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# taz.de -- Berichterstattung über Glyphosat: taz zwingt Bayer in die Knie
> Der Chemiekonzern wollte der taz eine Titelseite zum Pestizid Glyphosat
> verbieten. Die taz klagte dagegen – jetzt zieht Bayer zurück.
Bild: Ausschnitt der taz-Titelseite vom 24.10.2018
Titelseiten der taz sind bekannt für ihren Humor. Am 24. Oktober 2018 zum
Beispiel druckte die Zeitung eine Persiflage auf Pharmaanzeigen. Vor einem
grellen rosa Hintergrund [1][prangte die Schlagzeile] „Das
Krebs-Rundumpaket“. Der Untertitel [2][pries eine Recherche] auf der Seite
3 an: „Der Bayer-Konzern vertreibt Glyphosat, ein Mittel, das wohl Krebs
verursacht. Er verkauft aber auch eines, das Krebs heilen soll“.
Daneben schwebte auf einer Wolke eine Sprühflasche mit dem
Glyphosat-haltigen Pestizid „Roundup“, flankiert von einem Sternsymbol mit
der Aufschrift „Super: macht Krebs“. Auf dem anderen Ende der Wolke flog
das Bayer-Medikament „Aliqopa“, das bei genau der Krebsart helfen soll, die
Wissenschaftler auch mit Glyphosat in Verbindung bringen. Hier stand
ebenfalls in einem Stern: „Super: heilt Krebs“.
Trotz des ganzen Rosa, des „Super: macht Krebs“ und der Wolke, die wolkige
Werbeversprechen symbolisiert, schien einer den Witz nicht zu verstehen:
Roundup-Hersteller Bayer. Der Chemiekonzern mit Sitz in Leverkusen
beauftragte den Medienrechtsanwalt Gernot Lehr, die taz abzumahnen.
Das „Super: macht Krebs“ stellte er in einem Schreiben vom 31. Oktober an
die Zeitung nicht als Satire dar, sondern als ernst gemeinte
Tatsachenbehauptung, dass Roundup Krebs verursache. Die sei aber nicht
einmal durch die von Pestizidgegnern häufig zitierte Krebsforschungsagentur
der Weltgesundheitsorganisation belegt, [3][die Glyphosat] nur als
„wahrscheinlich“ krebserregend eingestuft hat. Lehr zufolge reicht das
„wohl“ im Untertitel nicht, um das „macht Krebs“ in dem Stern zu
relativieren.
Deshalb verlangte der Bayer-Anwalt: Die Zeitung müsse sich verpflichten,
unter anderem nicht mehr über Roundup zu behaupten: „Super: macht Krebs“.
Das hätte bedeutet, dass die taz das Titelblatt nicht mehr verbreiten
dürfte. Es hätte zum Beispiel aus dem Archiv gelöscht werden müssen. Bayer
drohte der Zeitung mit einer Vertragsstrafe, falls sie diese Verpflichtung
verletzt. Außerdem hätte die taz Anwaltskosten von Bayer in Höhe von
einigen tausend Euro übernehmen müssen.
Es passiert immer wieder, dass Konzerne, eine Partei wie die AfD oder
Prominente versuchen, Journalisten mithilfe von Rechtsanwälten
einzuschüchtern. Schon vor Veröffentlichungen drohen die Juristen etwa in
sogenannten „presserechtlichen Informationsschreiben“ mit Klagen, falls die
Redaktion angeblich rechtswidrige Aussagen über ihre Mandanten publiziert.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zum Beispiel bekam nach eigenen Angaben
allein von einer Kanzlei zwischen Ende 2012 und Mitte 2016 mehrere Dutzend
solcher Schreiben. Ist ein den Mandanten nicht genehmer Beitrag bereits
erschienen, verschicken ihre Anwälte gern Abmahnungen, wie es nun Bayer
tat. „Diese Einschüchtereien finden ständig statt“, sagt taz-Anwalt
Johannes Eisenberg.
Das Tolle aus Sicht der Konzerne ist: Egal, ob sie in der Sache recht
haben, die Briefe können kritische Journalisten behindern. Denn diese
Anwaltsschreiben müssen nicht nur von den in der Regel zeitlich sehr
eingespannten Berichterstattern analysiert werden, sondern auch von den
Justiziaren und oft auch Chefredakteuren. Gerade kleine Redaktionen haben
keine Juristen und sind oft geneigt, sofort nachzugeben, um aufwendigen und
kostspieligen Ärger mit Big Business zu vermeiden. Deshalb berichten manche
dann lieber überhaupt nicht über das Thema oder ziehen kritisierte Beiträge
klaglos zurück.
## Gegen das Abmahnungswesen
Gegen die Drohbriefe kann eine Redaktion nicht viel tun. Der
Bundesgerichtshof hat vergangene Woche geurteilt, dass sie grundsätzlich
erlaubt sind. Gegen ungerechtfertigte Abmahnungen aber können sich Medien
wirksam zu Wehr setzen. Das zeigt der aktuelle Fall Bayer versus taz.
Die Zeitung verbreitet das Glyphosat-Titelblatt nämlich bis heute und
drehte den Spieß um: Anwalt Eisenberg reichte für die taz beim Landgericht
Berlin eine „negative Feststellungsklage“ gegen Bayer ein. Die Richter
sollten offiziell feststellen, dass die Zeitung die Titelseite verbreiten
und der Konzern nicht das Gegenteil verlangen darf. Dann müsste Bayer auch
die Kosten der Anwälte und des Gerichts tragen.
„Wenn wir bei der taz eine Abmahnung kriegen, wo wir einerseits meinen, der
Gegner ist es wert, andererseits meinen, die ist dreist, dann empfehle ich
das eigentlich immer“, sagt Eisenberg. Warum? „Weil man sie damit stellen
kann. Weil man denen das austreibt damit.“ So eine Abmahnung, die schreibe
sich ja schnell. Wenn diese Leute aber mit einer peinlichen und natürlich
öffentlichen Niederlage vor Gericht rechnen müssen, „dann sitzt ihnen das
Abmahnungswesen vielleicht nicht mehr ganz so locker“, erklärt der Anwalt.
Bayer ist ein Gegner, der es nach Meinung der taz wert ist. Es handelt sich
um den weltweit größten Hersteller von Pestiziden, die maßgeblich zum
Aussterben von Pflanzen- und Tierarten beitragen und oft gesundheitlich
umstritten sind. Dass Bayer die taz wegen des Glyphosattitels abgemahnt
hat, findet Eisenberg „ungewöhnlich dreist“. Denn namhafte Wissenschaftler
– immerhin auch eine Agentur der Weltgesundheitsorganisation – seien sehr
wohl der Meinung, dass das Pestizid wahrscheinlich Krebs verursacht. In den
USA sei die Bayer-Tochterfirma Monsanto sogar zu Schadenersatz in
Millionenhöhe verurteilt worden, weil nach Auffassung der Geschworenen
Roundup erheblich zur Krebserkrankung eines Mannes beigetragen habe.
Tausende weitere Klagen sind noch anhängig.
Außerdem sei die Bildmontage auf dem Titelblatt eine „Meinungsäußerung in
satirischer Form“. In seiner Klage gegen Bayer schrieb Eisenberg: „Die
Aussage ‚Super‘ ist eine Bewertung“ und „keine beweispflichtige
Tatsachenbehauptung“. Jeder Betrachter sehe den Untertitel mit dem „wohl“.
Die Klage sei begründet, weil Bayer „sich als Marktteilnehmer kritisch
betrachten lassen“ müsse und der Aussagekern der taz-Berichterstattung wahr
sei: dass Bayer Geld verdient sowohl mit einem Mittel, das laut mehreren
Experten wahrscheinlich Krebs verursacht, als auch mit einem, das Krebs
heilen soll.
## Aktienkurs eingebrochen, Management unter Druck
Nachdem Eisenberg diese Klage vorgelegt hatte, gab Bayer seine Versuche
plötzlich auf, die Titelseite der taz zu verbieten. „Unsere Mandantin
verpflichtet sich rechtsverbindlich, gerichtlich nicht gegen die von Ihrer
Mandantin als Satire eingeordnete Berichterstattung auf dem Titelblatt der
taz vom 24. 10. 2018 vorzugehen“, schrieb Mitte Januar Bayer-Anwalt Lehr an
Eisenberg.
In einem Brief an das Gericht erklärte Eisenberg den Rechtsstreit in der
Hauptsache damit für erledigt. „Die Kosten hat die Beklagte zu tragen. Sie
ist zu feige, um sich dem Verfahren zu stellen“, schrieb der Jurist. „Die
Beklagte wollte eine kritische Berichterstattung mit Drohungen unterbinden
und hat jetzt Sorge, daß diese Drohung ins Leere geht. Allein deshalb will
sie den Prozeß nicht. Sie kneift.“ Die taz nehme nichts zurück von dem, was
sie veröffentlicht hat. Und sie stelle auch nichts klar.
Außenstehende können nur spekulieren, warum Bayer die Eisenberg zufolge
völlig aussichtslose Abmahnung geschickt hatte. Fest steht nur: Sie
widerspricht den Beteuerungen des Konzerns, er werde stärker auf die
Öffentlichkeit zugehen als Monsanto vor der Übernahme durch Bayer. Zudem
ist das Management des Konzerns erheblich unter Druck geraten, weil der
Aktienkurs wegen der Klagen von mutmaßlichen Glyphosat-Opfern in den USA um
rund 40 Prozent eingebrochen ist. Jetzt wird sogar schon darüber
spekuliert, dass Finanzinvestoren das geschwächte Unternehmen zerschlagen
könnten.
(Achtung, jetzt kommt wieder Humor!)
Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Konzern den Bach runter geht, der von
der taz mit einer negativen Feststellungsklage in die Knie gezwungen wurde.
Ende 2016 zog die Fluggesellschaft Air Berlin ein Unterlassungsbegehren
zurück – und war wenige Monate später insolvent. Aber dieser zeitliche
Zusammenhang war natürlich Zufall …
25 Jan 2019
## LINKS
[1] https://goo.gl/images/RQYgci
[2] /Bayer-verkauft-Glyphosat-und-Krebsmittel/!5544261
[3] /Schwerpunkt-Glyphosat/!t5008469
## AUTOREN
Jost Maurin
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