins kollektive Gedächtnis der | |
| Deutschen eingewandert. Sein zweiter berühmter Ausspruch – „Ich denke, | |
| Genossen, mit der Monotonie des yeah, yeah, yeah und wie das alles heißt, | |
| ja, sollte man doch Schluss machen“ – ließ ihn zur Witzfigur werden, zur | |
| negativen Popikone auf Kaffeetassen und T-Shirts. Mit beiden Sätzen hat | |
| Ulbricht es in die Populärkultur geschafft, auf deren Bildern eher selten | |
| „blutige Hände“ zu sehen sind, resümiert Ilko-Sascha Kowalczuk den Blick | |
| der Öffentlichkeit auf Ulbricht nach 1990. | |
| Der Berliner Historiker hat jetzt den zweiten Band [1][seiner | |
| Ulbricht-Biografie vorgelegt], und gleich zu Beginn diskutiert er einen | |
| weiteren berühmten Satz. Bereits im Mai 1945 soll, so Wolfgang Leonhard in | |
| seinem Weltbestseller „Die Revolution entläßt ihre Kinder“, Ulbricht über | |
| den Aufbau der Verwaltung gesagt haben: „Es ist doch ganz klar: Es muß | |
| demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ Kowalczuk | |
| stellt infrage, ob Ulbricht „demokratisch“ in diesem Sinne benutzt hat, | |
| weil das in der innerkommunistischen Sprachregelung eher nicht üblich | |
| gewesen sei. | |
| Das überzeugt nicht wirklich, zumal es weitere ähnliche Äußerungen von | |
| Ulbricht gibt. Aber selbst wenn Zweifel an der Authentizität des Zitats | |
| angebracht sein sollten – kaum ein Motto beschreibt das Vorgehen der | |
| Kommunisten in den Nachkriegsjahren besser. | |
| Als Ulbricht im Mai 1945 nach Berlin kommt, schafft er sich eine | |
| Sozialdemokratie nach seinem Bilde, eine, die mit der KPD | |
| „zusammenarbeitet“ – darauf hatte er schon 1944 gedrängt. Weil Kurt | |
| Schumacher und die SPD in den Westzonen das durchschauen, gelingt die | |
| Vereinigung von KPD und SPD nur in der Ostzone. War es eine | |
| Zwangsvereinigung? Kowalczuks Urteil ist klar: Die Gründung der SED | |
| bedeutet die Eliminierung der Sozialdemokratie im Osten und folgt der | |
| Einsicht der Kommunisten, nur einen Teil Deutschlands beherrschen zu | |
| können. Und die Erringung der Macht, darin [2][Lenins] gelehriger Schüler, | |
| ist für Ulbricht (und die Kommunisten) das oberste Gebot. | |
| ## Der Oberdrahtzieher | |
| Die Zeit bis zum Aufstand am 17. Juni 1953 nimmt im Buch viel Raum ein. Zu | |
| Recht, es sind die Jahre, in denen die Kommunisten ihre Macht weiter | |
| ausbauen und zugleich versuchen, es „demokratisch“ aussehen zu lassen. Ob | |
| bei der Gründung des FDGB oder der FDJ als Transmissionsriemen der Partei | |
| oder bei der Bildung eines Blocks antifaschistischer Parteien – überall | |
| will die SED das Sagen haben. Bei alldem ist Ulbricht, obwohl formal hinter | |
| Pieck und Grotewohl stehend, der „Oberdrahtzieher“ (Fritz Löwenthal) – a… | |
| beim Aufbau der Geheimdienste. | |
| So übersteht er auch den Aufstand vom 17. Juni 1953 trotz starker interner | |
| Kritik an seinem Führungsstil – er ist nicht zu ersetzen, und entschieden | |
| wird in Moskau. Er geht sogar gestärkt aus der Krise hervor und rechnet | |
| immer wieder mit Genossen ab, die von der Linie abweichen oder ihm | |
| gefährlich werden. Er gibt öffentlich die Parole aus, dass die DDR die | |
| Bundesrepublik in wenigen Jahren im Pro-Kopf-Verbrauch wichtiger Güter | |
| überholen werde, muss aber intern gegenüber Chruschtschow einräumen, dass | |
| der Osten dem Westen ökonomisch nicht gewachsen ist. | |
| Wiederholt bettelt er in Moskau um Vergünstigungen und Kredite für die DDR, | |
| um seinen Staat am Leben zu erhalten – und trommelt für den Bau der Mauer. | |
| Die macht ihn dann unsterblich, wie Kowalczuk erfrischend direkt schreibt. | |
| Ulbricht betätigt sich auch als Historiker, denn Geschichtsschreibung ist | |
| für ihn zuallererst Legitimationswissenschaft. Zentrale Instanz ist der | |
| Antifaschismus – Antifaschist zu sein bedeutet hier, „prokommunistisch, | |
| antisozialdemokratisch, antiwestlich, prosowjetisch, pro DDR zu sein“. | |
| ## Polizeistaatlicher Diktator | |
| Ist Ulbricht in den 50er Jahren der polizeistaatliche Diktator mit eiserner | |
| Hand, wird er in den 60er Jahren zum Diktator mit unbeschränkten | |
| Entscheidungsbefugnissen, dem es gelingt, „die Diktatur moderner aussehen | |
| zu lassen, mit mehr Partizipationsmöglichkeiten, geöffneten | |
| Karriereschleusen und einer höheren Alltagsattraktivität“. Da ist er auf | |
| dem Höhepunkt seiner Macht, erkennt aber nicht, dass sein politischer | |
| Ziehsohn Erich Honecker auf dem Nebenschauplatz der Kulturpolitik beginnt, | |
| an seinem Stuhl zu sägen. | |
| 1973, zwei Jahre nach seiner Entmachtung, stirbt Ulbricht. Sein Arzt | |
| schreibt später: „Da lag ein Mensch, der sich ein ganzes Leben hindurch | |
| abgeplagt hatte, der nun müde war und dennoch glaubte, sich nicht ausruhen | |
| zu dürfen.“ | |
| Kowalczuk zeichnet Ulbricht überaus plastisch als einen Politiker, der so | |
| umtriebig, machterprobt und herrschaftstechnisch begabt ist wie kaum ein | |
| anderer. Dabei kommt sowohl das Lächerliche wie auch das Brutale zum | |
| Vorschein – ohne dass der Autor ihn lächerlich macht oder dämonisiert. Er | |
| ist gefeit davor, Ulbricht näher zu kommen, als es die Quellen hergeben. | |
| Spekulieren ist nicht seine Sache. So wird diese Biografie zu einem | |
| Grundlagenwerk, eben auf der Grundlage der Quellen. | |
| 9 May 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Mahlke | |
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