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# taz.de -- Soziologe über Böllerverbot in Berlin: „Populistische Nebelkerz…
> Feuerwerk ist schützenswertes Kulturgut, sagt der Soziologe und
> Pyrotechniker Felix Rausch. Von den neuen Böllerverbotszonen hält er
> nichts.
Bild: Silvester 2019 am Kottbusser Tor
taz: Herr Rausch, erstmals wird es dieses Jahr in Teilen Berlin-Schönebergs
und am Alexanderplatz Böllerverbotszonen geben. Haben Sie Verständnis
dafür?
Felix Rausch: Ich bin da sehr skeptisch. Ähnlich wie bei Gefahrengebieten
oder Kameraüberwachung führt das zu einer Verlagerung statt einer
Verhinderung. Wenn sich Leute treffen wollen, um sich gegenseitig mit
Böllern zu beschießen, werden sie das drei Straßen weiter machen. Insofern
bewirkt das gar nichts und ist eine populistische Nebelkerze.
Spricht dann nicht viel für ein generelles Verbot, um die missbräuchliche
Nutzung und die Störung für andere zu vermeiden?
Ich sehe, dass manche Menschen Feuerwerk anders verwenden als vorgesehen,
und damit andere in Gefahr bringen. Ich verstehe auch, dass es Menschen
gibt, die Feuerwerk grundsätzlich stört. Es ist aber falsch, daraus den
Bedarf für ein generelles Verbot abzuleiten. Dazu muss man sehen, dass die
Verwendung auf zwölf Stunden im Jahr beschränkt ist, von insgesamt 8.760
Stunden. Wir müssen schlau sein in der Abwägung, ob uns der Erhalt eines
Kulturgutes – und das ist Feuerwerk – wichtiger ist als ein Verbot zur
scheinbaren Erhöhung dessen, was wir als Sicherheit verstehen.
Was spricht denn für Feuerwerk?
Mir ist keine Region der Erde bekannt, in der nicht mindestens einmal im
Jahr kontrolliert ausgerastet wird, sei es zu Karneval, religiösen Festen
oder eben zu Silvester. Solche geframten Momente der Ekstase sind wichtig,
etwa als Ventil für Zwänge, denen wir im Alltag unterliegen. In vielen
Regionen weltweit sind diese Momente mit Feuerwerk verbunden – so auch
hier. Diese regelmäßigen und noch immer relativ kontrollierten Momente sind
sinnvoll.
Für die Umwelt ist Feuerwerk doch aber schädlich.
Die Umweltbelastung ist im Vergleich zu anderen Verschmutzungsfaktoren wie
etwa Automobilverkehr gering. Der CO2-Ausstoß ist kaum relevant,
problematischer ist die Feinstaubbelastung. Diese relativiert sich jedoch
durch die jährliche Einmaligkeit enorm. Inzwischen arbeiten praktisch alle
Hersteller daran, den Umwelteinfluss von Feuerwerk zu verringern. Da ist
gerade sehr viel Bewegung drin. Die Ergebnisse werden sich in den nächsten
Jahren noch deutlicher zeigen.
Sind hierzulande geprüfte Böller viel sicherer als sogenannte Polenböller?
Die Zulassung von Feuerwerk wurde auf EU-Ebene harmonisiert. Jeder
Feuerwerkskörper, der in Polen oder einem anderen EU-Staat zugelassen ist,
kann frei zirkulieren und verwendet werden. Die Auflagen für die Zulassung
in Bezug auf Verwendungssicherheit oder das Verbot bestimmter Chemikalien
sind extrem hoch. Wer auf Sicherheit wert legt, sollte nur Feuerwerkskörper
verwenden, die von einer europäischen Zertifizierungsstelle zugelassen
sind. Im legalen Handel bekommt man in der Regel sowieso nichts anderes.
Was macht Ihre persönliche Begeisterung für Pyrotechnik aus?
Mich fasziniert der extrem ephemere, also flüchtige Charakter dieses
Mediums. Es leuchtet auf und verschwindet praktisch im gleichen Moment
wieder. Sogar Adorno feierte Feuerwerk als höchste Form der Kunst, da sie
einfach nicht andauern will und im Moment der Vollendung wieder
verschwindet. Harmlose Naturstoffe werden dafür zu mitunter gefährlichen
Mischungen kombiniert, das ist viel potenzielle Energie.
Die allgemeine Begeisterung lässt sich vermutlich nicht mit Adorno
erklären?
Manche Menschen geben viel Geld aus für dieses kurze Vergnügen. Das hat
etwas Verschwenderisches, es markiert das Außergewöhnliche. Die Gefahren
des Feuers sind nie ganz zu bändigen. Im Spüren von Druck und Hitze gibt es
einen Moment der Angstlust. Und für manche ist Feuerwerk, wie es glänzt und
glitzert, einfach nur schön, ganz Selbstzweck. In diesen Punkten sehe ich
ein kurzes Aufbäumen gegen das Rationale, das heutige Gesellschaften
durchzieht.
Woher kommt die Tradition, gerade zu Silvester zu böllern?
Die gängigste Erklärung ist, die Geister des alten Jahres zu vertreiben und
das neue Jahr von Flüchen zu befreien und entsprechend laut und freudig zu
begrüßen. Das sind Modelle, die sich auch in einer weitgehend
säkularisierten Gesellschaft erhalten. Feuerwerk steht heute für den Moment
der Freude und der Ausnahme, mit der das neue Jahr begrüßt wird.
Gibt es hierzulande spezifische Feuerwerks-Traditionen?
Schwarzpulver wurde etwa 1.000 nach Christus zum ersten Mal erwähnt. Das
Kunsthandwerk Feuerwerk hat sich über die ganze Welt ausgebreitet und sehr
regionsspezifisch ausgebildet. In den meisten Ländern Europas verschwand
die Feuerwerkskunst mit den Importen aus China und viele Betriebe haben ab
den 1960ern schließen müssen. In Ostdeutschland wurde das
kunsthandwerkliche Wissen im VEB Silberhütte noch weiter gepflegt. Aber der
Betrieb wurde auch nach der Wende abgewickelt.
Welche Rolle spielt Feuerwerk in Berlin?
In Berlin gibt es verschiedene Veranstaltungen, bei denen Feuerwerk eine
zentrale Rolle spielt, etwa die Pyronale. Allerdings folgen diese von
Pyrotechnikern choreografierten Feuerwerke einer immer gleichen Ästhetik,
immer gleichen dramaturgischen Abläufen, immer das gleiche Spiel mit
scheinbar programmierbaren Emotionen und Erwartungen. Solche auch vom Staat
veranstalteten Feuerwerke, etwa zum Tag der Deutschen Einheit, sind auch
Instrumente der Herrschaftssicherung im Sinne von Brot und Spiele. Das ist
schon so seit Ludwig XIV. in Versailles. Insofern sehe ich solche
Veranstaltungen auch kritisch.
Aber auf das Böllern an Silvester freuen Sie sich?
Ich selbst nicht.
Bitte?
Pyrotechnik ist mein Beruf, den ich über das Jahr mit Enthusiasmus ausübe.
An Silvester überlasse ich das Ballern den anderen und genieße es dann
einfach, unter FreundInnen zu feiern. Es ist schön, sich mal zurückzulehnen
und zuzuschauen, wie andere das Feuerwerk übernehmen.
31 Dec 2019
## AUTOREN
Erik Peter
## TAGS
Böllerverbot
Pyrotechnik
Alexanderplatz
Böller
Silvester
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Lesestück Recherche und Reportage
Lichtkunst
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