| # taz.de -- Bildungsprojekt gegen Antisemitismus: Bald am Ende | |
| > In Niedersachsen soll ein Projekt der Amadeu Antonio Stiftung gegen | |
| > Antisemitismus nicht weiter gefördert werden. Dabei ist die Nachfrage | |
| > groß. | |
| Bild: Coronademo im Mai in Hannover: Eine Frau trägt einen Davidstern mit der … | |
| Hannover taz | Gemeinsam mit drei Kolleg*innen gibt Johanna Thiemecke | |
| Seminare, die Pädagog*innen und Schüler*innen für Diskriminierung | |
| sensibilisieren und Betroffene empowern sollen. Thiemecke ist | |
| Bildungsreferentin bei der ju:an-Praxisstelle in Niedersachsen, die zur | |
| Amadeu Antonio Stiftung gehört. Die Nachfrage nach den Seminaren ist laut | |
| Thiemecke nach wie vor hoch. Dennoch droht der Praxisstelle, die 2015 | |
| geschaffen wurde, jetzt das Aus, weil das Geld fehlt. | |
| Schon im Winter 2019 stand das Ende bevor, weil die Finanzierung über ein | |
| Bundesförderprogramm auslief. Das Land Niedersachsen sprang kurzfristig | |
| ein. Ein Jahr unterstützte das Sozialministerium über die Richtlinie | |
| „Teilhabe und Zusammenhalt“das Projekt. Aber auch diese Förderung endet | |
| nun. | |
| „Wir verstehen Rassismus und Antisemitismus als strukturelles Problem“, | |
| erzählt Thiemecke über ihre Arbeit. Am Anfang jeder Fortbildung stehe die | |
| Definition von Rassimus und Antisemitismus. Alltägliche Beispiele würden | |
| durchgesprochen. „Nur wer antisemitische oder rassistische Handlungen | |
| erkennt, kann aktiv werden“, sagt Thiemecke. Gerade jüdische Menschen | |
| erzählten oft nicht mehr von ihrer Identität und hielten sich von Angeboten | |
| fern. „Es ist sehr wichtig, sensibel damit umzugehen und präventiv zu | |
| handeln.“ Die ju:an-Praxisstelle denke Rassismus und Antisemitismus immer | |
| zusammen. Die Mechanismen seien zwar verschieden, oft würden aber Rassismus | |
| und Antisemitismus gegeneinander ausgespielt. „Wir wollen dem etwas | |
| entgegensetzen“, sagt Thiemecke | |
| Viele Politiker*innen seien dem Projekt wohlgesonnen und hätten dem Team | |
| das Gefühl gegeben, dass das schon irgendwie werde. Konkret verantwortlich | |
| fühle sich aber niemand. „In Gesprächen mit dem Sozialministerium wurde uns | |
| signalisiert, dass wir unser Projekt ändern müssen.“ Dabei sei eine | |
| institutionelle Förderung vor einem Jahr in Aussicht gestellt worden. „Wir | |
| stehen wieder vor derselben ausweglosen Situation“, sagt Thiemecke | |
| Auf Anfrage der taz heißt es aus dem niedersächsischen Sozialministerium, | |
| dass Antisemitismus und Rassismus weiterhin zentrale Herausforderungen für | |
| unsere Gesellschaft seien. Projekte würden allerdings immer nur für | |
| begrenzte Zeit gefördert. | |
| „Das Sozialministerium würde die Arbeit der Praxisstelle gerne weiter | |
| unterstützen. Eine dauerhafte Förderung ist aber leider nicht zulässig“, | |
| schreibt Ministeriumssprecher Oliver Grimm. Bedingung für eine weitere | |
| Förderung sei die inhaltliche Konzeption eines Folgeprojekts. Die | |
| Verantwortlichen seien darüber informiert. Das Sozialministerium will laut | |
| Grimm bald weitere Beratungsgespräche mit allen Beteiligten führen. | |
| „Für Niedersachsen ist es kein gutes Zeichen, wenn die Praxisstelle | |
| aufgegeben wird“, sagt Rebecca Seidler, Vorsitzende der Liberalen Jüdischen | |
| Gemeinde Hannover und Antisemitismusbeauftragte des Landesverbandes der | |
| Israelitischen Kultusgemeinden von Niedersachsen. ju:an sei ein wichtiger | |
| Ansprechpartner im Kampf gegen Antisemitismus. Antisemitismus kenne keinen | |
| Lockdown und nehme immer wieder auch neue Formen an, sagt Seidler. „Umso | |
| wichtiger ist es, präventive und intervenierende Maßnahmen zu entwickeln. | |
| ju:an darf dabei nicht fehlen.“ | |
| 28 antisemitische Vorfälle wurden seit April von der Dokumentations- und | |
| Beratungsstelle für antisemitische Vorfälle in Hannover erfasst. Seit | |
| Oktober registriert die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus | |
| (RIAS) Niedersachsen zusätzlich Vorkommnisse im ganzen Bundesland. In den | |
| vergangenen acht Wochen waren es elf Vorfälle. | |
| Besonders verstörend seien laut Helge Regner von der Dokumentations- und | |
| Beratungssstelle in Hannover Hakenkreuze auf Pappschildern an einer | |
| Synagoge in Göttingen und die Beschimpfung von Journalist*innen als | |
| „Judenpresse“ durch extrem Rechte in Braunschweig. | |
| ## Antisemitismus auch auf Corona-Demos | |
| Für Regner steht fest, dass Antisemitismus keinesfalls ein Thema der | |
| Vergangenheit sei oder sich gar auf dem Rückzug befinde. „Vielmehr prägt er | |
| auch heute das Sicherheitsgefühl von Jüdinnen und Juden in Niedersachsen | |
| und ist für die Betroffenen alltagsprägend.“ Ebenso sieht er eine Gefahr | |
| durch vielfache und offen antisemitische Artikulationen auf sogenannten | |
| Coronademos. | |
| Seit April macht die Mischszene aus Verschwörungsideolog*innen, | |
| Impfgegner*innen und extrem rechten Coronaleugner*innen auch in Hannover | |
| mobil. Bereits bei den ersten Veranstaltungen waren | |
| geschichtsrevisionistische Inhalte allgegenwärtig. Am 9. Mai trug | |
| beispielsweise eine Teilnehmerin einen gelben Davidstern mit der Aufschrift | |
| „ungeimpft“. Ein Redner verglich im April Merkel mit Mengele. | |
| Journalist*innen dokumentierten unzählige weitere Fälle. | |
| Auch Johanna Thiemecke sieht die Entwicklung mit Schrecken und meint, | |
| gerade jetzt sei es wichtiger denn je, Aufklärungs- und Präventionsarbeit | |
| zu leisten. Jugendliche dürften dieser Ideologie nicht auf den Leim gehen | |
| und müssten sensibilisiert werden. Für das kommende Jahr gebe es bereits | |
| zahlreiche Anfragen. „Es fühlt sich einfach sehr schlimm an zu wissen, dass | |
| Lehrkräfte, Sozialarbeiterinnen, pädagogische Fachkräfte alleine gelassen | |
| werden und wir sagen müssen: Uns gibt es nächstes Jahr nicht mehr.“ | |
| 30 Nov 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Trammer | |
| ## TAGS | |
| Amadeu-Antonio-Stiftung | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Antisemitismus | |
| Niedersachsen | |
| Prävention | |
| Politische Bildung | |
| Braunschweig | |
| Antisemitismus | |
| Amadeu-Antonio-Stiftung | |
| Antisemitismus | |
| Amadeu-Antonio-Stiftung | |
| Antirassismus | |
| Antisemitismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Staatsanwaltschaft muss doch ermitteln: Kein Freibrief für Volksverhetzer | |
| „Judenpresse“ riefen im November in Braunschweig Rechtsextreme | |
| Journalist*innen zu. Die Generalstaatsanwaltschaft fordert nun | |
| Ermittlungen. | |
| Kampf gegen Antisemitismus: Viele Worte, oft keine Taten | |
| Wie wichtig es ist, Antisemitismus zu bekämpfen, betonen Niedersachsens | |
| Minister gern. Im konkreten Fall fällt eine Strafverfolgung aber oft aus. | |
| Gedenken an Amadeu Antonio: „Unseren Bruder nicht vergessen“ | |
| Vor 30 Jahren wurde Amadeu Antonio in Eberswalde Opfer rassistischer | |
| Gewalt. Sein Freund Augusto Jone Munjunga erinnert sich. | |
| Experte über Jusos und Fatah-Jugend: „Die Kooperation ist ja nicht neu“ | |
| Die Palästinensische Fatah-Jugend als Schwesterorganisation der Jusos: | |
| Islamwissenschaftler Christoph Dinkelaker erklärt, ob das problematisch | |
| ist. | |
| Die Wochenvorschau für Berlin: Erinnern an Amadeu Antonio | |
| Vor 30 Jahren starb Amadeu António Kiowa, totgeprügelt von Nazis, die | |
| unbehelligt von Polizisten agierten. In dieser Woche wird an ihn erinnert. | |
| Stiftung zu Maßnahmen gegen rechts: „Geld allein reicht nicht“ | |
| Die Amadeu Antonio Stiftung begrüßt die Maßnahmen der Bundesregierung gegen | |
| rechts. Doch ein zentrales Anliegen fehlt. | |
| Antisemitismus an Schulen: Stark gegen Stigma | |
| Die Coronakrise bedeutet für viele Jugendliche mehr Zeit vorm Computer. Auf | |
| Youtube grassieren antisemitische Erzählungen – wie wird aufgeklärt? |