# taz.de -- Aufrüstungsdebatten in Europa: Nicht zu Ende gedacht | |
> Auch wenn sich die Europäer nicht auf Trump verlassen wollen: Sie können | |
> ihre Militärausgaben nicht erhöhen, ohne den inneren Frieden zu | |
> gefährden. | |
Bild: Wo soll das Geld für Waffen bloß herkommen? Kampfjets beim Nato-Manöve… | |
Es ist ein Satz, der sich derzeit offenbar sehr einfach sagen lässt: Europa | |
darf sich nicht mehr auf den militärischen Schutz der USA verlassen und | |
muss seine Sicherheit in die eigenen Hände nehmen. Wer will da | |
widersprechen [1][nach den jüngsten Äußerungen von Donald Trump]? Er würde | |
europäische Staaten, die zu wenig für die Nato zahlen, nicht vor einem | |
russischen Angriff schützen, sagte Trump. | |
Vor 15 Jahren – als der damalige US-Präsident Barack Obama begann, von den | |
europäischen Nato-Verbündeten eine Erhöhung ihrer | |
Verteidigungsanstrengungen zu fordern, weil die USA sich schon damals vom | |
strategisch unbedeutender gewordenen Europa Richtung Asien umorientieren | |
wollten – gab es noch eine Diskrepanz: | |
Zwar stimmten die europäischen Regierungen 2014 auf dem Nato-Gipfel in | |
Wales widerwillig zu, ihre Verteidigungsausgaben künftig an eine Zielmarke | |
von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts heranzuführen, aber eigentlich | |
hatte niemand wirklich vor, das in absehbarer Zeit auch zu tun. Zumal in | |
den europäischen Gesellschaften trotz der ein halbes Jahr zuvor erfolgten | |
Annexion der Krim durch Russland nicht das Gefühl vorherrschte, tatsächlich | |
einer realen Bedrohung durch Russland ausgesetzt zu sein, die eine | |
Priorisierung des Militärischen rechtfertigen oder erforderlich machen | |
würde. | |
Das hat sich durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine | |
geändert. Aber so leicht sich das politische Personal damit tut, das Credo | |
von der Souveränisierung europäischer Sicherheits- und | |
Verteidigungspolitik in die Welt zu blasen, so wenig wird thematisiert, was | |
das eigentlich für Konsequenzen hätte. | |
Mal ernsthaft: Stolz hat Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in dieser | |
Woche verkündet, dass schon 18 Staaten [2][das 2-Prozent-Ziel erfüllten]. | |
Aber von selbstständiger Verteidigungsfähigkeit sind wir weiterhin | |
Lichtjahre entfernt. Um das also zu erreichen, brauchte es massive | |
Ausgabensteigerungen, die jene der vergangenen Jahre vollkommen in den | |
Schatten stellen würden. | |
Selbst wenn durch intensive Kooperation und europäische Arbeits- und | |
Aufgabenteilung maximale Effizienz erreicht werden könnte, sprechen wir | |
dann nicht mehr von 2, sondern vermutlich von 5 oder gar 6 Prozent des | |
Bruttoinlandsprodukts, die dafür ausgegeben werden müssten. Und das über | |
einen Zeitraum von mindestens zehn bis fünfzehn Jahren. | |
## Leider hat alles seinen Preis | |
Dieses Geld muss irgendwo herkommen, entweder durch drastische | |
Steuererhöhungen oder Einsparungen oder, wahrscheinlicher, durch eine | |
Kombination aus beidem. Die Einschnitte, die die Ampelregierung in den | |
vergangenen Monaten verkündet hat, um ein paar Milliarden Euro einzusparen, | |
sind Peanuts dagegen – und schon die haben [3][eine Welle von | |
Bauernprotesten] ausgelöst, wie man sie in Deutschland so noch nicht | |
gesehen hat. | |
Der Versuch, Deutschland und Europa gegen Bedrohungen von außen sicherer | |
zu machen – und dazu gehören dann neben Militär auch der Schutz kritischer | |
Infrastruktur, Katastrophenschutz, Cyberabwehr und anderes mehr –, kann | |
insofern im schlechtesten Fall zu gesellschaftlichen Verwerfungen führen, | |
die den Fortbestand der liberalen Demokratien westlicher Prägung akuter | |
gefährden als die imperialistischen Pläne Wladimir Putins. | |
Denn die grundlegenden Aufgaben und Investitionsbedarfe des 21. | |
Jahrhunderts haben sich auch durch den russischen Angriffskrieg nicht | |
verändert: die Transformation hin zu Klimaneutralität einschließlich der | |
Gestaltung des damit einhergehenden wirtschaftlichen Strukturwandels; die | |
Anpassung an jene Folgen des Klimawandels, die gar nicht mehr zu verhindern | |
sind; der Umgang mit demografischem Wandel und weltweit zunehmenden | |
Migrationsbewegungen; das Schaffen besserer Schul- und Berufsbildung. Das | |
alles braucht Geld, und zwar ebenfalls viel mehr, als derzeit dafür | |
ausgegeben wird. | |
Wenn all diese Bedarfe in den nächsten Jahren in scharfe Konkurrenz | |
gebracht werden mit dem Aufbau militärischer Kapazitäten, wird es noch | |
schwieriger, gesellschaftlichen Konsens herzustellen. Der Aufstieg | |
rechtsextremer Parteien ist das sichtbarste Symptom dafür, dass dieser | |
ohnehin schon massiv bröckelt. | |
Ja, die Bedrohung durch Russland ist real geworden, etwas, was nach dem | |
Ende der Blockkonfrontation nicht mehr möglich schien. Sie braucht | |
Antworten, womöglich auch militärische. Aber wer jetzt postuliert, Europa | |
müsse sich militärisch auf Augenhöhe mit den USA bringen, um unabhängig | |
handlungsfähig zu werden, ohne zu benennen, wie die dadurch entstehenden | |
Probleme gelöst werden sollen, macht es sich zu einfach. | |
17 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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