# taz.de -- Ausbeutung von Arbeitern in Berlin: „Erfahrungen zusammentragen“ | |
> Viele Arbeiter auf der Baustelle der Mall of Berlin wurden um ihren Lohn | |
> geprellt. Ein Buch geht der Frage nach, was aus ihnen wurde. | |
Bild: Als „Mall of Shame“ wurde die Einkaufsbude bundesweit bekannt: Bild a… | |
taz: Frau Schell, Herr Lackus, der Arbeitskampf migrantischer Bauarbeiter | |
der „Mall of Berlin“ hat in den Jahren 2014 und 2015 Schlagzeilen gemacht. | |
Warum geben Sie sechs Jahre später ein Buch dazu heraus? | |
Hendrik Lackus: Nachdem wir jahrelang den Kampf begleitet hatten, wollten | |
wir die Erfahrungen zusammentragen und dazu beitragen, dass diese | |
Geschichte eines migrantischen Arbeitskampfes auf einer Berliner Baustelle | |
nicht in Vergessenheit gerät. Insbesondere wollten wir wissen, was die | |
Bauarbeiter, die längst wieder weitergezogen waren, rückblickend über | |
diesen Kampf denken. Und wir wollten den Kampf historisch und politisch | |
einordnen. Deshalb haben wir recherchiert und auch Interviews mit Leuten | |
geführt, die nicht direkt beteiligt waren. | |
Mit wem haben Sie noch gesprochen? | |
Hendrik Lackus: Wir haben mit dem Historiker Karl-Hein Roth ein Interview | |
geführt, außerdem haben die beiden Sozialwissenschaftler Peter Birke und | |
Felix Bluhm einen Text über die Arbeitsmigration und die Probleme der | |
Organisierung beigesteuert. Zu arbeitsrechtlichen Fragen hat der Berliner | |
Jurist Klaus Stähle zwei Beitrage geschrieben. | |
Wo haben Sie die Gespräche mit den ehemaligen Bauarbeitern geführt? | |
Olga Schell: Wir haben die Leute vorwiegend zu Hause besucht. Nur mit | |
[1][Elvis Iancu] haben wir das Interview auf dem Parkplatz vor dem | |
Amazon-Center geführt, in dem er inzwischen arbeitet. Zunächst wollten wir | |
einige Arbeiter während des orthodoxen Osterfests in ihren Heimatorten in | |
Rumänien besuchen, doch dann haben wir uns entschieden, sie dort | |
aufzusuchen, wo sie die Suche nach Lohnarbeit hingeführt hatte. | |
Hendrik Lackus: Natürlich wollten wir wissen, in welchen | |
Arbeitsverhältnissen sie jetzt stecken und inwiefern die Erfahrung des | |
Protests in Berlin noch wichtig sind. Mit der Fahrt nach England hatten wir | |
außerdem die Idee verknüpft, den rumänischen Arbeiter Daniel Neagu im | |
Gefängnis zu besuchen. Er hatte frisch erbaute Häuser mit einem Bagger | |
wieder zerstört, nachdem er von dem Auftraggeber kein Geld bekommen hatte – | |
und kam nach dieser direkten Aktion ins Gefängnis. Leider bekamen wir dann | |
doch keine Besuchsgenehmigung und haben dann das Interview am Telefon | |
geführt. | |
Sie thematisieren selbst die lange Arbeit an dem Buch. Kamen Ihnen | |
irgendwann Zweifel, ob Sie es überhaupt herausbringen werden? | |
Hendrik Lackus: Ja, zwischendurch wollten wir nicht mehr und waren uns auch | |
unsicher über den Sinn der ganzen Sache. Wir hatten keine Erfahrungen | |
damit, kein geplantes Vorgehen und während der Arbeit am Buch hat sich auch | |
unsere Sichtweise immer wieder verändert. Außerdem haben sich so viele | |
Dinge in unseren Leben ereignet, die uns bedeutsamer als diese Textarbeit | |
erschienen. Angesichts der bereits geführten Interviews war wiederum | |
eigentlich klar, dass wir das Buch herausbringen müssen. | |
Welche Rolle haben Sie in dem Arbeitskampf gespielt? | |
Hendrik Lackus: Ich war als Sprachmittler für rumänisch dazu gestoßen und | |
bin dann auch in die FAU eingetreten. Bis heute mache ich dort | |
gewerkschaftliche Arbeit. | |
Olga Schell: Ich bin zunächst aus Solidarität mit den Kämpfenden zu den | |
Protesten dazu gestoßen, ohne Mitglied der FAU zu sein. Insgesamt würde ich | |
uns als solidarische UnterstützerInnen beschreiben. | |
Sie schreiben, dass es schwer war, die FAU-Mitglieder, die den Arbeitskampf | |
unterstützt haben, zu einem Interview zu bewegen. Warum wollen sie über | |
einen zentralen Kampf der Basisgewerkschaft nicht reden? | |
Olga Schell: Die Leute sind möglicherweise schnell von neuen | |
Alltagskonflikten eingenommen. Vermutlich teilen auch nicht alle unsere | |
Sicht auf die Besonderheit dieses „kleinen Ereignisfelds gesellschaftlicher | |
Praxis“ um den Historiker Karl-Heinz Roth zu zitieren, der das Vorwort zum | |
Buch geschrieben und uns ein längeres Interview gegeben hat. | |
Nach dem langen Kampf haben die Bauarbeiter ihren entgangenen [2][Lohn | |
nicht bekommen]. Würden Sie im Rückblick sagen, dass die FAU bei den | |
Arbeitern vielleicht falsche Erwartungen geweckt hat? | |
Hendrik Lackus: In erster Linie sind die Bauarbeiter durch den Protest | |
ihrer Opferrolle entkommen. Ob sich das gelohnt hat, wird von ihnen | |
unterschiedlich bewertet. Aber niemand macht der FAU Vorwürfe. Elvis Iancu | |
formuliert in seiner Rede bei einer Demo vor der Mall: „Ich kann sagen, | |
dass wir, die paar Rumänen, die mit diesem System kämpfen, heute nicht hier | |
wären ohne die Unterstützung der Gewerkschaft FAU, in der wir Mitglieder | |
geworden sind. Sie hat uns geholfen mit Unterkunft, Essen, Anwälten und | |
Vertrauen in uns – das Vertrauen, dass unser Kampf nicht umsonst ist und | |
dass durch unseren Kampf auch andere gewinnen.“ In dem Interview, das wir | |
Jahre später führen, sagt er, er sei damals enthusiastisch dabeigewesen, er | |
sähe dies im Rückblick aber anders: „Der Kampf war für mich verlorene Zeit! | |
Ich fühlte mich sehr erniedrigt!“ Als wir dann erzählten, dass Leute von | |
der FAU diese Zeit als spannend und toll empfunden haben, antwortete er: | |
„Das erscheint mir unglaublich, aber es freut mich. Dann habe ich | |
vielleicht meine Zeit doch nicht verloren.“ | |
22 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Peter Nowak | |
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