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# taz.de -- Aufwachsen im Hafenlicht: Hoffnungslos verstrahlt
> Was hätte aus uns werden können, wenn wir nur den Sternenhimmel gesehen
> hätten? Entdecker! Eroberer! Doch wir studierten Kulturwissenschaft und
> wurden nutzlos.
Bild: Schlimmer geht immer: So was ähnliches wie Abendstimmung bei der „Sail…
Für diesen Beitrag zog ich mich wie immer mit einer Kiste Chianti in den
halbtrockenen Keller unserer Wohnung zurück, dort, im leichten Modergeruch,
kommen mir meist die besten Ideen. So ging es Schiller ja auch mit den
verwesenden Äpfeln in seiner Weimarer Schreibtischschublade, deren Geruch
Goethe immer an eine tote Ratte erinnerte.
Dort unten lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und starrte an die dunkle
Decke. Von außen fiel das orangene Licht einer alten Straßenlaterne hinein
und warf einen schalen Schein. Ich musste schon eine Weile im Dunkel des
kühlen, nassen Kellers sinniert haben, als mir auffiel, dass so der Himmel
meiner Kindheit ausgehen hat: Dunkel und irgendwie verschliert, auf dem
feuchten Grau ein fahler, orangener Schein.
Das Dunkel-Nasskalte kam von den Quellwolken, die der Wind vom Meer ohne
Unterlass über die Norddeutsche Tiefebene wälzte, der orangene Schein von
den Lampen des Hafens. Dieser sei einer der größten Europas, wurde uns
immer zu gesagt. Tausende Autos würden hier umgesetzt. Ab und zu kam auch
mal ein Kreuzfahrschiff vorbei. Viel Personal brauchte es für beides
anscheinend nicht. Die Werften hatten bereits geschlossen, die
Windkraft-Wende war noch fern, bei Werder Bremen war „Dixie“ Dörner
Trainer, die Lage war desolat.
Und wir Kinder Bremerhavens sahen zum Himmel empor und sahen nicht mehr als
eine pürierte Graupensuppe, nichts, das uns Orientierung geben oder das
matte Glimmen in unserem Innersten zu einem Lodern hätte aufbauschen
können. Im Angesicht der Weite des Universums, der Unendlichkeit des Alls,
wurden die alten Ägypter und Griechen, die Römer und selbst noch die
verrückten Jakobiner in Paris erfüllt mit einem fast schon fanatischen
Pathos und missionarischem Schaffensdrang. Wir fühlten nichts dergleichen,
wir waren betäubt von Bier.
Es ist doch so, dass der Sternenhimmel einem Quecksilber überzogenem Grabe
gleicht, einem Abglanz des Todes. So lange braucht es, bis das Licht uns
erreicht, dass die Sterne, die es aussendeten, längst verglüht sind, sich
aufgeplustert haben zu Supernovas, zerfallen sind zu schwarzen Löchern und
weißen Zwergen. Im Angesicht dieses ewigen Vergehens nun könnte man etwas
Größeres erahnen, das Jenseits vielleicht, Formen und Muster, die
Anwesenheit einer höheren Gewalt. Wir standen gekrümmt an der Mauer des
Tiergrotten und übergaben uns von zu viel Bier.
Was hätte aus uns werden können, Entdecker!, Eroberer!, doch wir studierten
Kulturwissenschaft und wurden nutzlos. Wie hätte unser Leben aussehen
können, wenn wir nur den Sternenhimmel gesehen hätten? Einer
intellektuellen Supernova gleich hätten wir zurückgestrahlt, so dass
Fremdes Leben auf fernen Planeten uns hätte verglühen sehen und angezogen
davon sich auf den Weg zur Erde gemacht hätte. Aber niemand kam vorbei von
outer space, niemand interessierte sich für uns Erdenbürger. Manchmal denke
ich, das lag an uns, den Bremerhavenern, welche verdeckt unter von
orangenem Hafenlicht schwach erhellten Quellwolken, die immer weiter zogen,
dem Nirgendwo entgegen und dort abregneten, Bier tranken anstatt zu
scheinen.
Neulich saß ich nachts, nun alt und gebrochen, auf dem Hof eines kleines
Anwesens in Brandenburg. Die Wärme, die die alten Backsteinmauern tagsüber
aufgesogen hatten, gaben sie zurück wie eine auf Anschlag aufgedrehte
Heizdecke. Ich trank ein Glas Wein, ich blickte kurz hinauf zum Himmel und
war geblendet. Ein milchiger Schimmer zog sich über das gewölbte Rund. Eine
Kindheitserinnerung drang hervor aus den tiefsten Tiefen meiner Seele.
Ich sah mich als kleiner Junge im Bett liegen, neben mir saß meine Oma, mit
ihrer eigentümlich hellen und doch charaktervollen Stimme sang sie mir ein
Lied: „Weißt du, wie viel Sternlein stehen, an dem blauen Himmelszelt,
weißt du, wie viel Wolken gehen, weit hinüber alle Welt.“ Das mit den
Wolken, das wusste ich ja, das mit den Sternen nicht. Dort standen sie nun,
im Brandenburger Sternenpark. Ich schaute zu ihnen hinauf und sie zu mir
hinunter.
Ich sah die Achse des Großen Wagens, wie er durch diesen glimmenden Acker
zog, ich imaginierte mich in die fernsten Weiten der Galaxis, noch weit
hinter die Ortsche Wolke, zum Arktur im Sternbild des Bärenhüter und zur
Capella im Fuhrmann. Ich sah, was unsere Ahnen vor Äonen gesehen, wonach
sie navigiert hatten, zum Stammsitz ihrer Götter hinauf und weinte. „Weißt
du, wie viel Sternlein stehen“ summte ich. Und es waren Zehntausende, sie
alle zählte ich, sie alle vermaß ich, ihnen allen gab ich einen neuen
Namen.
Am nächsten Morgen wachte ich mit einer drückenden Migräne und einem
trockenen Geschmack im Mund auf. Der Wein, der halbtrockene Wein. Ich ging
zum Fenster und sah einen wolkenlosen Himmel, so wolkenlos, wie ich ihn
noch nie gesehen hatte. Dahinter, dachte ich, da müssen sie leuchten, die
Sterne. Wahrscheinlich waren sie grad nur schlafen gegangen.
27 Dec 2018
## AUTOREN
Ruben Donsbach
## TAGS
Bremerhaven
Lichtverschmutzung
Geist
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Hafen
Licht
Prenzlauer Berg
Bremerhaven
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