# taz.de -- Hauptstadt der Lichterfestivals: Berlin leuchtet | |
> Was mal Zeichen von Fortschritt war, kann man in Zeiten des Klimawandels | |
> auch anders sehen: gleich zwei Lichterfeste starten in Berlin. | |
Bild: Bebelplatz in bunt beim Festival of Lights | |
Schon heute kann man sich in die Zukunft träumen, wenn man die Ausstellung | |
bei Nacht durchwandelt … Es erglänzt in festlichen Nächten eine neue Welt, | |
eine neue Ausstellung, die man sprachlos vor Entzücken betrachtet, der man | |
nicht näher zu kommen wagt, aus Angst, es möchte alles Trug sein und das | |
Bild des Tages wieder erscheinen. Alle Paläste sind in Lichtträger | |
verwandelt.“ | |
So schwärmerisch beschrieb der deutsche Kunstkritiker Julius Meier-Graefe | |
seinen nächtlichen Besuch bei der Pariser Weltausstellung 1900. Alle | |
Gebäude der Weltausstellung waren mit elektrischen Glühbirnen ausgestattet, | |
der Portikus am Eingang war sogar komplett mit grün und blau gefärbten | |
Birnen überzogen, was ihn tagsüber wie ein Schuppentier aussehen ließ. Aber | |
nachts verwandelte es sich in eine zauberische Lichtskulptur, über die der | |
französische Kritiker G. Babin schrieb, sie erinnere „an eine von | |
Sonnenstrahlen umspielte Glasur und an das strahlende Leuchten von | |
Edelsteinen“. Auch der „Palast der Elektrizität“ am anderen Ende des | |
Messegeländes und natürlich der Eiffelturm waren mit leuchtenden Birnen | |
versehen, die zu dem gloriosen Eindruck beitrugen. | |
Bei dem italienische Künstler Giacomo Balla hinterließ der Besuch des | |
Elektrizitätspalastes so eine bleibende Wirkung, dass er später als | |
Mitglied der Futuristen in seiner Kunst dem technischen Fortschritt im | |
allgemeinen und dem elektrischen Licht im Besonderen huldigte. Die | |
Zeitgenossen sprachen von den nächtlichen Illuminationen als „Féerie“, als | |
Feenspiele, welche die nächtliche Stadt in eine funkelnde Schatztruhe, | |
Schimäre, Phantasmagorie verwandelten. | |
## Die Fee der Elektrizität | |
In der kommenden Woche wird in Berlin die Fee der Elektrizität losgelassen, | |
um mehr als 100 Bauwerk „in Lichtträger“ zu verwandeln. Gleich zwei | |
Lichtfestivals lassen Berliner Gebäude im Licht energiestarker Projektionen | |
erstrahlen – vom Dom und Brandenburger Tor bis zum Gebäude der Deutschen | |
Rentenversicherung und dem Bahnhof Alt-Reinickendorf. | |
Damit knüpfen die Festivals an die Lichtspiele der Weltausstellung im | |
vergangenen Jahrhundert an. Damals war die Beleuchtung der Innenstadt ein | |
Zeichen von Fortschritt und Urbanität. Düstere Gassen und dunkle Winkel | |
brüteten Verbrechen und Laster aus; auf den gut beleuchteten Boulevards der | |
europäischen Großstädte begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts | |
das neue entstehende städtische Bürgerturm zu flanieren und seinen | |
Lebensstil und Wohlstand zu zelebrieren. | |
„Ihr eigentliches Leben, die fast drogenhafte Steigerung des in der | |
Literatur und Kunst immer wieder thematisierten Großstadt-Daseins, beginnt, | |
wenn das natürliche Licht verschwindet und die künstliche Beleuchtung an | |
seine Stelle tritt“, schreibt der Kulturwissenschaftler Wolfgang | |
Schivelbusch, der zwei Bücher über die Geschichte der künstlichen | |
Beleuchtung geschrieben hat. Paris heißt darum bis heute „la ville | |
lumière“, Stadt des Lichts, der Times Square in New York erhielt wegen der | |
vielen Leuchtreklamen, die den Platz mit dem weißen Licht von Birnen und | |
Neonröhren aufhellten, den Spitznamen des „Great White Way“. | |
Die bunten Illuminationen in Berlin knüpften an solche Traditionen an, aber | |
das Verlangen nach Licht in der Dunkelheit geht wohl noch viel tiefer: | |
Nicht umsonst werden bei Festen, die im Winter stattfinden, Kerzen | |
angezündet oder Feuerwerk veranstaltet, um die menschliche Urangst vor der | |
Finsternis zu bannen. | |
## Eher Volksbelustigung | |
Ob das die beiden Lichtfestivals rechtfertigt, ist allerdings damit noch | |
nicht beantwortet. In einer Zeit, in der Energiesparen als wichtigstes | |
Mittel gilt, den Klimawandel aufzuhalten, mögen diese Spektakel auf viele | |
so deplatziert wirken wie ein SUV bei Fridays for Future. | |
Es fragt sich auch, ob in Städten, in denen inzwischen über | |
„Lichtverschmutzung“ geklagt wird und die kein Wintersternbild mehr | |
erkennen lassen in der Nacht, weitere Beleuchtungsattraktionen an | |
Fernsehturm und diversen Shopping Malls benötigt werden. Was einmal als | |
Feier der nächtlichen Stadt und ihrer Aura gedacht gewesen sein mag, ist | |
inzwischen ein routiniert abgezogenes Massenspektakel geworden, dessen | |
Zauber sich nicht mehr jedem erschließt – eher Volksbelustigung à la | |
Pyronale oder einem beliebigen Ringelpiez mit Anfassen auf dem | |
Alexanderplatz als feierlich gesteigerte Erfahrung von Urbanität. | |
Eine Urberliner Form der Stadtillumination ist übrigens leider gerade im | |
Verschwinden begriffen: das Gaslaternen-Freilichtmuseum Berlin im | |
Tiergarten. | |
## Und noch der Lampenputzer | |
Hier waren 90 Gaslaternen mit Namen wie „Wiener Mast“ und „Kleiner | |
Bündelpfeiler“ zu besichtigen und bei Nacht auch die spezielle | |
Illuminierung durch Gasbeleuchtung zu erfahren. Wegen berlinüblichem | |
Vandalismus und städtischer Vernachlässigung sind viele von ihnen nicht | |
mehr funktionstüchtig, sodass sie nun nach und nach ins Technikmuseum | |
umziehen. | |
Dort soll man dann nur noch im Rahmen von Führungen bei Nacht das Gaslichts | |
noch einmal erfahren können. Und dabei an das berühmte Gedicht von Erich | |
Mühsam über den Laternenputzer denken, der bei der Revolte Angst um seine | |
Laternen bekommt: „Ich bin der Lampenputzer dieses guten Leuchtelichts. | |
Bitte, bitte, tut ihm nichts! Wenn wir ihn’ das Licht ausdrehen, kann kein | |
Bürger nichts mehr sehen.“ | |
6 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Tilman Baumgärtel | |
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