# taz.de -- Arbeitskampf im Museumsbuchhandel: Minusstunden in den Museumsshops | |
> Die Museumsshops der Münchener Buchhandlung Walther König sind zu. Die | |
> Angestellten führen einen Kampf gegen unfaire Werkverträge. | |
Bild: Eine Mitarbeiterin sortiert in der Buchhandlung Walther König Bücher in… | |
Es war eine erfreuliche Nachricht für alle Kunstinteressenten, | |
Museumsbesucher:Innen und die Betreiber: Seit dem 8. März durften in | |
den meisten Städten im Bundesgebiet die Museen wieder öffnen. Das | |
Kulturerlebnis rundet für viele eine Stippvisite im Museums-Buchladen ab. | |
Ein Blick in Ausstellungskataloge, der Erwerb von Postkarten oder die | |
Entdeckung von Fotobänden im Shop gehören zum Museumsbesuch. | |
Für Besucher:Innen des [1][Museums Brandhorst in München] gilt das | |
nicht. Sie stehen vor verschlossenen Türen beziehungsweise werden durch | |
einen Hinweis auf die temporäre Schließung aufmerksam gemacht: „Liebe | |
Kunden, wir müssen leider bis auf Weiteres geschlossen bleiben.“ | |
Grund dafür sind aber nicht behördliche Auflagen und Maßnahmen zum Schutz | |
vor Corona, wie man zuerst glauben könnte. Die Buchhandlung Walther König, | |
die diesen Shop genau wie jene im Münchner Haus der Kunst und im | |
Lenbachhaus betreibt, befindet sich im Arbeitskonflikt mit einem Teil ihrer | |
Angestellten. Oder ehemaligen Angestellten, wenn man genau sein möchte. | |
Der 1969 in Köln von Walther König gegründete Kunstbuchverlag ist | |
renommiert für Werke zur Kunstgeschichte und Museumskataloge. Neben den | |
drei Shops in den Münchner Museen betreibt man auch einen auf der | |
Museumsinsel in Berlin, in der Bundeskunsthalle in Bonn und an insgesamt 44 | |
Standorten in ganz Europa. | |
Selbst in der Londoner Tate Modern gibt es die passenden Bücher zur | |
ausgestellten Kunst aus der Hand der Buchhandlung Walther König. Der Ruf | |
des Gründers und auch seiner Familie (sein Bruder Kaspar ist einer der | |
bekanntesten deutschen Kuratoren, Neffe Johann betreibt eine renommierte | |
Galerie in der Bundeshauptstadt) ist hervorragend. | |
## Information über schlechte Arbeitsbedingungen | |
Nun haben sich aber die studentischen Angestellten der drei Münchner Läden | |
zusammengeschlossen, um über ihre schlechten Arbeitsbedingungen zu | |
informieren. Sie postierten sich öffentlichkeitswirksam mehrmals vor dem | |
Museum und verteilten Flugblätter. | |
In ihrem Protest werden sie von der [2][Basisgewerkschaft FAU (Freie | |
Arbeiter:Innen Union)] München unterstützt. Patrick Lohner, | |
Pressesekretär des anarchistischen Syndikats, erklärt gegenüber der taz, | |
was der Kern des Arbeitskonflikts ist: „Die Bedingungen für die | |
Werkstudierenden sind unseres Erachtens rechtswidrig.“ | |
Demnach wurden die Werkstudent:Innen auf ein imaginäres | |
Kurzarbeitergeld gesetzt (rechtlich ist das nämlich nicht möglich) und | |
bekommen seit den Lockdownzeiten nur noch 60 Prozent ihres Gehalts | |
ausgezahlt. Die Sache kommt noch mit einem Pferdefuß, wie uns eine | |
Werkstudierende, die anonym bleiben möchte, berichtet: „Davon wurden uns | |
die Hälfte ‚geschenkt‘ und die andere Hälfte floss wiederum auf ein | |
Minusstundenkonto.“ Arbeit muss also faktisch unbezahlt nachgeholt werden. | |
Diese Praxis hält die Kölner Arbeits- und Sozialrechtlerin Lucia Alfonso | |
für nicht rechtens. „Der Arbeitgeber darf nicht einfach das Gehalt um | |
praktisch 70 Prozent kürzen.“ Sie verweist dabei auf den Paragrafen 615 des | |
BGB. | |
Insofern die Angestellten ihre Arbeitskraft angeboten hätten – was sie | |
tatsächlich in einem gemeinsam mit der FAU München aufgesetzten Schreiben | |
taten –, befindet sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug und ist zur Zahlung | |
verpflichtet. Auch wenn die Schließung auf behördliche Anordnung hin | |
erfolgt, könne der Arbeitgeber nicht sein unternehmerisches Risiko auf die | |
Angestellten abwälzen. | |
## Arbeitgeber behauptet soziale Verantwortung | |
In einem schriftlichen Statement der beiden Geschäftsführer Franz König | |
(Sohn von Gründer Walther) und Udo Milz, das der taz vorliegt, bestätigt | |
der Arbeitgeber jedoch, dass man dies seit dem ersten Lockdown so gehalten | |
habe und verweist auf die „soziale Verantwortung“ gegenüber den | |
Student:Innen. | |
Die FAU München und die Student:Innen sagen, die Lage sei auch | |
unabhängig von der Coronapandemie komplex. Weder bekämen die | |
Werkstudent:Innen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall noch würden ihnen | |
Urlaubstage gewährt. Fehltage müssten an anderer Stelle nachgeholt werden. | |
Selbstverständlich unentgeltlich. Das Gleiche gilt für eingereichten Urlaub | |
– stets landet alles als Minusstunden auf dem Konto. | |
„Dabei leben wir ohnehin schon sehr prekär. Der Stundenlohn ist 9,85 Euro; | |
knapp über dem Mindestlohn. In München mit seinen hohen Mieten reicht das | |
kaum zum Leben“, erklärt die Studentin der taz. Sie habe sich Geld von | |
ihren Eltern leihen müssen – und auch der Buchhandlung „Stunden | |
geschuldet“, die sie dann zwischen Lockdown 1 und Lockdown 2 abgearbeitet | |
habe. | |
Mehrere Kolleg:Innen hätten gar von sich aus teilweise auf Gehalt | |
verzichtet, um bloß nicht weiter in die Minusstunden zu rutschen. Zu Beginn | |
des zweiten Lockdowns war dies sogar ein offizieller Vorschlag der | |
Geschäftsführung gewesen. | |
Der taz liegt ein Arbeitsvertrag vor. In ihm wird nichts von einem | |
Stundenkonto erwähnt. Die Arbeitsrechtlerin Alfonso schätzt dies als | |
rechtswidrig ein: „Ein solches Konto kann nicht einfach einseitig | |
eingeführt werden.“ | |
## Rechtlich kann auf Urlaub nicht verzichtet werden | |
Udo Milz stellt sich den Anschuldigungen in einer E-Mail an die taz | |
entgegen: „Falsch ist die Behauptung, wir würden Krankheitstage nicht | |
bezahlen. Bei Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung leisten wir | |
selbstverständlich Lohnfortzahlung. Ebenso gewähren wir Urlaub oder gelten | |
diesen in Absprache durch die erhöhte Vergütung ab. Viele Werkstudenten | |
ziehen die Abgeltung vor.“ | |
Patrick Lohner von der FAU beruft sich hingegen auf das | |
Bundesurlaubsgesetz, nach dem es gar nicht möglich sei, auf den Urlaub zu | |
verzichten. Die anonyme Studentin erklärt der taz: „Wir haben mittlerweile | |
Kontakt zu Werkstudierenden an anderen Standorten. Die berichten | |
Ähnliches.“ | |
Auf die Frage, ob sie glaube, dass der Arbeitgeber die Unwissenheit der | |
Student:Innen ausnutze, bestätigt sie: „Es wurde uns klargemacht, dass | |
wir froh sein sollen, überhaupt einen Job zu haben.“ Diesen Job hat sie | |
derweil nicht mehr, denn die Buchhandlung habe ihr, wie allen anderen | |
Werkstudierenden, gekündigt. | |
In der Kölner Zentrale von Walther König bestätigt man zwar die | |
Kündigungen, diese hätten aber nichts mit dem Arbeitskonflikt am Standort | |
in München zu tun: „Sechs befristete Arbeitsverträge sind schlicht durch | |
Zeitablauf ausgelaufen und nur einige Verträge haben wir angesichts der | |
wirtschaftlichen Einbußen aufgrund des weiteren Lockdowns seit Februar | |
nicht weiter aufrechterhalten können und ordentlich betriebsbedingt | |
gekündigt.“ | |
Das steht scheinbar im Widerspruch zur temporären Schließung der drei | |
Museumsbuchhandlungen in München. „Denen fehlt es nun an Arbeitskräften. In | |
den drei Filialen kamen elf Studierende auf drei Festangestellte“, sagt | |
Lohner von der FAU. Obwohl die Gewerkschaft von den Werkstudent:Innen | |
angerufen wurde, um sie in diesem Konflikt zu vertreten, weigert sich die | |
Buchhandlung Walther König beharrlich, mit der Gewerkschaft zu reden. | |
## Auch für die Museen ist die Situation schwierig | |
Stattdessen beruft man sich darauf, dass man stets versuche, „Probleme | |
durch gemeinsame Gespräche einvernehmlich zu lösen. Dass uns dies hier | |
verwehrt wird und wir medienmäßig anonymen Vorwürfen ausgesetzt werden, | |
empfinden wir als sehr bedauerlich und verletzend.“ | |
Weiter heißt es im Verlagsstatement: „Es hat sich keiner der Münchener | |
Werkstudenten auf die Gewerkschaft FAU berufen. Die FAU hat die fraglichen | |
Werkstudenten auch nie benannt. Insofern handelt es sich also um | |
‚klandestine‘/anonyme Vorwürfe der FAU, denen wir uns nicht konkret stellen | |
können.“ Die mittlerweile gekündigte Werkstudentin erwidert: „Wir haben | |
klargemacht, dass die FAU uns vertritt. Und anonym sind die Vorwürfe | |
keineswegs.“ | |
Auch für die Museen ist die Situation schwierig. [3][Das Münchner | |
Lenbachhaus] antwortete auf Anfrage der taz schriftlich: „Wir bedauern die | |
Entwicklung und sind über die erhobenen Vorwürfe sehr besorgt, die konkrete | |
Ausgestaltung der Arbeitsverträge der Buchhandlung Walther König mit ihren | |
Mitarbeiter:Innen entziehen sich jedoch unserer Kenntnis.“ | |
Und weiter heißt es, „die Direktion des Lenbachhauses hat mehrmals darum | |
gebeten, hier zu einer fairen und gerechten Einigung zu kommen.“ Im Falle | |
des Lenbachhauses ist aber gar nicht das Museum, sondern die | |
Landeshauptstadt München Vermieterin der Buchhandlungsräume. Die anderen | |
Museen haben nicht geantwortet. | |
Das Museum Brandhorst bestätigte aber am Telefon, dass man die Situation | |
sondiere. FAU und Studierende wollen in der Zwischenzeit aus dem | |
Arbeitskonflikt einen Rechtsstreit machen und leiten gerade die nötigen | |
Schritte für den Rechtsweg ein. | |
26 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Archiv-Suche/!654161&s=Museum+Brandhorst&SuchRahmen=Print/ | |
[2] /Ausbeutung-von-Arbeitern-in-Berlin/!5758805 | |
[3] https://www.lenbachhaus.de/ | |
## AUTOREN | |
Lars Fleischmann | |
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