# taz.de -- Biografie über Walter Ulbricht: Feldwebel der Revolution | |
> Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk hat eine Biografie Walter Ulbrichts | |
> vorgelegt. Sie ist zugleich auch eine Geschichte des Kommunismus. | |
Bild: Walter Ulbricht im Jahr 1958 | |
Es ist schon erstaunlich: Er hat SPD und KPD 1946 zwangsvereinigt, 1949 die | |
DDR gegründet, den [1][Aufstand am 17. Juni 1953] niederschlagen und | |
[2][1961 die Mauer bauen lassen]. Er stand mehr als 20 Jahre lang an der | |
Spitze des Staates, länger als Adenauer im anderen Teil Deutschlands. | |
Walter Ulbricht war der mächtigste deutsche Kommunist, doch eine Biografie, | |
die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, gab es bisher nicht. | |
Der [3][Berliner Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk], ein ausgewiesener | |
Kenner der DDR-Geschichte, hat jetzt eine solche vorgelegt. Monumentale | |
1.000 Seiten umfasst der erste Band, und da ist die Zeit der DDR noch nicht | |
mal erreicht. Band 2 soll im nächsten Jahr erscheinen. | |
Kowalczuk verspricht in der sehr lesenswerten Einleitung, dass er eine | |
Biografie konstruiert, die in ihrer jeweiligen Zeit bleibt und nicht mit | |
Wissen hantiert, das es zu dem Zeitpunkt nicht gab. Das ist keineswegs | |
trivial, denn gerade Ulbricht gehörte zu jenen historischen Figuren, denen | |
rückwirkend Dinge angedichtet wurden, weil man sie ihnen zutraute. Das | |
trifft besonders auf die Renegaten-Literatur zu, die – so Kowalczuk – fast | |
sakrosankt behandelt wurde, weil sie „Eintrittsbücher in die westliche | |
Welt“ waren. | |
## Politisiert durch August Bebel | |
Walter Ulbricht, 1893 in Leipzig in eine sozialdemokratische Familie | |
geboren, wendete sich wie viele andere schon früh der organisierten | |
Arbeiterbewegung zu. Sein politisches Leben begann nach eigener Aussage mit | |
einer Rede von August Bebel im Leipziger Krystallpalast 1907, da war er 13. | |
Drei Jahre später gehörte er schon zur Leitung der sozialdemokratischen | |
Arbeiterjugend in Alt-Leipzig, als Neunzehnjähriger – er war inzwischen | |
Tischlergeselle – wurde er Mitglied der SPD. | |
1915 wurde er als Soldat einberufen, während der Novemberrevolution 1918 | |
kehrte er nach Leipzig zurück. Deren Scheitern wurde zum wichtigsten | |
politischen Ereignis in Ulbrichts Leben. Er zog daraus die Lehre, dass auf | |
dem Weg zur Diktatur des Proletariats eine kommunistische Kaderpartei | |
unabdingbar sei. | |
Ulbrichts Talente lagen auf dem Gebiet der Organisation. Die | |
Bürokratisierung der Revolution, das heißt der Ausbau der Partei zu einem | |
Apparat, begünstigte seinen Aufstieg. Schon im Juni 1921 wurde er | |
politischer Sekretär und Chef der Bezirksleitung der KPD von | |
Groß-Thüringen, bezahlt allerdings von Moskau, die KPD-Kassen waren leer. | |
Es ist bekannt und doch immer aufs Neue verstörend, mit welcher Inbrunst | |
die Kommunisten die Sozialdemokraten attackierten. Sie erklärten sie früh | |
zu Hauptfeinden, ab 1924 gar zu Sozialfaschisten – und torpedierten so jede | |
Bemühung, eine Volksfront gegen die aufsteigenden Nationalsozialisten zu | |
bilden. | |
## Die Lehrmeister Lenin und Stalin | |
Ulbricht war immer dabei, wenn es galt, den Lehrmeistern Lenin und Stalin | |
zu folgen. Er war kein Theoretiker, sondern ein Praktiker der Revolution, | |
ein Feldwebel, der die „Kontrolle der Durchführung der Beschlüsse“ übern… | |
und jede Abweichung von der Generallinie verfolgte. Früh setzte er sich für | |
die Bolschewisierung der Partei ein, getreu den Vorgaben aus Moskau. Dort | |
hatte er im Sekretariat der Kommunistischen Internationale mit Ossip | |
Pjatnizki einen prominenten Förderer und Fürsprecher, was von unschätzbarem | |
Vorteil bei den Kämpfen innerhalb der KPD war. Und gekämpft wurde | |
permanent. | |
Nicht wenig Platz im Buch nehmen die ideologischen Auseinandersetzungen | |
innerhalb der KPD-Führung ein – die immer auch und zuallererst Machtkämpfe | |
waren, und wo alles und jeden trotzkistisch zu nennen üblich war und | |
lebensgefährlich werden konnte. Ulbricht wusste genau, wie es Opfern des | |
stalinistischen Terrors erging. Im Moskauer Exil wurde auch gegen ihn | |
ermittelt, er hatte es aber, so der Autor, zu einer Meisterschaft gebracht, | |
nicht unterzugehen: ein Kunststück in der kommunistischen Weltbewegung der | |
1920er und 1930er Jahre. | |
Immer wieder lassen sich Ulbricht und seine Genossen im Exil von | |
Wunschdenken leiten. Als Ulbricht verlangte, dass die Funktionäre in | |
Deutschland Streiks organisieren sollten, entgegnete ihm einer spontan: | |
„Walter, spinnst du?“ Nach der Niederlage in Stalingrad wurde gar der | |
Aufstand in Deutschland erwartet, die Reaktion von dort kam prompt: „Sitzen | |
die in Moskau auf dem Mond?“ | |
Zu Ulbrichts politischem Schaffen wertet Kowalczuk eine Unmenge von Quellen | |
aus – die Darstellung hatte sich der Autor selbst knapper und pointierter | |
vorgestellt, was dem Buch nicht geschadet hätte. | |
## Privat ein „liebevoller Vater“ | |
Und Ulbricht privat? Da ist wenig überliefert. Das Leben in der Illegalität | |
tat der ersten Ehe nicht gut, gleichwohl blieb er Martha Schmelinsky ein | |
Leben lang verbunden. Mit ihr wie auch mit Rosa Michel hatte er je eine | |
Tochter, denen er – wenn die Parteiarbeit es zuließ – ein zärtlicher, | |
liebevoller Vater gewesen sein soll. Seine große Liebe wurde Lotte Kühn, | |
spätere Ulbricht, die biblische 98 Jahre alt wurde (und bis zu ihrem | |
Lebensende im einstigen Villenquartier in Berlin-Pankow lebte). | |
Aus Briefen der beiden wissen wir, dass er „gerade“ sei, „und einfach, | |
klug, lustig und kräftig, und mit einem wundervollen Zartgefühl“ – und da… | |
er nicht gern aus freien Stücken früh aufstand. Diese „weiche Seite“ wuss… | |
Ulbricht in der Öffentlichkeit gut zu verstecken. | |
Er rauchte nicht und trank so gut wie nie Alkohol – und das, nachdem in den | |
Jahren der Sozialistengesetze Arbeiterbewegung und Wirtshaus eine Symbiose | |
eingegangen waren. Er trieb auch begeistert Sport, sein Leben lang. | |
Disziplin, Fleiß und Askese sollten sich auf seinem Weg zum | |
Berufsrevolutionär als äußerst nützlich erweisen. | |
Ein Jahr vor der Kapitulation des Hitlerregimes war Walter Ulbricht mit | |
grad 50 Jahren alleiniger Herrscher der KPD, natürlich von Moskaus Gnaden. | |
Warum Ulbricht? Ernst Thälmann war von den Nazis ermordet worden, Wilhelm | |
Florin soeben gestorben und Wilhelm Pieck zu alt und kränklich. Zwar war | |
Ulbricht ein Apparatschik, schreibt Kowalczuk, aber sein Arbeitseifer | |
allein hätte nicht gereicht. Ihn zeichneten eine hohe soziale Intelligenz | |
aus, ein breites Wissen sowie ein phänomenales Gedächtnis. | |
Rhetorisch nicht begnadet, stürzte er sich gleichwohl in Redeschlachten mit | |
dem politischen Gegner und ging keinen Debatten und Auseinandersetzungen | |
aus dem Weg. Geschmeidig folgte er der Linie Stalins, zugleich war er | |
robust und zäh – und als Berufsrevolutionär immer im Dienst. | |
17 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Mahlke | |
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