# taz.de -- Investitionen in Berliner Kliniken: Diagnose akute Unterversorgung | |
> 350 Millionen Euro seien nötig, sagen Kritiker: Im Haushalt sind aber nur | |
> 150 Millionen für Investitionen in die Krankenhäuser vorgesehen. | |
Bild: Kliniken ein Krankenhausfall? Blick in Berliner Intensivstation | |
Berlin taz | Es muss schon etwas gewaltig schieflaufen, damit | |
Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen gemeinsam demonstrieren. | |
Genau das passiert am Montag. Unter dem Motto [1][„Klinikoffensive jetzt!“] | |
zieht ein breites Bündnis für höhere Investitionen in die Krankenhäuser um | |
10 Uhr vor das Abgeordnetenhaus. Mit dabei: die Berliner | |
Krankenhausgesellschaft – der Lobbyverband der Berliner Krankenhausträger, | |
Vertreter:innen zahlreicher Krankenkassen sowie gewerkschaftliche | |
Gruppierungen wie der Marburger Bund und der arbeitnehmernahe | |
Landespflegerat. | |
Schon im März hatte das Bündnis in einem offenen Brief an das | |
Abgeordnetenhaus kritisiert, es sei „schlichtweg nicht mehr zu erklären“, | |
dass im derzeitigen Haushaltsentwurf nur rund 150 Millionen Euro für | |
Investitionen in die Krankenhäuser vorgesehen sind. Die | |
Krankenhausgesellschaft rechnet mit einem jährlichen Investitionsbedarf von | |
350 Millionen Euro – demnach würde der Senat nicht einmal die Hälfte der | |
benötigten Gelder bereitstellen. | |
Selbst die zur Bestandserhaltung nötige Summe von 256 Millionen Euro würde | |
nicht erreicht. „Wir verbrauchen schlicht die Substanz“, sagte Marc | |
Schreiner, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft, zur taz. | |
Dabei rühmen sich SPD, Grüne und Linke seit zwei Legislaturperioden damit, | |
sich für höhere Investitionen in die Krankenhäuser einsetzen zu wollen. Im | |
[2][rot-grün-roten Koalitionsvertrag von 2021] wird ein „Zukunftsprogramm | |
Krankenhäuser“ versprochen, die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey | |
(SPD) hatte das Thema während der letzten Koalitionsverhandlungen gar als | |
„Flaggschiff“ der neuen Koalition bezeichnet. Laut der | |
Krankenhausgesellschaft sei die Investitionssumme aber – im völligen | |
Gegensatz zu diesen großen Worten – tatsächlich um etwas mehr als ein | |
Drittel eingebrochen. Noch 2021 seien 235 Millionen Euro bereitgestellt | |
worden. | |
## Andere Zahlen | |
Mit völlig anderen Zahlen rechnet dagegen Alexis Demos, Sprecher der | |
Senatsfinanzverwaltung. Auf taz-Nachfrage schreibt er, tatsächlich seien | |
die Investitionen von 136 Millionen (2021) auf 147,8 Millionen (2022) Euro | |
erhöht worden – wenn auch äußerst moderat. | |
Der Knackpunkt: In Demos’ Rechnung fehlt ein fast 96 Millionen Euro | |
umfassendes Programm, mit dem sich der Senat verpflichtete, Zins- und | |
Tilgungsraten von durch die Krankenhäuser neu aufgenommenen Krediten | |
abzusichern. Das Programm sei nicht genutzt worden, so Demos, weshalb es | |
eingestellt worden sei. Auch Schreiner nennt das Angebot „unattraktiv“, | |
beklagt aber, dass den Krankenhäusern durch den Wegfall eine „zusätzliche | |
Finanzierungsmöglichkeit vorenthalten“ würde. | |
Tatsächlich haben die Krankenhäuser einen Rechtsanspruch auf | |
Investitionsgelder. So sieht es die duale Krankenhausfinanzierung vor, eine | |
der zentralen Säulen des deutschen durchökonomisierten Gesundheitssystems. | |
Demnach sollen die Krankenkassen über ein Preissystem die Personal- und | |
Behandlungskosten finanzieren, während die Bundesländer für Investitionen | |
wie etwa technische Geräte oder Renovierungen zuständig sind. | |
Das Problem: Weil Berlin (wie viele weitere Bundesländer) dieser | |
Verantwortung seit Jahren nicht nachkommt, sei inzwischen eine | |
Investitionslücke von 2,1 Milliarden Euro aufgelaufen, sagt Schreiner. | |
Jedes Jahr zweckentfremden die Krankenhäuser deshalb Kassengelder, | |
eigentlich gedacht für Personal und Patient:innen, um die nötigsten | |
Investitionen doch noch zu tätigen. | |
## Die Sache mit den Eigenmitteln | |
Das ist kein Geheimnis: Der kommunale Klinikkonzern Vivantes etwa gibt | |
alljährlich an, wie viele Investitionsgelder aus sogenannten „Eigenmitteln“ | |
stammen: 2020 waren es 116,8 Millionen Euro. | |
Diese Eigenmittel sparen die Krankenhäuser zum Beispiel ein, indem sie | |
Arbeitsbereiche auf formal unabhänge Tochtergesellschaften auslagern, | |
wodurch Tariflöhne umgangen werden können. Unter anderem, um gegen diese | |
Praxis vorzugehen, stellten die Beschäftigten der kommunalen Krankenhäuser | |
im vergangenen Jahr den wohl bisher längsten Krankenhausstreik in Berlin | |
auf die Beine – [3][und waren erfolgreich]. In den | |
Vivantes-Tochterunternehmen sollen die Löhne nun zumindest näherungsweise | |
an den Tarifvertrag angeglichen werden, obwohl Vivantes unterm Strich immer | |
noch Geld einspart. | |
Nicht auf der Demo vertreten sein wird übrigens die Gewerkschaft Verdi. Man | |
teile die Forderung nach Schließung der Investitionslücke, sagte | |
Gewerkschafterin Gisela Neunhöffer der taz. Das Finanzierungssystem sei | |
grundsätzlich reformbedürftig. Zu denken gibt der Gewerkschaft etwa die | |
öffentliche Finanzierung von privatwirtschaftlichen Kliniken. Kürzlich | |
hatte etwa der Klinikkonzern Fresenius angekündigt, 20 Prozent seiner | |
Tochter Helios verkaufen zu wollen. Weil Helios aber vorher durch das Land | |
Berlin finanziert wurde, würde so „aus öffentlichen Geldern privates | |
Vermögen aufgebaut“, sagt Neunhöffer. Ein öffentliches Gesundheitswesen | |
gehöre in öffentliche Hand. | |
25 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.klinikoffensive.de/ | |
[2] /Rot-gruen-roter-Koalitionsvertrag/!5815671 | |
[3] /Pflegestreik-erfolgreich/!5804475 | |
## AUTOREN | |
Timm Kühn | |
## TAGS | |
Berlin | |
Franziska Giffey | |
Krankenhäuser | |
Abgeordnetenhaus | |
Vivantes | |
Geburtshilfe | |
IG | |
Vivantes | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Notaufnahmen sind am Limit: Keine Rettung in Sicht | |
In den Vivantes-Notaufnahmen ist die Lage so schlimm wie nie, sagen | |
Beschäftigte – und berichten von fragwürdigen Konzernpraktiken. | |
Arbeitsbedingungen für Hebammen: „Es muss immer zack, zack gehen“ | |
Die Berliner Hebamme Denise Klein-Allermann kennt den Arbeitsalltag in | |
kleinen und großen Kliniken. Sie wünscht sich mehr Zeit für die Frauen. | |
Kinderkrankenhäuser am Limit: Und dann geht es schief | |
In einem Brandbrief prangern fast alle Berliner Kinderkliniken dramatische | |
Personalengpässe in den Rettungsstellen und Kinderstationen an. | |
Berliner Krankenhausbewegung: Erfolgreich zu Ende gestreikt | |
Nach den Pflegekräften von Charité und Vivantes erringen auch die | |
Beschäftigten der Vivantes-Tochtergesellschaften Verbesserungen. Der Streik | |
ist vorbei. |