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# taz.de -- Umwelteinflüsse in der Stadt: Zu viel Licht
> Nächtliches Licht in der Nachbarschaft kann Menschen um den Schlaf
> bringen. Sich dagegen zu wehren, ist in Wohngebieten gar nicht so leicht.
Bild: Wenn das LED-Licht vom Nachbarhaus leuchtet, ist an Schlaf nicht zu denken
Hamburg taz | Ich wohne in einem Haus am Rand von Hamburg. Und mich quält
ein Licht. Es kommt von einem Riegel mit Wohnungen, der vier Gärten weiter
steht. Bis 2018 störte mich dieser Riegel nie. Dann kündete ein
Parkverbotsschild Bauarbeiten an. Und eines morgens wurde es in unseren
Gartenhof laut. Handwerker deckten das Dach ab und zimmerten ein neues
Geschoss.
Klar, hier wird eine Etage aufgestockt, dachte ich. Die Sonne würde fortan
früher untergehen, aber das war hinnehmbar. Hamburg braucht Wohnungen. Da
sind unsere Gärten ein Luxus, auch wenn sie Vögeln, [1][Insekten] und
Fledermäusen Raum bieten. Ich nahm mir vor, mich daran nicht zu stören.
Die Bauarbeiten dauerten über ein Jahr. Der Ausbau schien fertig, da
werkelten sie noch immer, zersägten Steine, sogar am Samstag. Ich ging
rüber. Der Bauarbeiter stellte die Kreissäge kurz ab, sagte, er könne
nichts dafür, sein Chef wolle, dass er fertig wird. Da sah ich, dass vor
dem Haus ein Turm entstand, vier Stockwerke hoch. Und entlang der frühere
Dachkante vor dem neuen Geschoss verlief ein langer Balkon. Im Bau waren
hier zwei Fahrstühle, die die neuen Wohnungen hoch oben über unseren Gärten
über eine Außengalerie zugänglich machten.
Kurz vor Weihnachten lag ich mit 39 Grad Fieber im Bett. Und immer wenn es
dunkel war, leuchtete vom oberen Ende des nördlichen Turms ein grelles
Licht in mein Gesicht. Denn der Übergang von Fahrstuhl zum Haus war
gläsern. Das kalte Licht schimmerte auch durch den Vorhang.
## Mit dem Herbst kam das Licht zurück
Ich rief die Hausgesellschaft an. Ein freundlicher Mann sagte mir, dieses
Licht hätten die Bauarbeiter über die Feiertage einfach angelassen und es
komme weg. Die Galerie würde später von Lichtern beleuchtet, die sehr
dezent seien. Mit dieser Nachricht warteten wir beim Nachbarschaftstreff
auf und ernteten Erleichterung. Ein Nachbar sagte, er fühle sich durch das
Licht so, als hätte neben seinem Garten ein großer Tanker festgemacht.
Der Frühling kam und Laub verdeckte den Blick. Die Mieter zogen ein. Und in
der Tat säumten nun kleine, dezente Leuchten die Zugangsgalerie. Doch im
Herbst fielen die Blätter. Und als ich abends im Bett lag, strahlte die
Leuchte ihr kaltes Licht aus.
Ich rief wieder an, erwischte aber die falsche Nummer einer Firma gleichen
Namens, das Ganze schien eine Art Familienbetrieb. Eine Dame riet mir, den
Inhabern zu schreiben. Das bringe mehr als anzurufen. So schrieb ich
freundlich, schilderte meine Lage und bat um ein Gespräch. Ich regte an,
das Licht über einen Bewegungsmelder zu steuern, den Einbau würde ich
zahlen.
Doch es passierte nichts. Jede Nacht hielt mich das Licht im Bann.
Schließlich rief ich doch an, mehrfach. Und erfuhr von einer Dame am
Telefon, dass es Vorschriften für Fahrstuhllicht gebe. Genaueres wisse sie
auch nicht. Auch andere Nachbarn wurden vorstellig, angeblich sollte nun an
der Beleuchtung etwas geändert werden. Und als ich eines Nachmittags im Mai
das Fahrzeug eines Elektrikers vor der Tür sah, schöpfte ich Hoffnung.
Sollten sie einen Bewegungsmelder eingebaut haben? Wäre in wenigen Stunden
mein Problem gelöst?
Auf Hilfe von der Stadt brauchte ich übrigens nicht zu hoffen. Licht ist
zwar eine „Immission“ wie Lärm und dafür gibt es Ansprechpartner beim Amt,
doch die meinten, sie seien nur zuständig bei Licht von Industrie, Gewerbe
oder Sportanlagen. Vorbei kommen und messen würde deshalb keiner. Die
Stadt, die diese Fahrstuhltürme erlaubte, war unempfänglich für unsere
Licht-Nöte.
## Um Mitternacht leuchtet die Lichtwolke wieder
Nachdem die Elektriker fort waren, dauerte es, bis die Sonne unterging. Und
der Turm blieb dunkel. Alle fünf Minuten schaute ich. Es schien, als hätten
wir gewonnen. Doch kaum kam die Dämmerung, schimmerte wieder Licht durch
die Zweige. Um Mitternacht leuchtete die fette, grelle Lichtwolke wie eh
und je.
Habe ich nun eine Macke? Spinne ich? [2][Annette Krop-Benesch ist
Chronobiologin], und sie sagt: „Nein, Sie spinnen nicht. Wenn Sie nachts in
ein Licht reinsehen, kann das sehr störend sein und Sie vom Schlafen
abhalten.“ Zunächst spiele die Lichtfarbe eine Rolle. Nachts gucken wir nur
mit den Stäbchen auf der Netzhaut, die Hell und Dunkel unterscheiden. Die
fürs Farbsehen zuständigen Zapfen sind nachts nicht aktiv. Sie werden aber
durch das Licht einer blau-weißen LED viel stärker aktiviert als durch das
warme Licht einer herkömmlichen Glühbirne. „Und das stört“, so die
Biologin.
Außerdem produziert in der dunklen Nacht die Zirbeldrüse im Kopf Melatonin,
damit der Körper runterfährt und wir schlafen können. Ein Rollladen ist
keine Lösung, denn [3][von sich aus hätte der Mensch einen 25-Stunden
Rhythmus]. „Wir brauchen die Abenddämmerung und Morgendämmerung, um täglich
unsere Innere Uhr zu stellen“, sagt Krop-Benesch. Laut Studien haben nicht
nur Schichtarbeiter wie Krankenschwestern ein erhöhtes Gesundheitsrisiko,
sondern auch Menschen in hellen Städten.
Der von Experten empfohlene Richtwert, der auf mein Schlafzimmerfenster
scheinen darf, beträgt übrigens ein Lux, das ist das drei- bis vierfache
eines Vollmonds. Kann sein, mein Ärger-Licht scheint nicht ganz so hell.
Niedrigere Grenzwerte, so erfahre ich, scheitern derzeit noch am Kampf
zwischen Interessengruppen. „Die Werbewirtschaft wünscht es hell“, sagt
Annette Krop-Benesch. Die moderne LED-Technik mache uns Menschen Probleme,
die wir mit der Glühbirne nicht hatten.
Es ist übrigens nicht mein erster Nachbarkonflikt um Licht. Vor fünf Jahren
wartete ein Mehrfamilienhaus gegenüber mit grellen Bodenscheinwerfern auf,
die so stark in mein Wohnzimmer leuchteten, dass ich dachte, ich stünde auf
einer Landebahn. Gott sei dank gingen die irgendwann von selbst kaputt.
Vielleicht war es zeitlicher Zufall, aber einen Tag, nachdem die taz in der
Sache nachfragte, waren zumindest die zwei Fahrstuhlleuchten durch dunklere
ausgetauscht.
Lesen Sie mehr über Licht und Dunkelheit in unseren Schwerpunkt in der
taz.am Wochenende am Kiosk oder [4][hier]
28 May 2021
## LINKS
[1] /LED-Lampen-stoeren-Insekten/!5524345
[2] http://krop-benesch.de/
[3] /Lichtverschmutzung-weltweit/!5462443
[4] /e-kiosk/!114771/
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Licht
Umwelt
Gesundheit
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Lichtkunst
Licht
Hamburg
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