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# taz.de -- Spitzenreiter-Stadt Wolfsburg: "Da ist nichts gewachsen"
> Die Fußballer des VfL Wolfsburg sind auf Meisterschaftskurs, aber ihre
> Stadt kennt niemand. Ein Gespräch über Wolfsburg mit den Künstlern Max
> und Wolfgang Müller, die als Brüder in Wolfsburg aufgewachsen sind.
Bild: Max und Wolfgang Müller
taz: Herr Max Müller, Herr Wolfgang Müller, lassen Sie uns VW und den VfL
aus Wolfsburg rausrechnen. Was bleibt dann übrig?
Wolfgang Müller: Wolfsburg ist eine hochinteressante Stadt. Es ist neben
Salzgitter eine der beiden Nazi-Stadtgründungen.
Max Müller: Die Stadt kam aus dem Nichts, und das gibt es nicht oft. Es ist
eine Arbeiterstadt, die um das VW-Werk herum geplant wurde. Eine Altstadt
gibt es nicht.
Warum sind Sie von dort weggezogen?
Max Müller: Ich war 17 und wollte nicht zur Bundeswehr und sowieso nach
Berlin. Ich wollte in eine Stadt, in der jeder rumrennt, wie er will, und
sich niemand daran stört. Das gab's in Wolfsburg nicht. Ich war Punk und
das ist ein reiner Spießrutenlauf gewesen. Andererseits machte das auch
Spaß. Weil es da nichts gab, musste man alles selber machen. Wir haben dann
kleine Festivals organisiert. Ich konnte mich da gut verwirklichen.
Wolfgang Müller: Ich habe Mitte der 1970er eine Schwulengruppe in Wolfsburg
gegründet. Ganz politisch. Die einzigen, die uns einen Raum gegeben haben,
waren die Leute von der Arche, einer als linksradikal verschrieenen Kirche.
Es ist schon auffällig, dass es die Kirche war, die uns einen Raum gegeben
hat. Wie im Osten vor der Wende, wo es keine Struktur für alternative
politische Gruppen gab. Dann habe ich eine Theaterveranstaltung mit Musik
von Ton, Steine, Scherben gemacht, da kamen 400 Leute. Drei Tage später bin
ich nach Berlin gezogen, weil ich dachte: Mehr kann ich hier nicht machen.
Was denken Sie sich heute über die Möglichkeiten in Wolfsburg?
Wolfgang Müller: Die Stadt zwingt die Leute möglicherweise, sich über
Identität Gedanken zu machen. Weil dort keine Basis gegeben ist. In
Wolfsburg gibt es wenig gewachsene Strukturen und dann muss man sich die
Strukturen herholen. Wie das Kunstmuseum. Oder den VfL.
Was fällt Ihnen an Veränderung auf, wenn Sie heute nach Wolfsburg
zurückkehren?
Max Müller: Da stehen immer neue Sachen da und alte Sachen sind weg.
Wolfsburg hatte zum Beispiel unheimlich schöne Tankstellen. Die letzte
Tankstelle vor der Autobahn war so eine wunderbare 50er-Jahre-Tankstelle,
gebaut wie ein Nierentisch. Da kommt jetzt ein Burger King rein, habe ich
gehört.
Waren Sie schon im Stadion beim VfL?
Max Müller: Ja. Das war super. Die anderen Fans kamen aus Freiburg und
haben immer gleichzeitig so Wellenbewegungen gemacht. Das war eine tolle
Stimmung, da merkte man, dass was gewachsen ist. Bei den Wolfsburger Fans
merkt man, dass da nichts gewachsen ist. Die Wolfsburger gehen nur zu den
Spielen, solange der VfL gewinnt.
Wolfgang Müller: Das ist ähnlich wie beim Kunstmuseum. Das ist eines der
größten deutschen Museen für moderne Kunst und ist wie ein Ufo in der Stadt
gelandet. Das hat mit der Stadt nichts zu tun. Als die dort die große Nan
Goldin-Ausstellung gemacht haben, hatten sie nicht gemerkt, dass Goldin in
New York die meisten Fotos meiner Band "Die tödliche Doris" gemacht hat.
Trotzdem scheint die Erinnerung an Wolfsburg keine starken Emotionen wie
Liebe oder Hass bei Ihnen auszulösen.
Max Müller: Ja, die Leute aus München, Dortmund oder Bielefeld haben eine
größere Bindung zu ihrer Heimatstadt. Aber ich fand's immer schick aus
Wolfsburg zu kommen, weil keiner die Stadt kannte.
Wolfgang Müller: Es ist schwer, mit Wolfsburg Liebe oder Hass zu verbinden.
Ich will nicht sagen, dass ich der Stadt neutral gegenüber stehe. Aber es
ist schwierig. Ich bin ja ganz oft in Island gewesen: Reykjavík hat was von
Wolfsburg. Da ist kaum ein Haus älter als 100 Jahre.
15 May 2009
## AUTOREN
Klaus Irler
Klaus Irler
## TAGS
Kunstverein Wolfsburg
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