# taz.de -- Ausstellung „Punk oder so ähnlich“: Als Wolfsburg wild war | |
> Der Wolfsburger Kunstverein zeigt Punk- und andere Subkultur-Fotos von | |
> Werner Walczak aus den 1980er-Jahren. | |
Bild: Punk in der Provinz: Straßenlaternenkletterer vorm Möbelladen „Grüne… | |
WOLFSBURG taz | Neue Deutsche Welle, Elektrosounds und Punk – um 1980 | |
entstanden neue Richtungen auch in der deutschen Popmusik. Sie schwappten | |
bis in die Provinz, wurden dort von einer juvenilen Subkultur begeistert | |
aufgenommen. Denn neben dem „Muff unter den Talaren“, dem eine | |
bildungsbürgerliche Elite ab 1968 den Kampf angesagt hatte, herrschte ja | |
noch weiterhin Muff, etwa in alltagsästhetischen und populärkulturellen | |
Sparten. Besonders vielleicht in einer Industriestadt wie Wolfsburg, wo | |
zwar niemand um eine auskömmliche Existenz zu bangen brauchte, aber eben | |
auch auf Gedeih und Verderb, in allen Belangen des täglichen Lebens, einem | |
Monopolisten ausgeliefert war. | |
In diesem psychologisch geistigen Nährboden ging also die Saat des Punk | |
auch in Wolfsburg auf. Eine lokale Spielart dieser Protest- und Musikkultur | |
fand sich um die Brüder Wolfgang und Max Müller, die mit ihren Gruppen | |
Honkas, später Die Tödliche Doris, auftraten, allerdings in so biederem | |
Ambiente wie dem Gemeindezentrum Fallersleben oder dem Antoniensaal im | |
Wolfsburger Schloss. | |
Dort hatte Klaus Hoffmann das Sagen, in Personalunion Leiter des | |
Kunstvereins und der Städtischen Galerie. Er unterstützte [1][die | |
Müller-Brüder], kaufte auch frühe künstlerische Arbeiten von Wolfgang | |
Müller an, etwa seine „Spickzettel“ in einer Vitrine. | |
Später, als alle längst in Berlin waren, publizierte man gemeinsam, etwa | |
das Kompendium „Geniale Dilletanten“ (das bewusst falsch wiedergegebene | |
Zitat eines frühen Flyers zu einem Festival). Eine Wanderausstellung | |
gleichen Namens zu Subkulturen der 1980er-Jahre tourte um 2015 rund um den | |
Globus, war auch im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen. | |
Die Wolfsburger Auftritte der Müllers waren kollektive Ereignisse, zum | |
Schluss machten wohl mehr Leute auf der Bühne mit als sich noch im Publikum | |
befanden. Oft dabei war Werner Walczak, Jahrgang 1963, der seine Kindheit | |
und Jugend in Wolfsburg verbrachte und mit der Kamera seiner Schwester die | |
Szene der Stadt dokumentierte. | |
Auch abseits der Konzerte fand er seine Motive, etwa ein Mädchen, | |
allerdings aus Hannover, mit weißer Ratte: Haustier und szenespezifisches | |
Symbol, was heutigen Jugendlichen wohl kaum mehr bekannt sein dürfte. | |
Aktionen in der damals gerade fertiggestellten Fußgängerzone Wolfsburg – | |
der ganze Stolz der Kommune – setzen Spontaneistisches in Kontrast zum | |
kommerziellen Biedersinn. | |
Rund 500 Fotografien, fast ausschließlich in Schwarz-Weiß, hat Walczak | |
damals gemacht, etwa 30 Abzüge werden nun erstmals, zu Themenblöcken | |
gegliedert, im Raum für Freunde des Kunstvereins Wolfsburg gezeigt. Die | |
Eröffnung muss ein Post-Szene-Treffen gewesen sein, denn viele der alten | |
Protagonist*innen hatten Wind vom Event bekommen. Im Januar gibt es eine | |
Fortsetzung, dann trifft sich Werner Walczak, seit langen Jahren ebenfalls | |
in Berlin ansässig, mit den Müller-Brüdern zum Gesprächsabend im | |
Kunstverein. | |
Kaum größer könnte der Kontrast dieser Bilder zur Hauptausstellung im | |
Kunstverein nicht sein, die sich mit Sphären der Verantwortung in Zeiten | |
digitaler, unendlich vernetzter Systeme beschäftigt, in denen persönliche | |
und moralische Rechenschaft zu erodieren scheint. Die Selbstoptimierung | |
ersetzt kollektive Bewegungen, ein Aufbegehren wie die No-future-Haltung | |
des Punk erscheint fast historisch, unvorstellbar. | |
Als Symbol heutiger Dominanzkultur lässt Stefan Hurtig ein Smartphone sich | |
auf einem Spiegelsockel drehen, ein allgegenwärtiges Gadget, das unentwegt | |
einschlägige Coaching-Parolen zu Glück, Moral und Gemeinsamkeit auf den | |
User einhämmert. Und ja: Wolfsburg ist vom Ministerium des Inneren, für Bau | |
und Heimat, zur Smart City auserkoren, der Kunstverein bleibt auch 2020 | |
thematisch am Ball. | |
29 Nov 2019 | |
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[1] /Spitzenreiter-Stadt-Wolfsburg/!5162951 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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