# taz.de -- Arbeitsbedingungen für Hebammen: „Es muss immer zack, zack gehen… | |
> Die Berliner Hebamme Denise Klein-Allermann kennt den Arbeitsalltag in | |
> kleinen und großen Kliniken. Sie wünscht sich mehr Zeit für die Frauen. | |
Bild: In großen Kliniken betreuen Hebammen meist mehrere Geburten gleichzeitig | |
taz: Frau Klein-Allermann, arbeiten Sie gern als Hebamme? | |
Denise Klein-Allermann: Ja, sehr gern. | |
Es heißt oft, dass [1][Hebammen in ihrer Ausbildung geschockt sind von den | |
Arbeitsbedingungen] in Kreißsälen. | |
Da treffen Ideale und Wirklichkeit aufeinander. Und das kann schon | |
schockieren. | |
Was ist so schockierend? | |
In der Ausbildung lernt man: Eins-zu-eins-Betreuung ist wichtig, und Frauen | |
sollen gestärkt werden in ihrer individuellen Art und Weise, ihr Kind zu | |
bekommen. Aber dafür müssten die Rahmenbedingungen in den Kliniken stimmen | |
– und das tun sie überhaupt nicht. | |
Was meinen Sie damit? | |
Ich gebe mal ein Beispiel: Wenn das Kind kurz nach der Geburt das erste Mal | |
die Lippen und die Zunge bewegt und schmatzt, möchte ich gern bei der Frau | |
sein, um mit ihr das Kind anzulegen. Gerade bei einer Frau, die | |
verunsichert ist und nicht richtig weiß, wie das Kind an die Brust kommen | |
soll. | |
Dafür haben Sie keine Zeit? | |
Nein, ich muss sofort zur nächsten Frau. Im Idealfall bin ich nach 20 | |
Minuten wieder da. Dabei ist es total wichtig, dass das Kind innerhalb der | |
ersten Stunde nach der Geburt an die Brust kommt, weil da das Saugbedürfnis | |
am stärksten ist. Aber es muss halt alles zack, zack gehen. Unter der | |
Geburt gibt es auch Latenzphasen, in denen die Frau vielleicht sogar noch | |
mal einschläft. Diese Ruhephasen sind ganz normal. Aber in der Klinik heißt | |
es: Wir brauchen den Kreißsaal, die Nächsten warten schon, und dann geben | |
wir ein Medikament, damit die Wehen wieder einsetzen. | |
In Kliniken [2][betreuen Hebammen zum Teil mehrere Geburten gleichzeitig]. | |
Wie funktioniert das überhaupt? | |
Wir sind in der Regel drei Hebammen pro Dienst für sechs Geburtsräume und | |
mehrere Aufnahmezimmer. Die Hebammen koordinieren dann, wer welche Frau | |
übernimmt. Wenn ich beispielsweise eine Zweitgebärende habe, deren | |
Muttermund sich bereits auf acht Zentimeter geöffnet hat, dann sollte ich | |
bei ihr bleiben. Wichtig ist, dass eine Hebamme nicht zwei Frauen | |
gleichzeitig in der letzten Geburtsphase hat. | |
Und das klappt? | |
Nein, selten, weil wir grundsätzlich einfach zu wenig Hebammen sind. Wären | |
wir mehr, müssten wir uns weniger koordinieren und könnten auch wirklich | |
bei einer Frau bleiben. | |
Wie unterscheidet sich die Arbeit in der großen Klinik von der in der | |
kleineren? | |
Die ersten vier Jahre nach meiner Ausbildung habe ich in einer kleineren | |
Klinik mit etwa 900 Geburten im Jahr gearbeitet. Wir haben dort weniger | |
invasiv eingegriffen, weil wir mehr Zeit hatten, aber auch, weil wir mehr | |
normal verlaufende Geburten hatten. Jetzt arbeite ich in einem Zentrum mit | |
Maximalversorgung. Da haben wir erstens weniger Zeit, ich muss schnell | |
erkennen, was eine Frau braucht, und zweitens mehr Risikoklientel. Für mich | |
gehört die Arbeit in einer großen Klinik auch zum Erfahrungsspektrum einer | |
Hebamme. Ich finde es wichtig, auch pathologische Geburtsverläufe zu | |
betreuen. Langfristig sehe mich aber eher in einem kleineren Haus. | |
Warum? | |
Große Kliniken mit Maximalversorgung betreuen auch Risikogeburten. Zugleich | |
aber ist der Personalschlüssel meist schlechter als in kleineren Häusern. | |
Das bedeutet: weniger Zeit für risikoreichere Geburten. Das macht das | |
Arbeiten in einem großen Zentrum herausfordernder. Ich würde es auch eher | |
Geburtsmedizin nennen. Auch die Ärztinnen und Ärzte in solchen großen | |
Zentren sehen vieles nur noch durch die pathologische Brille. | |
Einmal im Jahr wird an [3][Gewalt in der Geburtshilfe] erinnert. Was ist | |
damit gemeint? | |
Das ist nicht fest definiert, und Empfindungen von Frauen, die Gewalt unter | |
der Geburt erfahren haben, können ganz unterschiedlich sein. Manche Frauen | |
beispielsweise empfinden es zu recht als Gewalt, wenn unter der Geburt | |
etwas getan wurde, ohne dass sie dabei einbezogen wurden, etwa das Öffnen | |
der Fruchtblase oder das Anhängen eines Medikaments. Ich ermutige Frauen | |
immer, sich vor der Geburt Gedanken darüber zu machen und diese klar zu | |
kommunizieren. | |
Welche Bedingungen würden gute Geburten befördern? | |
Im Rahmen der [4][Berliner Krankenhausbewegung] haben letztes Jahr auch die | |
Hebammen gestreikt. Wir konnten einen [5][sehr guten verbindlichen | |
Personalschlüssel] erkämpfen, der für große Häuser fast die doppelte | |
Schichtbesetzung bedeutet. Damit können wir Frauen kontinuierlicher | |
betreuen, uns mehr auf ihre Bedürfnisse einlassen. Das macht für mich eine | |
gute und sichere Geburtshilfe aus. | |
16 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
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