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# taz.de -- Notaufnahmen sind am Limit: Keine Rettung in Sicht
> In den Vivantes-Notaufnahmen ist die Lage so schlimm wie nie, sagen
> Beschäftigte – und berichten von fragwürdigen Konzernpraktiken.
Bild: 3 Pfleger:innen für einen Patienten gibt es selten
Berlin taz | Der Betriebsrat des kommunalen Klinikkonzerns Vivantes hat
sich in einer dramatischen Mitteilung an die Öffentlichkeit gewandt, um auf
die Zustände in den Notaufnahmen der Vivantes-Kliniken hinzuweisen. Die
Personalsituation sei „so schlecht wie noch nie“, heißt es in der
Mitteilung.
„Fast täglich“ müssten sich [1][Notaufnahmen] bei der Leitstelle abmelden
mit der Folge, dass Rettungswagen mit Notfallpatient:innen abgewiesen
werden. Der Versorgungsauftrag könne „nicht immer“ erfüllt werden. Die
Wartezeit für Patient:innen betrage aktuell zwischen 6 bis 48 Stunden.
„Eigentlich sollen wir in einer normalen Schicht 13 Pfleger:innen sein,
doch wenn wir zu viert sind, ist das schon gut“, berichtet auch Katja
Müller, Pflegerin in einer Vivantes-Notaufnahme. „Es haben unglaublich
viele Kolleg:innen gekündigt“, sagt sie. Andere seien dauerkrank, weil
sie die Arbeit psychisch und physisch nicht mehr leisten könnten.
Dabei hatten die Kolleg:innen letztes Jahr, als die Krankenhausbewegung
einen [2][Entlastungsvertrag] erstreiken konnte, neue Hoffnungen geschöpft.
Doch verbessert habe sich wenig. Zwar lege der Tarifvertrag
Mindestbesetzungen fest, doch diese würden nicht eingehalten. Auch die
Entlastungspunkte, die Schichten in Unterbesetzung laut Vertrag generieren
sollen, würden auf den Arbeitszeitbögen nicht immer auftauchen. „Wem welche
Punkte angerechnet werden erscheint völlig willkürlich“, sagt Müller.
## Repression gegen aktive Beschäftigte
Eigentlich heißt Müller anders. Doch unter ihrem echten Namen mit der
Presse zu sprechen traut sie sich nicht mehr. Kolleg:innen, die Missstände
in Vivantes-Kliniken publik gemacht haben, seien zu Personalgesprächen
eingeladen worden, berichtet sie. Der Betriebsrat bestätigt das auf
taz-Nachfrage. Auch Ärzt:innen würden wegen ihrer öffentlichen Äußerungen
unter Druck gesetzt.
Offiziell sage Vivantes das nicht, doch die Gespräche dienten dem Zweck,
Angst vor Abmahnungen oder Kündigungen zu schüren – auch wenn dies
arbeitsrechtlich nicht haltbar sei. „Das ist Psychoterror“, sagt Müller.
Auf taz-Nachfrage bestätigt Vivantes-Sprecher Christoph Lang, dass der
Konzern Beschäftigte befragt, die „öffentlich oder intern den Verdacht auf
Gefährdung des Patientenwohls“ äußern. Grundsätzlich dürften
Arbeitnehmer:innen keine „Unternehmensinterna“ an die Öffentlichkeit
tragen oder „bewusste Falschaussagen“ über das Unternehmen treffen. Dennoch
könnten sich Angestellte von Vivantes „selbstverständlich“ frei äußern.
Auch gebe es die Möglichkeit, „sich anonym an einen externen Ombudsmann zu
wenden“.
Müller aber sagt, das bringe nichts. „Wir haben die Missstände etliche Male
kommuniziert.“ Auch der Betriebsrat schreibt, es lägen „etliche
Gefährdungsanzeigen“ von Mitarbeiter:innen vor.
## Überforderung von Beschäftigten
Rettungswagen müssten häufig viel zu lange darauf warten, dass
Patient:innen von Pfleger:innen angenommen werden, erzählt Müller.
Nach ärztlicher Anordnung würden Medikamente viel zu spät verabreicht.
„Wenn eine Kollegin einen Patienten beatmet, die andere einen Oberschenkel
gipst und dann ein kritischer Fall reinkommt, entstehen Verzögerungen, die
Menschenleben gefährden“, sagt sie. Konkreter werden möchte Müller
öffentlich nicht – aus Angst, dass die Fälle ihr zugeordnet werden könnten.
Vivantes setze auch Medizinische Fachangestellte (MFAs) in den Notaufnahmen
für Aufgaben ein, für die diese gar nicht ausgebildet seien, so Müller
weiter. Im Gegensatz zu jener von Pfleger:innen legt die Ausbildung von
MFAs einen stärkeren Fokus auf kaufmännische Tätigkeiten, wie zum Beispiel
dem Abrechnen von Leistungen.
Im Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) werden MFAs auch
schlechter eingruppiert als Pfleger:innen, in den meisten Fällen verdienen
sie einige hundert Euro weniger. Gut möglich, dass dies ein Grund ist,
warum Vivantes anscheinend verstärkt auf MFAs setzt.
## Was bleibt ist Frustration
Auf taz-Nachfrage bestätigt Sprecher Lang, dass MFAs in den Rettungsstellen
eingesetzt werden. Deren „wertvollen Beitrag als minderqualifiziert zu
degradieren“ gehe jedoch an der Realität vorbei, da MFAs über eine
dreijährige Ausbildung verfügen – wie Pfleger:innen auch.
Das diese unterschiedliche Schwerpunkte haben, erwähnt Lang nicht. Auch
bleibt unerwähnt, dass schon das Pflegeberufsgesetz vorschreibt, dass
einige Tätigkeiten – insbesondere solche, die eigenständige
Pflegeentscheidungen beinhalten – nur von Pfleger:innen ausgeführt
werden dürfen.
„Natürlich haben sich viele MFAs über die Jahre einiges angeeignet“, sagt
Müller. Wenn die Klinikleitung sie aber unter Verweis auf die Personalnot
in den Schockraum einteile oder die MFAs Medikamente vergeben müssten, sei
das aber gefährlich – gerade bei jungen Kolleg:innen. „Wer die möglichen
Nebenwirkungen eines Medikaments nicht kennt, kann auch nicht reagieren,
wenn es zum Beispiel zu allergischen Reaktionen kommt“, sagt sie.
Dass die Klinikleitungen keine Einsicht zeigen, frustriert Müller. Sie
würden noch nicht einmal versuchen, die Kolleg:innen, die kündigen, zu
halten. Auch neue Stellen müssten dringend genehmigt werden. „Wenn das
nicht passiert nehme ich meine Sachen und gehe“, sagt sie. „Wie viele
Menschen sehen wir denn wegen dem Personalmangel sterben?“ Es gebe nur ein
bestimmtes Maß, das jeder Mensch ertragen kann.
15 Aug 2022
## LINKS
[1] /Vivantes-Mitarbeiterinnen-am-Limit/!5814014
[2] /Arbeitsbedingungen-in-Krankenhaeusern/!5867227
## AUTOREN
Timm Kühn
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