# taz.de -- Asbestbelastung in Berliner Wohnungen: Zukauf mit Risiko | |
> Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften erwerben immer mehr | |
> Wohnungen. Darunter auch Häuser mit Asbestbelastung. | |
Bild: Asbestbelastet oder nicht? Obstallee-Siedlung und Rudolf-Wissell-Siedlung… | |
Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften haben ein wachsendes | |
Asbestproblem – weil sie im Zuge der Rekommunalisierung von Wohnraum auch | |
belastete Gebäude ankaufen. Allein im vergangenen Jahr hat sich die Zahl | |
der mit den tückischen Mineralfasern belasteten Wohnungen in Landeseigentum | |
um mehr als 7.000 erhöht. Das geht aus der Antwort der Senatsverwaltung für | |
Stadtentwicklung und Wohnen auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten | |
Andreas Otto hervor. Die politische Bewertung dieser Tatsache fällt | |
allerdings ganz unterschiedlich aus. | |
Alarmiert zeigt sich der Alternative Mieter- und Verbraucherschutzbund | |
(AMV): Für die rund 3.500 Wohnungen in der Großsiedlung Heerstraße im | |
Spandauer Ortsteil Staaken, die die landeseigene Gewobag Ende 2019 von der | |
privaten ADO Properties übernommen hat, bestehe nun ganz offiziell der | |
konkrete Verdacht auf Asbest. In einer Presseerklärung vom Montag fordert | |
der Verein die Gewobag auf, in einem ersten Schritt die MieterInnen | |
„unverzüglich umfassend zu informieren und aufzuklären“. | |
„Bedenkt man, dass die Gesundheit das höchste Gut des Menschen und eine | |
Gesundheitsgefährdung beim Austritt von Asbestfasern sehr hoch ist, wäre | |
ein Schweigen und Nichthandeln der Gewobag unverantwortlich“, so | |
AMV-Vorsitzender Marcel Eupen. Bereits eine einzelne Faser könne die | |
Gesundheit schädigen und zu einer tödlichen Erkrankung führen. Man erwarte | |
zudem die planmäßige Erfassung der belasteten Wohnungen in einem für alle | |
MieterInnen einsehbaren Register sowie die zügige Sanierung der Wohnungen. | |
Laut Senatsverwaltung betrug der asbestbelastete Bestand der Landeseigenen | |
zum Stichtag 31. 12. 2019 genau 42.893 Wohnungen. 6.550 davon hatte die | |
Gewobag 2019 angekauft, neben den ADO-Objekten in Staaken auch 2.350 | |
Wohnungen in Reinickendorf und 600 in Tempelhof-Schöneberg. Einige hundert | |
Wohnungen kamen auch bei Degewo und WBM hinzu. Insgesamt befinden sich die | |
meisten Problemwohnungen im Eigentum von Gewobag (rund 20.000) und Degewo | |
(16.000). | |
## „Schwerpunkt eindeutig in den Westbezirken“ | |
Keine Zahlen lieferte wie schon bei früheren Anfragen die Gesobau – mit der | |
Begründung, es lägen „keine flächendeckenden Gutachten“ vor. Andreas Ott… | |
der das Thema Asbestsanierung seit Jahren vorantreibt, schätzt aufgrund der | |
Baualtersklassen im Gesobau-Bestand deren Asbest-Portfolio auf 10.000 | |
Wohnungen. Geringere Zahlen melden berlinovo (2.553), Stadt und Land | |
(2.786) sowie die WBM (1.509). Die Howoge hat nach eigenen Angaben bereits | |
seit der Modernisierung ihrer Bestände in den Neunzigern keine | |
Asbest-Altlasten mehr. | |
Für Otto ist das angesichts der räumlichen Verteilung des Problems durchaus | |
nachvollziehbar: Die Howoge sei hauptsächlich im Osten der Stadt tätig, | |
aber „der Schwerpunkt liegt eindeutig in den Westbezirken“. Zwar habe man | |
auch in der DDR Asbest verbaut, beispielsweise in Form von Abwasserrohren | |
oder Balkonabdeckungen, besonders problematisch seien aber Fußbodenbeläge. | |
Die seien fast ausschließlich im Westen Berlins zum Einsatz gekommen – bis | |
zum Verbot der Herstellung und Verwendung aller Asbestprodukte Anfang der | |
Neunziger. | |
Dass die Landeseigenen im Jahr 2019 nach eigenen Angaben 3.707 Wohnungen | |
asbestsaniert haben, begrüßt der Grüne – es reicht ihm allerdings bei | |
Weitem nicht: „Wir haben 2016 in die Koalitionsvereinbarung geschrieben, | |
dass das Thema 2030 durch sein soll. In dem aktuellen Tempo schafft man das | |
nicht.“ Ottos Ruf nach Beschleunigung stößt auf eine eher träge Verwaltung, | |
die sich im Übrigen schwer damit tut, den parlamentarischen Auftrag in | |
Sachen Asbest umzusetzen. | |
Im Frühjahr 2018 hatte Rot-Rot-Grün im Abgeordnetenhaus den Beschluss | |
„Gesund und asbestfrei wohnen in Berlin“ verabschiedet. Darin wird der | |
Senat unter anderem aufgefordert, ein öffentlich einsehbares | |
„Asbestregister“ für die ganze Stadt anzulegen und eine zentrale | |
Beratungsstelle zu schaffen. Beides ist bislang nicht geschehen. | |
## Großes Problem: der Datenschutz | |
Aus einem Zwischenbericht des Senats an das Parlament vom August 2019 geht | |
hervor, dass ein „interdisziplinäres Arbeitsgremium“ aus VertreterInnen | |
mehrerer Senatsverwaltungen und Landesämter in regelmäßigen Abständen tage. | |
Es sei jedoch zu der Ansicht gelangt, dass es „nur in einem begrenzten | |
Umfang machbar und sinnvoll“ sei, das komplexe Spezialwissen zum Thema | |
Asbest in einer zentralen Beratungsstelle zu bündeln. Eine gemeinsame | |
Internetpräsenz sei dennoch in Arbeit – freigeschaltet ist sie bis heute | |
nicht. | |
Auch beim Thema „zentrales Asbestregister“ scheint die Skepsis zu | |
überwiegen. Es sei nicht abschließend geklärt, wie Asbestfunde zu bewerten | |
seien – zumal wenn sie nicht tatsächlich freigesetzt würden und damit die | |
Gesundheit gefährdeten, heißt es im Senatsbericht. Ein weiteres großes | |
Problem: der Datenschutz. Hier fürchtet man, dass eine verpflichtende | |
Auskunft von Privateigentümern über Asbest juristisch nicht tragfähig wäre. | |
„Von nicht anlassbezogenen Erkundungs- und Bewertungspflichten in | |
Verbindung mit anlassunabhängigen Offenlegungspflichten wurde aufgrund der | |
hohen rechtlichen Hürden Abstand genommen“, wie es reichlich verklausuliert | |
heißt. | |
Auf eine aktuelle Anfrage der taz hin betont die Verwaltung von Senatorin | |
Katrin Lompscher diesen Aspekt noch einmal: Es gehe nicht ohne die | |
Schaffung neuer Rechtsgrundlagen, und dafür müsste eine „Vielzahl von | |
öffentlich-rechtlichen, datenschutz-, privatrechtlichen und | |
grundrechtlichen Aspekten“ geprüft werden – „außerdem die finanziellen … | |
sonstigen Auswirkungen auf private Haushalte und den Landeshaushalt zur | |
Bewertung der wirtschaftlichen Angemessenheit“. Die „aufwendigen | |
Recherchen“, die das erfordere, liefen noch. | |
Konkret heißt das bis auf Weiteres: Wie viel Asbest in den Wohnungen | |
privater Eigentümer steckt, davon hat der Senat nicht die geringste Ahnung. | |
Für Andreas Otto ein Anlass zu „großer Sorge: Das muss sich dringend | |
ändern.“ Was der Grüne regelrecht absurd findet: „Personen, die in | |
Wohnungen Asbestmessungen durchführen, kommen aufgrund der | |
Arbeitsschutzvorschriften mit Schutzanzug und Atemmaske. Da sind schon die | |
Berufsgenossenschaften mit Nachdruck hinterher. Aber für die Mieter dieser | |
Wohnungen gibt es gar keine Vorschriften, und die leben zum Teil viele | |
Jahre in dieser Umgebung.“ | |
## Auf die Käufe nicht gut vorbereitet gewesen | |
Zurück zu den Landeseigenen: Gegenüber der Berliner Morgenpost zeigte sich | |
der baupolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christian Gräff, empört über | |
den Ankauf asbestbelasteten Wohnraums. Das Land sei auf die Käufe nicht gut | |
vorbereitet gewesen und habe die Deals „schlecht kalkuliert“. Andreas Otto | |
sieht das etwas anders: „Natürlich kann man fragen, ob die Wohnungen zu | |
teuer eingekauft wurden, weil sie so einen Mangel aufweisen“, so der | |
Abgeordnete zur taz. „Aber die Alternative wäre gewesen, sie nicht zu | |
kaufen – dann hätten wir das alles nicht erfahren und eine Sanierung stünde | |
jetzt auch nicht an.“ | |
Die Gewobag teilte derweil auf taz-Anfrage mit, sie gehe nicht davon aus, | |
dass alle angekauften Wohnungen in Spandau und Reinickendorf ein | |
Asbestproblem hätten: „Es kann jedoch baujahresbedingt nicht ausgeschlossen | |
werden, dass die angekauften Bestände aus den 1960er bis 1990er Jahren | |
zumindest teilweise asbestbelastet sind.“ Über Sanierungsmaßnahmen ließe | |
sich vorerst keine Aussage treffen, grundsätzlich erfolgten diese „bei | |
Mieterwechseln oder bei mieterseitiger Meldung vorliegender Schäden an | |
asbesthaltigen Bauteilen“. Nur im letzteren Fall bestehe Dringlichkeit. | |
Kritik an einem „schlechten Deal“ weist die Gewobag zurück: Der | |
Gebäudezustand sei im Vorfeld von Sachverständigen beurteilt worden. | |
Aufgrund der „umfangreichen Erfahrungen aus vergleichbaren Beständen“ habe | |
man die möglichen Kosten einer Asbestsanierung „abgeleitet und in den | |
Verhandlungen zum Kaufpreis vollständig berücksichtigt“. | |
25 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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asbestbelastet. Saniert wird das erstmal trotzdem nicht. |