| # taz.de -- Ausschuss zu Wirecard-Skandal: Wenn der Staat an Märchen glaubt | |
| > Die Beweisaufnahme im Wirecard-Ausschuss erreicht ihren Höhepunkt, | |
| > niemand will von etwas gewusst haben. Der Ausschuss sieht das anders. | |
| Bild: Fahndungsfotos des früheren Wirecard-Finanzvorstands Jan Marsalek | |
| Berlin taz | Der Wirecard-Skandal war nicht einfach nur der größte | |
| Wirtschaftsbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Vorgänge um das | |
| bayerische Finanztechnik-Unternehmen haben die Schwächen der | |
| Aufsichtsmechanismen in Deutschland gnadenlos offengelegt. Den | |
| Wirecard-Managern ist es jedenfalls jahrelang gelungen, private und | |
| staatliche Kontrollorgane mit erstaunlich einfachen Mitteln auszutricksen. | |
| Dafür soll sich nun auch die politische Führung des Landes verantworten. Am | |
| Donnerstag muss [1][Finanzminister Olaf Scholz vor dem | |
| Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagen]. Einen Tag später folgt | |
| dann Kanzlerin Angela Merkel. Beide hatten ganz unterschiedliche | |
| Berührungspunkte mit Wirecard: Scholz oblag als Finanzminister die | |
| Oberaufsicht über die Finanzkontrolle. Merkel wiederum hatte sich von | |
| Lobbyisten beschwatzen lassen, in China für das Unternehmen einzutreten. | |
| Die Auftritte von Scholz und Merkel markieren den Höhepunkt eines | |
| Aufklärungsmarathons, den der Ausschuss seit dem vergangenen Oktober | |
| geschafft hat. Schon jetzt ist abzusehen, wie Merkel und Scholz | |
| argumentieren werden: An der Spitze ihrer Organisation haben sie sich nicht | |
| mit Einzelfällen befasst und waren auf die Zuarbeit ihrer Mitarbeiter | |
| angewiesen. Diese wiederum haben in den bisherigen Befragungen in den | |
| vergangenen Monaten [2][die Zuständigkeit immer woanders gesehen]. Ist also | |
| am Ende keiner schuld? | |
| Die neun Abgeordneten im Ausschuss sehen das anders. Sie haben die Rolle | |
| der Wirtschaftsprüfer, des Aufsichtsrats, der Bafin, der Banken, der | |
| Staatsanwaltschaft München, der Geldwäschebekämpfung, der Geheimdienste, | |
| des Finanzministeriums und anderer Akteure untersucht – und fast überall | |
| Schmutz und Versäumnisse gefunden. | |
| ## Die Wirecard-Anwälte tischen eine Story auf | |
| Bei den Vernehmungen sind enorme Schwächen in den Institutionen ans Licht | |
| gekommen. Die Beamten in den zuständigen Behörden haben sich zwar streng an | |
| ihre Zuständigkeiten gehalten, dabei aber das Gesamtbild ignoriert, dessen | |
| Wahrnehmung zusätzliche Arbeit gemacht hätte. Das gilt insbesondere für die | |
| [3][Finanzaufsicht Bafin, deren Chef Felix Hufeld dafür auch seinen Posten | |
| verloren hat]. | |
| Erschreckend viele der Staatsbediensteten haben außerdem mit Aktien des | |
| Unternehmens gehandelt, während der Skandal lief. Dazu gehören mehrere | |
| Mitarbeiter der Bafin oder der Chef der Wirtschaftsprüferaufsicht Apas, | |
| Ralf Bose, der ebenfalls inzwischen entlassen wurde. Nun zeigen alle mit | |
| dem Finger auf die jeweils anderen. Ein Verhalten, das der Abgeordnete Hans | |
| Michelbach von der CSU „Beamtenehre“ nennt, und die SPD-Abgeordnete Cansel | |
| Kiziltepe „Bewusstsein für Compliance-Regeln“. | |
| Zugleich waren die Verantwortlichen wie hypnotisiert von Wirecard und der | |
| Verheißung, die Firmenchef Markus Braun versprach. Wirecard war ein | |
| „Fintech“, ein Unternehmen zwischen der Technik- und der Finanzbranche. Ein | |
| Bereich, in dem Deutschland nicht so gut da steht. Wirecard war hier ein | |
| Heilsbringer: Deutschland kann auch Zukunft. Das glaubten alle gerne. Im | |
| Freistaat Bayern war die Politik besonders stolz auf das moderne | |
| DAX-Unternehmen. | |
| Als von den krummen Geschäften etwas ans Licht kam, drehten Anwälte eines | |
| Wirecard-Vorstands den Spieß um: Sie erzählten der Staatsanwaltschaft | |
| München, die Nachrichtenagentur Bloomberg versuche, das Unternehmen mit der | |
| Drohung schlechter Berichterstattung zu erpressen. Die Staatsanwaltschaft | |
| glaubte die Geschichte, informierte die Finanzaufsicht und ermittelte gegen | |
| die Journalisten. Das eigene, hochgelobte Technikunternehmen konnte nicht | |
| in Betrug verwickelt sein. | |
| ## Briefe von halbseidenen Geschäftsleuten | |
| Braun wandelte indessen wie ein Prediger durch die deutsche | |
| Wirtschaftswelt. Er erklärte die Herkunft der fantastischen Gewinne seines | |
| Konzerns mit immer neuen Kombinationen neumodischer, englischer | |
| Fachausdrücke. Wie in dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ mochte keiner | |
| zugeben, das Geschäftsmodell einfach nicht verstanden zu haben. Dabei hatte | |
| sich Wirecard schon früh darauf verlegt, seine Umsätze zu erfinden, statt | |
| sie durch echte Leistungen zu erwirtschaften. Die Geldquellen des Konzerns | |
| waren stattdessen immer höhere Kredite, die Braun angeblich zur | |
| Finanzierung der schnellen Expansion abrief. | |
| Wirecard gab vor, mit Partnerfirmen zusammenzuarbeiten, die | |
| Kreditkartenzahlungen technisch betreuen und dafür jeweils eine Gebühr | |
| kassieren. Von diesen Gebühren stand Wirecard angeblich ein Teil zu. Ein | |
| Großteil dieser Geschäfte existierte jedoch gar nicht. Die angeblichen | |
| Gewinne daraus lagerten vorgeblich auf Konten in Asien. | |
| Die Wirtschaftsprüfer, die den Jahresabschlüssen der Firmen eigentlich nach | |
| Kontrollen die Richtigkeit bescheinigen sollten, glaubten fehlerhaften | |
| Briefen von halbseidenen Geschäftsleuten, die die Existenz der Milliarden | |
| bescheinigen sollten. „Unbegreiflich“, nennt das der FDP-Finanzexperte | |
| Florian Toncar. Nun bleibt die Hoffnung, dass zumindest ein Teil der | |
| politischen Ebene zur Verantwortung gezogen werden kann. | |
| 22 Apr 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Finn Mayer-Kuckuk | |
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