Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Artur Brauner ist gestorben: Er gab den Opfern Gesichter
> Artur Brauner produzierte über 300 Filme, doch am Herzen lagen ihm die,
> die das Leid der Juden behandelten. Im Alter von 100 Jahren ist er
> gestorben.
Bild: Artur Brauner hoffte, dass es eine Besserung in der Moral geben würde. E…
Das erste, was Artur Brauner nach dem Krieg tun wollte, war einen Film über
die Schreckensherrschaft der Nazis und die Ermordung der Juden zu drehen.
Aber niemand wollte 1946 einen solchen Film finanzieren, die Alliierten
hatten andere Sorgen. Also gründete die Central Cinema Company, kurz CCC,
und produzierte einen Schmonzette für die Massen, die Komödie „Herzkönig�…
um mit dem erwirtschafteten Geld einen jener finanziell verlustreichen
Filme zu machen, mit denen Brauner die „schwarzen Löcher“ im Gedächtnis d…
Deutschen ausleuchten wollte. Über zwanzig solcher Filme waren es am Ende,
sie sind Atze Brauners Vermächtnis. Am Sonntag ist er [1][im Alter von
hundert Jahren] gestorben.
Abraham hatten ihn seine Eltern genannt, doch er legte sich als junger Mann
den Namen Artur zu. „Nicht dass ich mich des Namens Abraham schämen würde,
ohne Abraham wären wir alle nicht da, da gäbe es weder eine jüdische, eine
christliche noch eine muslimische Religion“, sagte Brauner mir, als ich ihn
[2][kurz vor seinem 90. traf], um ihn für die taz zu interviewen. Ich kann
mich daran erinnern, dass ich überrascht war, als er nach unserem Gespräch
ins Auto stieg und davonfuhr.
Brauner gehörte zu West-Berlin wie der Kudamm. Er war einer der
erfolgreichsten Filmproduzenten im Nachkriegsdeutschland, fast 300 Filme
hat er produziert. Seine CCC hatte ihre große Zeit in den Fünfzigern und
Sechzigern. In ihren Spandauer Studios wurde Massenware produziert, begehrt
in der Wirtschaftswunderzeit.
Brauner produzierte aber auch Filme mit revolutionären Regisseuren. Dario
Argentos Filmdebüt etwa, der Horrorklassiker „Das Geheimnis der schwarzen
Handschuhe“ von 1969. Zwei Jahre später brachte Brauner einen
Katastrophenfilm des Trashmeisters Jess Franco heraus. Auch Fritz Langs
Spätwerk „Die 1000 Augen des Dr. Mabuse“ ist eine Produktion der CCC.
## Die deutsche „Nicht-Auswahlkommission“
Doch Brauners Herzensanliegen waren die Filme, die an die Shoah erinnern
sollten: „Ich habe mir damals gesagt: Wenn ich überlebe, dann muss ich
etwas tun, für diejenigen, die tot sind. Und das sind so viele. In meiner
eigenen Familie sind es 49 Personen. Ich war immer der Ansicht, dass ich
die Pflicht habe, die Opfer im Tod zu verewigen und ihnen Gesichter zu
geben.“
„Zeugin aus der Hölle“ von 1965/67 handelt vor dem Hintergrund des
Frankfurter Auschwitz-Prozesses von einer ehemaligen Gefangenen des
Frauen-KZ Struthof, die perfiden Experimenten zum Opfer fiel. Der Film
zeigte eindrücklich, dass Trauma und Angst die Überlebenden noch 20 Jahre
nach Kriegsende quälten. 1961 widmete sich „Lebensborn“ dem gleichnamigen
NS-Programm. 1980 ließ Brauner die Lebensgeschichte der jüdischen
Künstlerin Charlotte Salomon verfilmen.
„Hitlerjunge Salomon“ von 1990 handelt von den Schuldgefühlen eines Jungen,
der als vermeintlicher Vorzeigearier den Krieg überlebt. Der Film wurde mit
einem Golden Globe geehrt. „Er hätte den Oscar gewonnen, wenn die deutsche
Auswahlkommission – ich kann nur lachen, Nicht-Auswahlkommission nenne ich
das – nicht dagegen opponiert hätte“, meinte Brauner. In Hollywood wusste
man nun trotzdem, wer dieser Artur Brauner aus Deutschland war. Damit war
die Reihe seiner „jüdischen Filme“, wie er sie selbst nannte, aber noch
nicht zuende. Es folgten unter anderem „Babi Jar“ (2003) und „Der letzte
Zug“ (2006).
Am 1. August 1918 wurde Artur Brauner in Lodz geboren. Sein Vater war der
Holzgroßhändler Moshe Brauner aus Kattowitz, seine Mutter Brana stammte aus
Odessa. Als Jugendlicher wollte er Schauspieler werden. Für Mädchen
interessierte er sich mehr als für den Zionismus. Er floh in die
Sowjetunion, als die Juden von Lodz ghettoisiert wurden und überlebte den
Krieg unerkannt. Erst mit knapp 90 erfuhr er, dass die Deutschen unweit vom
elterlichen Haus einen Sammelpunkt eingerichtet hatten, um die Juden der
Stadt zu deportieren.
## Mit dem Film ans Gewissen der Welt appellieren
„Das ist das Schrecklichste, was ich je gehört habe, ich träume jede Nacht
davon: Von diesen Hunderttausend aus Lodz hat sich kein Mensch gerettet.
Sie sind auf dem Weg nach Chelmno vergast worden, das war billig, es
kostete nur das Benzin. Die Lastwagen sind angekommen, die Toten wurden
ausgeladen und schon 15 Minuten später fuhren sie nach Lodz zurück, um die
nächsten Opfer abzuholen. Nur vier Kilometer von unserem Haus, da war der
Tod.“
Eines der wichtigsten Werke Brauners ist jener Film geblieben, der sein
erster hätte werden sollen. „In 'Morituri’ wollte ich das auf die Leinwand
bringen, was ich selbst erlebt hatte. Mit diesem Film wollte ich an das
Gewissen der Welt appellieren,“ schrieb Brauner in seiner
autobiographischen Geschichtensammlung mit dem selbstbewusst-ironischen
Titel „Mich gibt’s nur einmal“, die seiner Frau Maria gewidmet ist, mit d…
er 70 Jahre verheiratet war. Sie starb 2017.
„Morituri“ entstand 1947/48 unter abenteuerlichen Bedingungen in
Brandenburg. Die Rote Armee stellte Scharfschützen zur Verfügung, die
SS-Männer spielten. Weil sie keine Platzpatronen hatten, schossen sie
scharf. Drei der Darsteller waren Überlebende. Der Film spielt in einem
Wald irgendwo in Osteuropa, in dem sich eine Gruppe Verfolgter vor den
Nazis versteckt. Es ist ein Film, der davon erzählt, was passiert ist im
von den Deutschen eroberten Osteuropa. Er ist aber auch ein großes
humanistisches Werk, das für Milde plädiert gegenüber den Hunderttausenden
von jungen Verführten, die glaubten, sie würden für Volk und Vaterland
kämpfen.
„Morituri“ ist ein filmisches Mahnmal, das nie die Gesichter der
Vollstrecker der Massenvernichtung zeigt. Regisseur Eugen York rückte die
Internationale der Opfer als wahre Vertreter der Menschheit in den Blick,
ohne sie dabei zu überhöhen. „Morituri“ zeigt, was es heißt, unter
unmenschlichen Bedingungen zu leben. Er zeigt aber auch, dass die Würde der
Entwürdigten im Festhalten an ihrer Zeugenschaft liegt.
Nazis sorgten dafür, dass dieses filmische Zeugnis ungehört blieb. Sie
machten in den Kinos Krawall, als der Film aufgeführt wurde, schlugen die
Scheiben von Kinos ein. Bald wurde er abgesetzt. Er verschwand in der
Versenkung und es dauerte sechs Jahrzehnte, bis er schließlich als DVD
wiederveröffentlicht wurde. „Ich wollte mit allen Filmen dieser Art
erreichen, dass die Leute zur Besinnung kommen, dass sie sehen, was es
bedeutet, wenn eine Diktatur, wenn Unmenschlichkeit regiert“, hat Artur
Brauner gesagt. „Ich habe gehofft, dass es eine Besserung in der Moral, in
den Gefühlen derjenigen ergibt, die so etwas sehen. Aber ich bin
enttäuscht, es hat sich nichts geändert. Damals gab es alte SS-Leute, die
die Kinos gestürmt haben, heute gehen die Leute einfach nicht hin. Wenn ein
Film den Untergang des jüdischen Volkes behandelt, geht niemand hinein,
wenn ein Film den Untergang von Adolf Hitler zeigt, kommen 4,6 Millionen
Zuschauer.“
Trotz aller Enttäuschung war sich Artur Brauner aber sicher, dass seine
filmische Gedächtnisarbeit auch Erfolg hatte: „Ich glaube, dass eine ganze
Reihe von Menschen, besonders Jugendliche, die vielleicht anfällig sind für
Nazipropaganda, keine Nazis mehr werden, wenn sie diese Filme gesehen
haben.“ In diesem Sinne wäre es nur angebracht, wenn die
öffentlich-rechtlichen Sender jetzt Brauners jüdische Filme zeigen würden,
allen voran „Morituri“.
8 Jul 2019
## LINKS
[1] /Arte-Themenabend-zu-Artur-Brauner/!5525037
[2] /Atze-Brauner-ueber-Kino-nach-den-Nazis/!5179253
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
## TAGS
Film
Nazis
Filme
Shoa
Juden
Schwerpunkt Coronavirus
Primo Levi
Deutscher Film
Deutscher Film
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sängerin Sharon Brauner im Interview: „Ich will, dass die Leute lachen!“
Sharon Brauner bringt Überlebende zum Weinen, wenn sie jiddische Lieder
singt. Die gehören zu diesem Land und seiner Geschichte, sagt die
Berlinerin.
Wiedereröffnung der Kinos in Berlin: Zum Neustart dunkle Flecken
Wenn die Berliner Kinos nächste Woche wieder öffnen, bleiben viele Fragen.
Und mit dem Colosseum ist bereits ein Kino auf der Strecke geblieben.
Primo Levi warnte vor neuem Faschismus: Kämpfen, um Mensch zu bleiben
Vor hundert Jahren wurde Primo Levi geboren. Sein Buch „Ist das ein
Mensch?“ hat 1947 das Wesen der NS-Vernichtungsmaschinerie beschrieben.
Arte-Themenabend zu Artur Brauner: Zwischen Trash und Anspruch
Brauner ist der wohl bedeutendste Filmproduzent der deutschen
Nachkriegsgeschichte. Arte feiert seinen 100. Geburtstag mit einem
Themenabend.
100. Geburtstag von Artur Brauner: Erinnerer und Unterhalter
Der jüdische Filmemacher Artur Brauner blieb in Deutschland, obwohl er von
den Nazis verfolgt wurde. Später produzierte er fast 300 Filme.
Atze Brauner über Kino nach den Nazis: "Ich muss etwas tun für die, die tot s…
Ein Gespräch mit dem Filmproduzenten und Schoah-Überlebenden Artur Brauner,
der am 1. August 90 Jahre alt wird und direkt nach dem Krieg anfing, Filme
über Nationalsozialismus zu machen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.