# taz.de -- Astrophysiker über Lichtverschmutzung: „Ich bin nicht generell g… | |
> Jeder kennt sie, doch nur wenige wissen, was Lichtverschmutzung | |
> eigentlich bedeutet. Andreas Hänel, Leiter des Planetariums Osnabrück, | |
> gibt Nachhilfe. | |
Bild: Europa von oben: Die Lichter der menschlichen Aktivität leuchten im Nasa… | |
taz: Herr Hänel, „Es werde Licht!“, sagt die Bibel. Aber manchmal ist Licht | |
gar nicht so gut? | |
Andreas Hänel: Vor allem in letzter Zeit. | |
Wegen Weihnachten? | |
Ja, das ist schon erschreckend, dieses weihnachtliche | |
Beleuchtungs-Wettrüsten. Und Jahr für Jahr nimmt es zu, hauptsächlich | |
provoziert durch den Handel – jeder Discounter quillt ja über von dem Zeug. | |
Aber was ich eigentlich meinte: Das Aufkommen der LED, oft gelobt für ihr | |
Stromsparpotenzial, hat stark dazu beigetragen, dass die Lichtverschmutzung | |
zunimmt. | |
Weil jemand, der auf LEDs umsteigt, dazu neigt, mehr Lampen einzusetzen als | |
vorher, sie womöglich auch länger anzuschalten, denn er spürt es ja nicht | |
so im Geldbeutel? | |
Genau, das ist ein Bumerang-Effekt. Und wenn diese Lampen dann auch noch | |
kaltweißes Licht abstrahlen, und das tun viele LEDs ja, wenn sie | |
unabgeschirmt montiert werden, sodass sie uns blenden, wenn sie nicht nur | |
in Richtung Boden oder Wand strahlen, sondern auch nach oben, in den | |
Himmel, ist die Aufhellung wirklich besorgniserregend. | |
Was ist Lichtverschmutzung genau? | |
Der schädigende Eintrag von künstlichem in natürliches Licht – vor allem | |
als Überlagerung der natürlichen Dunkelheit des Nachthimmels. Mehr als 80 | |
Prozent der Weltbevölkerung sind davon betroffen. Man muss sich mal | |
vorstellen, was da passiert: Die Lichtsmog-Glocke von Las Vegas habe ich | |
noch im Bryce-Canyon-Nationalpark gesehen, 465 Kilometer entfernt! Viele | |
Städter haben noch nie die Milchstraße gesehen. | |
Höchstens ein diffuses Halbdunkel mit vereinzelten Sternen, obwohl Tausende | |
zu sehen wären? | |
Ja, das ist traurig. Ein solch prächtiger Anblick ist atemberaubend. | |
Dunkelheit ist ja nicht nur für uns Astronomen wichtig. Jeder von uns | |
sollte sie erleben. Ein wundervoller Sternenhimmel: Es ist schlimm, unseren | |
Kindern die Chance auf ein solch faszinierendes Naturerlebnis zu nehmen. | |
Glücklicherweise gibt es Regionen, auch im fast flächendeckend | |
lichtverschmutzten Deutschland, die das erkannt haben: 2014 wurde das | |
Biosphärenreservat Rhön als Sternenpark anerkannt, ebenso der Naturpark | |
Westhavelland. Begünstigt durch die dünne Besiedlung, aber auch Dank | |
sensibler, innovativer Beleuchtungskonzepte der Kommunen, bieten beide | |
Regionen ausgezeichnete Bedingungen für die Himmelsbeobachtung. | |
Hat man da in Großstädten besonders schlechte Karten? | |
Aber auch da gibt es Vordenker. Berlin etwa hat eine sehr gute Lichtsatzung | |
beschlossen. Fulda will seine Lichtmenge stark begrenzen, da entwickeln wir | |
gerade einen Acht-Jahres-Plan. | |
Sie sind Leiter der Fachgruppe Dark Sky der „Vereinigung der Sternfreunde“. | |
Was raten Sie Kommunen, die Berlin und Fulda nacheifern wollen? | |
Jedem, der bei uns Rat sucht, geben wir erst einmal die Resolution „Für | |
eine natürliche Nacht zum Schutz von Mensch und Umwelt“. Wir haben sie mit | |
der „Astronomischen Gesellschaft“ und der „Gesellschaft Deutschsprachiger | |
Planetarien“ entwickelt. | |
Sie fordern darin nicht zuletzt „Anleitungen für Planer und Entscheider bei | |
künstlichen Beleuchtungen“. Eine Kritik an der derzeit gültigen DIN-Norm EN | |
13201 „Licht und Beleuchtung“? | |
Durchaus. Dazu muss man wissen, wer diese Norm entwickelt hat: Die | |
Beleuchtungskörper-Industrie. Da sitzen Firmenvertreter zusammen und | |
schaffen sich die Vorgaben, denen sie zu folgen bereit sind, selbst. Dass | |
diese Norm nicht dazu gemacht ist, die Lichtverschmutzung einzudämmen, | |
liegt auf der Hand. Sie ist zudem nicht rechtsverbindlich, sie referiert | |
lediglich den derzeitigen Stand der Technik. Die Grenzwerte, die sie nennt, | |
müssten dringlich einer wissenschaftlichen Prüfung unterzogen werden. | |
Was hat Sie motiviert, sich mit Lichtverschmutzung zu beschäftigen? | |
Meine Arbeit im Osnabrücker Planetarium. Viele Besucher, fasziniert von | |
unserem künstlichen Sternenhimmel, haben mich nach der Vorführung | |
angesprochen, wie sehr sie die Helligkeit unserer Städte stört. Das war der | |
Antrieb, mich auch wissenschaftlich damit zu befassen. Das tue ich nun seit | |
über 20 Jahren. | |
Seit Anbeginn aller Tage sind wir an den Wechsel zwischen Tag und Nacht | |
angepasst. Dieser Wechsel ist heute gestört. Sicher hat das negative | |
Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. | |
Wir verlagern viele Tätigkeiten in die Nacht, Arbeitsvorgänge zum Beispiel. | |
Was das für Folgen hat, fragen sich nur wenige. Nehmen wir allein das | |
Hormon Melatonin. Es wird im Gehirn gebildet, in der Epiphyse. Bei | |
Dunkelheit steigt seine Produktion an, Licht stoppt sie. Ist der | |
Melatoninspiegel im Blut zu gering, drohen Schlafstörungen, Störungen des | |
Schlaf-Wach-Rhythmus. Eine klare Wechselwirkung. Es gibt auch Indizien | |
dafür, dass Menschen, die viel Nachtarbeit verrichten, ein erhöhtes Krebs- | |
und Stressrisiko haben, anfälliger sind für Übergewichtigkeit und | |
Krankheiten des Magen-Darm-Trakts. Aber da muss man vorsichtig sein, denn | |
es ist schwer, die Faktoren Dunkelheit, Kunst- und Tageslicht von anderen | |
Faktoren zu trennen. Eindeutig ist es dagegen mit der Blendwirkung moderner | |
Leuchtmittel – ist eine Lichtquelle nicht zielgerichtet genug eingesetzt, | |
leuchtet sie nicht indirekt, kann das schon sehr, sehr peinigend sein. | |
Hamburger Hafen, Containerterminal, Nacht. Alles fast taghell erleuchtet, | |
rund um die Uhr Betrieb. Was entgegnen Sie einem Reeder, der sagt: Geht | |
nicht anders! Jede Stunde Liegezeit kostet mich ein Vermögen! | |
Dass es, wie bei allem, aufs richtige Maß ankommt. Welche Farbe das Licht | |
hat, ob es auch Flächen anstrahlt, wo es gar nicht gebraucht wird … | |
Auch nachtaktive Tiere haben unter der Lichtverschmutzung zu leiden? | |
Insekten werden besonders von Lichtquellen mit hohen Blauanteilen angezogen | |
und getötet – gerade LEDs führen hier oft zu einem Massensterben. Vögel | |
werden in ihrem Brutgeschäft gestört, von ihren Flugrouten abgelenkt, | |
kollidieren mit den Lichtquellen. | |
Früher waren ja ganze Autobahnen beleuchtet. Aber das geht zurück. Oder | |
täuscht das? | |
Nein, das stimmt. Denn heute wissen wir, dass es pure Einbildung ist, dass | |
mehr Helligkeit zu mehr Sicherheit führt. Bei einigen Autobahnstrecken | |
wurden nach dem Rückbau der Beleuchtung sogar weit weniger Unfälle | |
verzeichnet als zuvor – bis zu einem Drittel. | |
Auch die Riesengewächshäuser unserer Agrarindustrie haben oft ganze | |
Landstriche erleuchtet. Geht das auch zurück? | |
Zumindest könnte es das. Emsflower macht es vor, Europas größtes | |
Gewächshaus, in Emsbüren. Die arbeiten sehr effizient mit Jalousien, da | |
habe ich noch keine Lichtglocke gesehen. Es muss also nicht so aussehen wie | |
in Rennes, in der Bretagne. Die haben rotblaue LEDs, um den Pflanzenwuchs | |
zu fördern, da ist der ganze Himmel lila. | |
Aber ich muss kein Autobahnplaner und kein Agrarmogul sein, um etwas dazu | |
beitragen, dem Himmel seine Dunkelheit zu lassen? | |
Nein, das kann jeder von uns. Nur noch Leuchten installieren, die nicht | |
nach oben abstrahlen. Nicht die ganze Hausfassade mit Licht überfluten, | |
auch nicht an Weihnachten, sondern nur punktuell aufhellen, wenn überhaupt. | |
Keine Bodenstrahler einsetzen. Und besser gelbe oder warmweiße Lichtquellen | |
verwenden, mit Farbtemperaturen bis maximal 3.000 Kelvin, denn die sind | |
angenehmer für die Augen. | |
Osnabrücks Straßenplaner haben das nicht berücksichtigt, oder? | |
Leider nicht. Osnabrücks Straßenbeleuchtung läuft auf 4.000 Kelvin, in | |
Neutralweiß, mit hohem Blauanteil. Völlig unnötig. | |
Seit Ende 2017 gibt es in Osnabrück einen Ratsbeschluss, mit Firmen und | |
Eigentümern großer Flächen und Gebäude „Gespräche zu führen“, um | |
sicherzustellen, dass deren Beleuchtung in der Nacht „auf ein Minimum | |
reduziert“ wird. Bisher kein großer Erfolg? | |
Da passiert nichts. Die Beleuchtungsintensität steigt und steigt. Wer soll | |
das auch überprüfen? Ich selbst mache das natürlich. War ziemlich teuer, | |
mein Lichtmeßgerät. | |
Warum ist das eigentlich so, dass gerade Werbebeleuchtung immer heller | |
wird? | |
Das liegt am menschlichen Auge. Es passt sich relativ schnell an größere | |
Helligkeit an, aber relativ langsam an größere Dunkelheit. Wenn mein | |
Werbekonkurrent also was Helleres hat als ich, muss ich nachlegen, sonst | |
werde ich nicht mehr wahrgenommen. So schaukelt sich das hoch. | |
Da ist dieser legendäre Endzeit-Moment in „Escape from L.A.“, wenn Snake | |
Plissken der Welt alles Licht nimmt: Zigarette, bedrohlicher | |
Augenklappen-Blick, Streichholz ausblasen: „Welcome to the human race!“ | |
Wünschen Sie sich einen solchen Shutdown manchmal? | |
Naja, ich bin ja nicht generell gegen Licht. Schließlich beobachte ich es | |
gern, am Himmel. Aber es muss intelligent eingesetzt werden. Und das wird | |
es oft nicht. | |
Was war die überflüssigste Lichtquelle, die Sie je gesehen haben? | |
Das war auf Island. Wir waren unterwegs, um Polarlichter zu beobachten, und | |
das geht natürlich am besten, wenn keine andere Lichtquelle zu sehen ist. | |
Aber dann waren da, mitten in der Natur, an den unbegreiflichsten Stellen, | |
diese Masten, oben drauf eine Lampe. Absolut nichts drumherum, das man | |
hätte beleuchten müssen. Merkwürdig. | |
25 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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