# taz.de -- Bayers Glyphosat-Studien: Von wegen kein Krebsverdacht | |
> Bayer gehen die Argumente für eine bedenkenlose Nutzung des Pestizids | |
> Glyphosat aus. Bei einer wichtigen Studie zeigen sich Unstimmigkeiten. | |
Bild: Bayer macht mit Glyphosat jährlich Milliardenumsätze | |
LEVERKUSEN taz | Wieder wackelt ein Argument für die mutmaßliche | |
Ungefährlichkeit des Pestizids Glyphosat: Die wichtigste Studie der | |
Glyphosat-Befürworter widerlegt mehreren Wissenschaftlern zufolge nicht, | |
dass das Pestizid wahrscheinlich krebserregend ist. [1][Zudem zeigen | |
taz-Recherchen], dass Hersteller Bayer Teile der Untersuchung verschweigt, | |
die seiner These widersprechen. Damit bleibt kaum noch ein Argument des | |
Konzerns unangezweifelt. | |
Glyphosat ist der weltweit meistverkaufte Pestizidwirkstoff und ein Symbol | |
für die chemiegetriebene Landwirtschaft. Bayer macht damit jährlich | |
[2][Milliardenumsätze]. Die EU-Chemikalienbehörde [3][Echa] und | |
Zulassungsämter etwa in Nordamerika halten ihn zwar für ungefährlich. Aber | |
weil die als besonders industrieunabhängig geltende Krebsforschungsagentur | |
der Weltgesundheitsorganisation den Wirkstoff als „[4][wahrscheinlich | |
krebserregend]“ eingestuft hat, wird zum Beispiel in Deutschland darüber | |
diskutiert, glyphosathaltige Pestizide zu verbieten. | |
In den USA muss sich die Bayer-Tochterfirma Monsanto gegen mehr als 9.300 | |
Klagen wegen mutmaßlich durch das Ackergift verursachte Erkrankungen wie | |
die Krebsart Non-Hodgkin-Lymphom verteidigen – [5][und ist bereits in einem | |
Fall erstinstanzlich zu Schadenersatz in Millionenhöhe verurteilt worden]. | |
Bayer hat dagegen Berufung eingelegt und verteidigt sich öffentlich vor | |
allem mit einer Untersuchung: „In der größten jemals durchgeführten | |
epidemiologischen Studie, der im Jahr 2018 im Journal of the National | |
Cancer Institute veröffentlichten U.S. Agricultural Health Study, wurde | |
ebenfalls kein Zusammenhang zwischen der sachgerechten Anwendung von | |
glyphosatbasierten Herbiziden und dem Non-Hodgkin-Lymphom nachgewiesen“, | |
schreibt der Konzern auf seiner [6][Internetseite „Hier sind die Fakten“]. | |
## Bayer unterschlägt einen bedeutenden Satz | |
In seinem [7][Geschäftsbericht zum dritten Quartal] 2018 behauptet das | |
Unternehmen sogar, dass die Analyse keinen Zusammenhang mit „Krebs“ | |
allgemein festgestellt habe. Sie sei rund 50.000 Anwendern von | |
Pflanzenschutzmitteln sowie in der Landwirtschaft Beschäftigten und deren | |
Partnern mehr als 20 Jahre lang gefolgt. Gemeint ist die Auswertung der | |
Studiendaten von [8][Gabriella Andreotti und anderen] WissenschaftlerInnen. | |
Doch bei dem Umgang des Konzerns mit der Studie zeigen sich mehrere | |
Unstimmigkeiten. Eine davon: Die Probanden wurden im Rahmen der | |
Untersuchung gefragt, wann sie das Pestizid benutzt und ob sie Krebs | |
bekommen haben. „Der Bayer-Bericht scheint anzudeuten, dass Ehegatten in | |
die Analyse einbezogen worden sind“, schrieb Laura Freeman, Co-Autorin der | |
Studie, der taz. In Wirklichkeit „basiert die Publikation von 2018 zu | |
Glyphosat nur auf den Daten der Anwender.“ | |
Das ist eines der Details, die an der Glaubwürdigkeit Bayers kratzen. Noch | |
gravierender ist, dass der Konzern das Studienergebnis nur halb wiedergibt: | |
Zwar steht in dem Fachartikel tatsächlich, dass in der Studie keine | |
Verbindung zwischen Glyphosat und „jeglichen festen Tumoren oder | |
lymphatischen bösartigen Tumoren“ wie dem Non-Hodgkin-Lymphom ersichtlich | |
geworden sei. Doch Bayer unterschlägt diesen Satz der Forscher: „Allerdings | |
gab es einige Anzeichen für ein erhöhtes Risiko akuter myeloischer | |
Leukämie.“ | |
## Krebspatienten nicht als Glyphosat-Nutzer eingestuft | |
Der Konzern beharrte in einer Mail an die taz jedoch darauf, dass seine | |
Aussagen zu der Agricultural Health Study richtig seien. „Soweit es die | |
akute myeloische Leukämie betrifft, wird in der Studienpublikation | |
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich um statistisch nicht | |
signifikante Ergebnisse handelt“, schrieb Sprecher Utz Klages. Aber genauso | |
ausdrücklich raten die Autoren, ihre Ergebnisse in weiteren Studien zu | |
reproduzieren, denn das beobachtete Muster, dass das Leukämierisiko mit der | |
Exposition steigt, sei „besorgniserregend“. | |
Der Biostatistiker Christopher Portier sagt, dass die Andreotti-Studie | |
wegen „bedeutender Mängel“ auch nicht den Verdacht entkräften könne, dass | |
Glyphosat Non-Hodgkin-Lymphome verursacht. Portier war vor seiner | |
Pensionierung unter anderem Direktor der US-Behörde für giftige Substanzen | |
und das Seuchenregister (ATSDR). Jetzt arbeitet der Professor als Berater | |
einer Anwaltskanzlei, die gegen Monsanto klagt. | |
Die Forscher, kritisiert Portier, hätten manche Krebspatienten gar nicht | |
als Glyphosat-Nutzer eingestuft – obwohl diese das Pestizid benutzten. Das | |
lag daran, dass es 7 Jahre dauerte, bis alle Probanden befragt wurden. In | |
dieser Zeit – von 1999 bis 2005 – steigerte die Landwirtschaft in den USA | |
ihren Glyphosat-Verbrauch gewaltig. Allein von 2000 bis 2005 verdoppelte er | |
sich [9][Behördenangaben zufolge] fast. | |
## Studie habe „riesige Probleme“ | |
„Wenn also ein Farmer 1999 bei der Befragung angab, kein Glyphosat zu | |
benutzen, hat sich das bis 2005 mit einiger Wahrscheinlichkeit geändert. Er | |
wurde aber nicht noch einmal interviewt“, erläutert Portier. „Es reichen | |
schon wenige Personen, die inkorrekterweise nicht als Glyphosat-Nutzer | |
eingestuft wurden, um das geschätzte Krebsrisiko auf null zu senken.“ | |
Das sieht auch [10][Beate Ritz so,] die Epidemiologie-Professorin an der | |
Universität von Kalifornien in Los Angeles ist und ebenfalls als Expertin | |
für die Klageseite in Glyphosat-Prozessen tätig war. „Diese unglaublich | |
starken Veränderungen des Glyphosat-Einsatzes sind in der Grunderfassung | |
der Daten für die Agricultural Health Study nicht mit erfasst worden und | |
auch später nur teilweise.“ Die Studie habe „riesige Probleme“, | |
einzuschätzen, ob und wie stark die befragten Personen Glyphosat ausgesetzt | |
waren. | |
„Die von Prof. Portier und Prof. Ritz angemerkten Mängel bestehen | |
tatsächlich“, bestätigte Eberhard Greiser, Professor für Epidemiologie und | |
medizinische Statistik der Universität Bremen, der taz. Er ist nicht von | |
den Klägern gegen Bayer bezahlt worden. Der Konzern weist aber auch diesen | |
Einwand zurück. Die Autoren der Andreotti-Studie hätten „eine Reihe von | |
sogenannten Sensitivitätsanalysen durchgeführt“. Diese hätten keine | |
Verfälschungen des Ergebnisses nachgewiesen. Allerdings zeigt ein Blick in | |
die Publikation: Diese Analysen befassen sich gar nicht damit, dass | |
Patienten aufgrund veralteter Befragungsergebnisse fälschlicherweise als | |
Nicht-Glyphosat-Nutzer eingestuft wurden. | |
## Falsche Argumente | |
Portier, Ritz und Greiser argumentieren deshalb, diese einzelne Studie | |
könne nicht mehrere andere Untersuchungen widerlegen, die ein Krebsrisiko | |
durch Glyphosat belegen würden. Greiser sagt sogar: „In einer Broschüre zum | |
Thema unterschlägt Bayer sieben hervorragende Fall-Kontroll-Studien, die | |
insgesamt ein deutliches Risiko zeigen, durch Glyphosat an Lymphdrüsenkrebs | |
zu erkranken.“ Bei Fall-Kontroll-Studien würden Erkrankte auf alle | |
denkbaren Risikofaktoren für Lymphdrüsenkrebs befragt und dann mit | |
Nicht-Erkrankten verglichen. | |
Portier beruft sich außerdem auf Tierversuche, bei denen zwei Ratten- und | |
ein Mäusestamm Krebs entwickelt hätten, wenn sie mit Glyphosat gefüttert | |
wurden. Die US-Umweltbehörde EPA sowie die zuständigen EU-Fachämter würden | |
nur deshalb keine Gefahr sehen, weil sie sich nicht an ihre eigenen | |
Richtlinien gehalten hätten. „Die EPA etwa hat in den Tierversuchen nicht | |
alle relevanten erhöhten Krebsraten gefunden und hat mehrere | |
missinterpretiert“, so Portier. Die Behörden weisen das zurück, unter | |
anderem weil sie andere statistische Verfahren benutzen. | |
Auch weitere Argumente von Bayer haben sich bereits als falsch oder nicht | |
belegbar erwiesen. Nach Anfragen der taz von September und einem | |
entsprechenden [11][Artikel im November] zum Thema verzichtet das | |
Unternehmen bereits auf seine Behauptung, mehr als 800 wissenschaftliche | |
Studien würden belegen, dass das Glyphosat nicht krebserregend sei. In | |
Wirklichkeit gehen laut Bundesinstitut für Risikobewertung und Portier nur | |
rund 50 Analysen überhaupt auf diese Frage ein. Noch weniger zeigen, dass | |
der Verdacht gegen das Unkrautvernichtungsmittel unbegründet ist. | |
Nun behauptet der Konzern: [12][„Mehr als 800 wissenschaftliche Studien | |
sowie Aufsichtsbehörden weltweit haben bestätigt, dass Glyphosat sicher | |
ist.“] Doch die Zahl unterfüttert Bayer bislang nicht mit vollständigen | |
Quellenangaben, auch nicht auf explizite Anfrage der taz für diesen | |
Artikel. Dass wirklich 800 Studien Glyphosat als sicher einstufen, lässt | |
sich deshalb nicht belegen. | |
12 Dec 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Glyphosat-Studien-und-Krebs/!5542638 | |
[2] https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/pharma-und-agrarchemieko… | |
[3] https://echa.europa.eu/de/-/echa-s-opinion-on-classification-of-glyphosate-… | |
[4] http://monographs.iarc.fr/ENG/Monographs/vol112/mono112-10.pdf | |
[5] /US-Urteil-gegen-Monsanto/!5527277 | |
[6] https://www.hier-sind-die-fakten.de/de/stellungnahme-von-bayer-zu-behauptun… | |
[7] https://www.quartalsbericht-2018-q3.bayer.de/ | |
[8] https://academic.oup.com/jnci/article-abstract/110/5/509/4590280?redirected… | |
[9] https://enveurope.springeropen.com/articles/10.1186/s12302-016-0070-0 | |
[10] https://ph.ucla.edu/faculty/ritz | |
[11] /Glyphosat-Studien-und-Krebs/!5542638/ | |
[12] https://www.quartalsbericht-2018-q3.bayer.de/serviceseiten/suche.php?q=par… | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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