| # taz.de -- Wirecard-Skandal als Doku-Thriller: Die verschwundenen Milliarden | |
| > RTL strahlt einen Film über den größten Finanzskandal der deutschen | |
| > Nachkriegsgeschichte aus – leider ohne den politischen Hintergrund. | |
| Bild: Jan Marsalek (Franz Hartwig, l.) und Markus Braun (Christoph Maria Herbst… | |
| Der Mann ist ein echter Kotzbrocken. Arrogant lässt Wirecard-Chef Markus | |
| Braun die Fragen der Journalistin Maria Sager an sich abperlen, um sie dann | |
| ungalant aus seinem Büro zu komplementieren. Die weiß längst, dass mit dem | |
| gefeierten Dax-Konzern etwas nicht stimmt. Ihre Recherchen stoßen offenbar | |
| auf Unmut, eines Abends sind ihre Autoreifen zerstochen. Glück gehabt, dass | |
| das Unternehmen ihr keinen Boxer vorbei geschickt hat. | |
| Mit einer exzellenten Besetzung – unter anderem Christoph Maria Herbst als | |
| Markus Braun und Nina Kunzendorf als Journalistin Maria Sager – zeichnet | |
| die für den Sender RTL hergestellte Ufa-Produktion „Der große Fake – die | |
| Wirecard-Story“ den [1][größten Finanzskandal der Bundesrepublik] nach. Der | |
| Doku-Thriller erzählt den Aufstieg und Zusammenbruch des Zahlungsabwicklers | |
| mit einer spannenden Mischung aus Interviews von Beobachter:innen und | |
| Beteiligten, Dokumentation und fiktionalen Szenen. „Wir hatten das Ziel, | |
| einen komplexen Stoff nahbar zu machen“, sagt RTL-Geschäftsführer Henning | |
| Tewes. Das ist gelungen. Die schier unglaubliche, aber wahre Geschichte | |
| wird hier auch für Leute gut nachvollziehbar, denen sie bislang einfach zu | |
| kompliziert schien – packend erzählt, informativ und trotz erläuternder | |
| Grafiken ohne Schulfernsehnanmutung. | |
| Großgeworden mit der Zahlungsabwicklung von Porno- und Glückspielgeschäften | |
| spielen Braun und sein Vorstandskollege Jan Marsalek (schön fies verkörpert | |
| von Franz Hartwig) schnell in der ersten Finanzliga mit – weshalb unter | |
| anderem der Deutsche Bank-Chef Christian Sewing zu Wort kommt. Dass es | |
| durchaus Hinweise auf die kriminellen Machenschaften der Manager gab, zeigt | |
| das Interview mit der Shortsellerin Fahmi Quadir, die schon früh Verdacht | |
| schöpfte. Shortseller leihen sich Aktien und verkaufen sie sofort zum | |
| aktuellen Kurs in der Hoffnung, die Papiere später zu einem niedrigeren | |
| Preis kaufen zu können – sie müssen sich also gut auskennen, wenn sie | |
| Gewinn machen wollen. | |
| Der deutschen Finanzaufsicht dagegen kam an Wircard nichts merkwürdig vor. | |
| Sie zeigte den Journalisten an, der auf Unregelmäßigkeiten aufmerksam | |
| machte. Nicht nur Banken und reiche Investoren haben durch den | |
| Zusammenbruch des betrügerischen Konzerns viel Geld verloren, sondern auch | |
| Kleinanleger. Darunter der Fahrer von Markus Braun. | |
| Wirecard ist über eine Sonderprüfung der Wirtschaftsprüfer KPMG zu Fall | |
| gekommen, nachdem die Prüfer von EY jahrelang dem Unternehmen saubere | |
| Bilanzen bescheinigt hatten. Der Film zeichnet nach, wie die KPMG-Leute | |
| mühsam an Unterlagen zu kommen versuchen und selbst auf die Philippinen | |
| fliegen, um 1,9 Milliarden Euro zu suchen – vergebens. Das Geld ist | |
| verschwunden, vielleicht hat es nie existiert. | |
| Für das Drehbuch hat rund ein Dutzend Journalist:innen vor allem von | |
| Titeln aus dem Bertelsmann-Verlag wie Capital und Stern weltweit | |
| recherchiert, Hintergrundgespräche und Interviews geführt. „Wir haben das | |
| Drehbuch ununterbrochen der journalistischen Recherche angepasst“, sagt | |
| Filmproduzent und Ufa-Geschäftsführer Nico Hofmann. „Wir haben viele Zeugen | |
| gehabt, die nicht bereit waren, sich zu zeigen.“ Die filmischen Szenen sind | |
| im Januar vor allem in Berlin gedreht worden – unter anderem im Bereich des | |
| Inlandsressorts im dritten Stock des taz-Hauses, das als Kulisse für Maria | |
| Sagers fiktive Münchener Redaktion diente. | |
| Der Film erzählt die Kerngeschichte des Skandal. Er geht nicht den | |
| zahlreichen Spekulationen nach, etwa ob Jan Marsalek russischer Agent war. | |
| Das ist gut. Schade ist, dass der Doku-Thriller die vielen politischen | |
| Verwicklungen nur andeutet. Schließlich ist inzwischen gut dokumentiert, | |
| [2][dass Wirecard über diverse Lobbyisten] wie Ole von Beust, | |
| Karl-Friedrich zu Guttenberg oder den ehemaligen Geheimdienstkoordinator | |
| des Bundeskanzleramts Klaus-Dieter Fritsche Zugang bis in höchste | |
| Regierungskreise hatte und Angela Merkel bei einer China-Reise ein gutes | |
| Wort für den Zahlungsabwickler einlegte. Immerhin: Der Frage, was | |
| Politiker:innen wussten, wird ein RTL „Extra spezial“ im Anschluss an | |
| die Ausstrahlung des Films auf dem Privatkanal nachgehen. | |
| Noch ist die Wirecard-Story nicht zu Ende. Marsalek ist auf der Flucht, | |
| Braun sitzt im Knast und wartet auf seinen Prozess, die politische | |
| Aufarbeitung im Untersuchungsausschuss des Bundestag steuert mit der | |
| [3][Vernehmung von Olaf Scholz (SPD) im Frühjahr] auf ihren Höhepunkt zu. | |
| Der Doku-Thriller endet mit der Insolvenz von Wirecard. Eine Fortsetzung | |
| ist also nicht ausgeschlossen. | |
| 30 Mar 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anja Krüger | |
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