| # taz.de -- Kolumne Nach Geburt: Vorwürfe während der Wehen | |
| > „Wenn Sie nicht wollen, dass Ihr Kind stirbt…“: Vielen Frauen wird unter | |
| > der Geburt Gewalt angetan. Es ist Zeit für ein bisschen Mansplaining. | |
| Bild: Wie wird wohl die Geburt? Hoffentlich besser als die erste, die ich erleb… | |
| Gerade, am 3. November, war der Weltmännertag. Kommende Woche, am 19. | |
| November, folgt der – nicht verwechseln! – „Internationale Männertag“,… | |
| am 25. November ist es dann Zeit für den „Internationalen Tag zur | |
| Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“. Wie verbinde ich das nun? Ganz | |
| einfach: [1][Mansplaining]. | |
| Kurz zusammengefasst: Männer erklären Frauen die Welt. | |
| Und da Teil des „Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen | |
| Frauen“ die „Roses Revolution“ ist, eine Aktion gegen Gewalt in der | |
| Geburtshilfe, und es schließlich gute männliche Tradition ist über | |
| Abtreibung, Geburt und sowas unter Ausschluss von Frauen zu diskutieren, | |
| eignet sich kaum ein Thema besser für mein Mansplaining. | |
| Fangen wir an: Bei der „Roses Revolution“ legen Frauen oder Männer oder | |
| Eltern eine rosafarbene Rose vor die Kreißsaaltür hinter der sie Gewalt | |
| erfahren haben. Das mag kitschig klingen, ist es vielleicht auch, aber es | |
| weist BesucherInnen, PatientInnen wie ÄrztInnen und Hebammen auf das hin, | |
| was in unserer Gesellschaft verdrängt wird. Verdrängt von dem Mantra | |
| „Hauptsache, dem Kind geht’s gut“. Denn es gibt Gewalt gegen Frauen unter | |
| der Geburt. Ich weiß es. Ich war dabei. | |
| Die Geburt von Tochter eins war eine eingeleitete Beckenendlagengeburt. Sie | |
| lag mit Po und Beinen nach unten, ein etwas komplizierter Fall. Nachdem wir | |
| morgens in die Klinik gekommen waren, lief eigentlich alles schief: Die | |
| Tabletten wirkten nicht, meine Freundin lag zwischenzeitlich mehr als eine | |
| Stunde in extrem unbequemer Position am Wehenschreiber, als dann doch mal | |
| jemand reinkam, sagte die Schwester vergnügt, dass wir ja ihr einfachster | |
| Fall heute wären, „um sie müssen wir uns ja gar nicht kümmern.“ „Sollt… | |
| Sie aber“, dachte ich mir, „wir sind die mit dem komplizierten Fall.“ Hä… | |
| ich's mal gesagt. | |
| ## „Sie helfen der Mutter nicht“ | |
| Als die Nacht hereinbrach, gab es kein richtiges Zimmer für uns, als dann | |
| kurz nach Mitternacht die Geburt doch losging, strahlte die behandelnde | |
| Ärztin mit jeder Faser ihre Körpers aus, dass sie das nicht machen will, | |
| eine Hebamme musste sie daran hindern – trotz des schon voll geöffneten | |
| Muttermundes – den Kreißsaal zu verlassen („Sie gehen nirgendwo hin“). D… | |
| (De-)Motivation meiner Freundin durch die Ärzte gipfelte in dem Satz: „Wenn | |
| Sie nicht wollen, dass Ihr Kind stirbt…“ | |
| Denken Sie sich den Rest. Und denken Sie sich, wie das bei einer werdenden | |
| Mutter ankommt. | |
| Wieder war es eine Hebamme, die die Ärzte zurechtwies: „Sie helfen der | |
| Mutter nicht.“ | |
| Als unsere Tochter zur Welt kam, atmete sie nicht, ihr Herz schlug nicht, | |
| sie wurde zur Reanimation weggebracht. Mit meiner Freundin und mir sprach | |
| erst einmal: niemand. | |
| Mangelhafte Betreuung, mangelhafte Kommunikation und Vorwürfe unter der | |
| Geburt – was ist das, wenn nicht Gewalt? | |
| ## „Ich hatte ja keine Wahl“ | |
| Wer so etwas erlebt, Wochen auf der Intensivstation am Bett seiner Tochter | |
| verbringt und darüber spricht, demgegenüber öffnen sich viele Mütter. | |
| Meiner Freundin gegenüber vermutlich viel mehr als mir. Und viele von ihnen | |
| haben schlimme Geschichten zu erzählen. Häufig geht es um das Gefühl, wie | |
| eine Sache behandelt worden zu sein, wie etwas, das keine Mitspracherechte | |
| hat, um die Alternativlosigkeit vor die frau sich von ÄrztInnen gestellt | |
| fühlt. Es wird über den Kopf der Mütter hinweg entschieden, sie fühlen sich | |
| nicht ernstgenommen, teilweise erniedrigt. Einige Mütter sagen nach Geburt | |
| fast entschuldigend: „Ich hatte ja keine Wahl.“ | |
| Doch. Frauen sollten möglichst immer die Wahl haben. Und wenn nicht, dann | |
| sollte erläutert werden, warum nicht. Aber unter der Geburt läuft es | |
| anscheinend häufig anders. „Viele Frauen erfahren respektlose und | |
| missbräuchliche Behandlung unter der Geburt“, schreibt beispielsweise die | |
| Weltgesundheitsorganisation in einem Statement. Hauptsache, dem Kind geht’s | |
| gut. | |
| Vielleicht werde ich in diesem Jahr eine Rose vor unsere Geburtsstation | |
| legen. Wahrscheinlich nicht. Ich bin eigentlich nicht der Typ für kitschige | |
| Symbole. Ich mag keine Rosen. Diese Kolumne ist meine Rose. | |
| So. Ende des Mansplainings. Tochter zwei ruft. Ich hab jetzt Elternzeit. | |
| Tschüs. | |
| 10 Nov 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] /!5303897/ | |
| ## AUTOREN | |
| Jürn Kruse | |
| ## TAGS | |
| Nach Geburt | |
| Gewalt gegen Frauen | |
| Geburt | |
| Männer | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| Schwerpunkt Abtreibung | |
| Nach Geburt | |
| Kinder | |
| Kirche | |
| Schwerpunkt Brexit | |
| Nach Geburt | |
| Nach Geburt | |
| Nach Geburt | |
| Zivilschutz | |
| Kinder | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kolumne Mithulogie: Schau durch meine Augen, Kleines! | |
| Wer mansplaining sagt, reduziert Menschen auf Geschlechterstereotype. Kann | |
| das dabei helfen Sexismus zu reduzieren? | |
| Hebammenkrise in Berliner Kreißsälen: Wehe, du kommst! | |
| In Berlins Kliniken fehlen Hebammen. Nun treffen sich Politik und | |
| Krankenhausträger zum Krisengespräch. Für unsere Autorin kommt das zu spät. | |
| Senat in Chile lockert Verbot: Abtreibung manchmal erlaubt | |
| In bestimmten Fällen – nach einer Vergewaltigung oder bei Gefahr für das | |
| Leben der Mutter – sollen Frauen in Chile jetzt eine Schwangerschaft | |
| beenden dürfen. | |
| Kolumne Nach Geburt: Süchtig nach Gebrauchtwerden | |
| Müttern wird oft unterstellt, sie könnten nicht loslassen. Sie wollten | |
| lieber allein die Kinder hüten. Aber warum können die Männer das so | |
| einfach? | |
| Kolumne Nach Geburt: Rollentausch! | |
| Bis jetzt hat sich unsere Autorin um die Kinder gekümmert. Jetzt muss sie | |
| arbeiten – und übernimmt die Kolumne von Papa Jürn Kruse. | |
| No Choice im Krankenhaus: Christliche Klinik streicht Abtreibungen | |
| Im Kreis Schaumburg können ungewollt schwanger gewordene Frauen nicht mehr | |
| abtreiben. Der Betreiber des Kreisklinikums lehnt das ab. | |
| Kolumne Liebeserklärung: Briten auf Toblerone-Entzug | |
| Die Schokolade wird jetzt in Großbritannien mit weniger Dreiecken verkauft. | |
| Wir Briten wollten den Brexit – aber nicht um diesen Preis! | |
| Kolumne „Nach Geburt“: Wissenschaftlich bewiesen! | |
| Warum versuchen die Anhänger des Familienbetts so krampfhaft, diese Form | |
| des Schlafens als überlegen zu verkaufen? | |
| Kolumne „Nach Geburt“: Kinder an die Macht? Am Arsch! | |
| Kinder wollen keinen Frieden – da können sie bei irgendwelchen | |
| Eröffnungsfeiern noch so viele weiße Tauben in die Luft schmeißen. | |
| Kolumne „Nach Geburt“: Wenn's Arscherl brummt… | |
| „Feuchtgebiete“? „Darm mit Charme“? Hintenrum hat seit Jahren Konjunktu… | |
| Der Trend ist jetzt auch in meiner Familie angekommen. | |
| Kolumne Nach Geburt: Das Schlafzimmer ist geräumt | |
| Um für den Notfall vorzubereiten, wie es die Regierung will, sind | |
| Walrosskäufe statt Hamsterkäufe notwendig. Wir schlafen jetzt alle im | |
| Kinderzimmer. | |
| Kolumne Nach Geburt: Der Spion vorm Kühlschrank | |
| Unser Kolumnist soll hier lustige Texte über seine Töchter schreiben. Dabei | |
| redet er doch viel lieber über sich. Heute versucht er es anders. |