# taz.de -- Krankenhausbewegung: Beschäftigte unter Druck | |
> Der Klinikkonzern Vivantes geht gegen Beschäftigte vor: Verhandlungen in | |
> den Töchtern sind in einer Sackgasse, eine Aktivistin wurde abgemahnt. | |
Bild: Ohne Reinigung geht im Krankenhaus nichts, viel Geld gibt es trotzdem nic… | |
Berlin taz | Der kommunale Klinikkonzern Vivantes will anscheinend nicht | |
vom Konfrontationskurs gegenüber den Beschäftigten abweichen, auf dem sich | |
der Konzern seit geraumer Zeit befindet. Davon zeugen gleich zwei | |
Entwicklungen aus den vergangenen Wochen: Wie die Gewerkschaft Verdi | |
mitteilte, mahnte die Personalgeschäftsführung die Pflegerin und bekannte | |
Aktivistin für bessere Arbeitsbedingungen, Silvia Habekost, für Äußerungen | |
in einem taz-Artikel ab. Zudem kritisiert Verdi, dass die Geschäftsführung | |
alle Gespräche in einem Streit in den Töchterunternehmen abgebrochen habe. | |
In den Töchtern laufen seit Abschluss der im vergangenen Jahr erkämpften | |
Tarifverträge [1][Nachgespräche], wie genau diese umzusetzen sind. „Wir | |
waren wirklich kurz vor einer Einigung“, sagte Verdi-Verhandlungsführerin | |
Gisela Neunhöffer der taz. Am Montag vergangene Woche habe die | |
Personalgeschäftsführerin Dorothea Schmidt der Gewerkschaft ein | |
unterschriebenes Eckpunktepapier vorgelegt, versehen mit einer Deadline bis | |
Donnerstagnacht. | |
Plötzlich gefehlt habe darin aber ein Verweis auf eine Reihe von | |
Erschwerniszulagen, der im Tarifvertrag eigentlich vereinbart wurde. | |
„Vielleicht haben sie gehofft, dass wir das nicht bemerken“, sagt | |
Neunhöffer. Zudem habe die Geschäftsführung eine verabredete verbesserte | |
Lohneingruppierung für etwa 1.000 Beschäftigte, die etwa in der Reinigung | |
arbeiten, „extrem kompliziert und juristisch verklausuliert“ verfasst. Das | |
habe die Tarifkommission misstrauisch gemacht. „Die Formulierung hätte nur | |
zu neuen Interpretationskonflikten geführt“, sagt Neunhöffer zur taz. | |
„Wir haben daraufhin eine stark vereinfachte Formulierung zurückgeschickt | |
und auf die Erschwerniszulagen gepocht“, schildert Neunhöffer das Vorgehen | |
der Gewerkschaft. Doch Schmidt habe die Gespräche abgebrochen – was Verdi | |
als „Friss oder Stirb-Strategie“ kritisiert. „Das bedeutet, dass bis zu | |
1.000 Beschäftigte im Niedriglohnsektor leer ausgehen“, sagt Neunhöffer | |
hörbar frustriert. Zwar bringe der neue Tarifvertrag dennoch Verbesserungen | |
für viele Beschäftigte, den Betroffenen bliebe nun aber noch der Rechtsweg | |
– Verdi will ihre Mitglieder unterstützen. | |
## Gewerkschaftlerin abgemahnt | |
Dieser Schilderung entgegen steht Vivantes-Sprecherin Astrid Steuber, die | |
auf taz-Nachfrage lediglich schreibt, dass Verdi das Angebot „bisher nicht | |
angenommen“, sondern „weitere Nachbesserung“ gefordert habe. Von einem | |
Abbruch der Gespräche redet Steuber nicht, sondern sagt, das Angebot habe | |
weiter Bestand. Es sehe Verbesserungen vor, „deutlich über den Tarifvertrag | |
für die Tochtergesellschaften hinaus“. Außerdem würde „eine Vielzahl“ … | |
Beschäftigten in den Töchtern in eine bessere Gehaltsgruppe rutschen – die | |
Erschwerniszulagen bleiben unerwähnt. Das Angebot sei aus den genannten | |
Gründen jedoch weiterhin nicht akzeptabel, hieß es am Donnerstag aus Verdi. | |
Vivantes sei auch nicht bereit, über den Gegenvorschlag von Verdi zu | |
sprechen. | |
Nicht äußern will sich die Vivantes-Sprecherin zur Abmahnung von Silvia | |
[2][Habekost] – der Konzern dürfe „Personalangelegenheiten, die einzelne | |
Mitarbeitende betreffen“ nicht öffentlich kommentieren. Doch Habekost ist | |
nicht irgendeine Mitarbeiterin, sondern gehört zu den bekanntesten Köpfen | |
der [3][Berliner Krankenhausbewegung], die sich für eine Verbesserung der | |
[4][teils katastrophalen Arbeitsbedingungen] in den landeseigenen Berliner | |
Kliniken einsetzt. Seit 15 Jahren ist Habekost gewerkschaftlich aktiv, seit | |
30 Jahren arbeitet sie im Vivantes-Klinikum als Pflegerin in der | |
Anästhesie. | |
Ihre Abmahnung kann deshalb, wie es vonseiten Verdi heißt, als Versuch | |
gelesen werden, Habekost „den Mund zu verbieten“. Nach taz-Informationen | |
wird Habekost vorgeworfen, [5][in einem taz-Artikel] angeblich unwahre | |
Aussagen über den Klinikkonzern gemacht und damit den Ruf des Unternehmens | |
geschädigt zu haben. | |
Im Artikel kritisiert Habekost, Vivantes würde „jede Lücke“ des im | |
vergangenen Jahr erkämpften Tarifvertrags ausnutzen – und diesen damit | |
unterlaufen. Sie untermauerte dies mit eine Reihe von Beispielen: So würden | |
durch ein minutengenaues System der Schichterfassung zum Beispiel Übergaben | |
aus der erfassten Zeit in Unterbesetzung herausfallen. Nicht alle | |
Klinikbeschäftigten erhielten einen Lohnaufschlag für das Einspringen an | |
freien Tagen. Nur neue Azubis bekämen Ausbildungslaptops gestellt, alle | |
anderen nicht. Habekost's Liste ließe sich fortführen. | |
## Gewerkschaft ratlos über Konfrontationskurs | |
Vivantes versuche „Kritik einfach zu verbieten, anstatt die Probleme | |
konstruktiv zu lösen“, lässt Susanne Feldkötter, stellvertretende | |
Landesbezirksleiterin von Verdi Berlin-Brandenburg, in einer Mitteilung | |
verlauten. Der Versuch, „durch ein derart rabiates Vorgehen einzelne in der | |
Öffentlichkeit stehende Gewerkschaftsmitglieder mundtot zu machen“, sei | |
„zum Scheitern verurteilt“. Verdi-Jurist:innen hätten die Abmahnung geprü… | |
und für unberechtigt befunden. Auch Habekost teilte der taz mit, sie werde | |
sich nicht einschüchtern lassen. | |
Selbst in der Gewerkschaft ist man zunehmend ratlos, wie mit dem Kurs der | |
Vivantes-Personalabteilung umzugehen sei. Das Unternehmen müsse sich | |
grundsätzlich überlegen, „ob es der richtige Weg ist, etwa in der Pandemie | |
stets außergewöhnliche Leistungen zu verlangen, aber immer wieder aber auf | |
Konfrontation zu setzen.“ Ein Ende dieser Strategie ist aber nicht in | |
Sicht: Erst kürzlich habe Neunhöffer erfahren, dass die Geschäftsführung | |
die Beschäftigten, die in der Tarifkommission der Tochterunternehmen | |
sitzen, für ihre nächste Sitzung nicht freigestellt habe. | |
1 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://bb.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++1d4f03ea-2906-11ed-9054… | |
[2] /Pflegerin-ueber-Pflegenotstand-und-Corona/!5765838 | |
[3] https://berliner-krankenhausbewegung.de/ | |
[4] /Notaufnahmen-sind-am-Limit/!5871713 | |
[5] /Arbeitsbedingungen-in-Krankenhaeusern/!5867227 | |
## AUTOREN | |
Timm Kühn | |
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