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# taz.de -- App zu Beinahe-Radunfällen in Berlin: Berliner Radfahrer leben gef…
> Eine neue App der TU Berlin sammelt Daten zu Beinahe-Unfällen von
> Radfahrenden. Erste Zahlen zeigen: Beinahe jede zweite Fahrt ist
> unfallträchtig.
Bild: An Kreuzungen wird Auto-Slalom gefahren: In Berlin leben Radfahrer*innen …
Plötzlich geht eine Autotür auf, aus dem Nichts parkt ein Lieferwagen aus.
Nur eine Vollbremsung im letzten Moment verhindert einen schlimmen Unfall.
Jede*r Radfahrende in Berlin kennt das. Forscher*innen der TU haben nun
eine App entwickelt, die diese Beinahe-Unfälle untersucht und die Straßen
durch die gesammelten Daten sicherer machen soll.
David Bermbach ist Juniorprofessor an der Technischen Universität Berlin
(TU). Der Informatiker leitet das Projekt. Beim Radfahren kam er auf die
Idee, den Radverkehr in Berlin zu untersuchen: „Ich bin selbst oft mit dem
Fahrrad unterwegs und hatte an besagtem Tag ein solches Nahtoderlebnis“,
erzählt Bermbach. Ein Rechtsabbieger hat ihm den Weg abgeschnitten,
Bermbach musste eine Vollbremsung hinlegen. Zu dieser Zeit wurden in der TU
gerade neue Projekte gesucht. Und so kam eins zum anderen.
Die App heißt [1][Sicherheit im Radverkehr], kurz SimRa. Das Projekt ist
Teil des Fachgebiets Mobile Cloud Computing an der TU und dem Einstein
Center Digital Future. SimRa zapft Bewegungssensor und GPS-Signal des
Smartphones an und zeichnet damit die Fahrt auf. Die gefahrene Route wird
dann auf einer Karte angezeigt. Der Bewegungssensor im Handy erkennt
abrupte Bewegungen wie eine Vollbremsung oder ein Ausweichmanöver und setzt
auf der virtuellen Karte eine rote Stecknadel an die Stelle.
Nach der Fahrt kommen die Nutzer*innen ins Spiel: Sie können bei jeder von
der App gesetzten Stecknadel genau angeben, was passiert ist, und unter
verschiedenen Szenarien auswählen. Ein Beispiel: „zu dichtes Überholen“
oder „entgegenkommender Verkehrsteilnehmer“. Auch können sie angeben, ob es
sich um einem Lkw, einen Fußgänger oder sonstigen Verkehrsteilnehmer, wie
einen [2][E-Scooter], handelte. Der Vorgang kann auch kommentiert werden
und ob er einem Angst gemacht hat. Das kostet die Nutzer*innen ein bis
zwei Minuten pro Fahrt.
## Berliner Radfahrer*innen können mitwirken
Manchmal kommt es bei der App noch zum Fehlalarm: Wenn eine Bordsteinkante
besonders hoch ist und es ordentlich ruckelt, setzt sie manchmal eine
Stecknadel zu viel. Die automatische Erfassung soll noch verbessert werden.
Nach dem 5.000. Beinahe-Dooring könnte sich ein Muster ergeben. Um das zu
erkennen, müssen allerdings noch Daten gesammelt werden. Jede*r
Berliner*in kann dabei mitwirken: Die App kann in den gängigen Stores
kostenlos heruntergeladen werden. Bisher wurden rund 6.000 Fahrten
aufgezeichnet.
„Wir möchten die Bürger in die Forschung einbeziehen“, sagt Bermbach. Ers…
Datensätze sollen noch im Laufe des Jahres veröffentlicht und dann laufend
aktualisiert werden. Im Moment bauen die Forscher*innen noch ein Tool, das
alle gesammelten Stecknadeln und Daten anschaulich auf einer interaktiven
Karte anzeigen soll.
Sie erhoffen sich Erkenntnisse über Unfallschwerpunkte und ganz allgemein
über den Radverkehr in Berlin: „An bestimmten Stellen gibt es Häufungen von
Unfällen, aber über Beinahe-Unfälle gibt es keine Daten“, sagt Bermbach.
Dabei knallt und scheppert es in Berlin im Stundentakt: Statistisch gesehen
kommt es alle 66 Minuten zu einem Fahrradunfall, wie Zahlen aus der
[3][Unfallstatistik für 2018] zeigen. Für Beinahe-Unfälle gibt es noch
keine Daten, aber erste Auswertungen von SimRa, die der taz exklusiv
vorliegen, zeigen: Seit März kamen auf 6.057 Fahrten 3.085 gemeldete
Beinahe-Unfälle, davon wurden 387 als besonders beängstigend markiert. Das
heißt: Während jeder zweiten Fahrt kommt es fast zu einem Unfall.
Die Zahlen legen den Schluss nahe, dass Radfahren in der Stadt nicht
ungefährlich ist. Mit der App möchte das Team eine Datengrundlage schaffen,
um Berlins Straßen sicherer zu machen: Wenn es an bestimmten Stellen
besonders oft zu Beinahe-Unfällen kommen sollte, müsse die Politik handeln.
Was das angeht, möchte Bermbach mit dem Berliner Senat kooperieren.
## Daten zu Verkehrsfluss werden mitgesammelt
Als Nebeneffekt werden durch die Messungen auch Daten zu Verkehrsfluss und
Bodenbelag gesammelt. Durch die gemessene Geschwindigkeit könnten
ungünstige Ampelschaltungen erkannt werden, sagt Bermbach. Und der
Bewegungssensor messe am Ruckel-Grad auch die Qualität des Bodenbelags: Bei
Pflastersteinen oder maroden Straßen enthält die Aufzeichnung größere
Ausschläge. Der Datenschutz spielt bei der Erfassung eine wichtige Rolle:
„Jede Fahrt ist einzeln pseudonymisiert“, erklärt Bermbach. Das heißt: Die
Daten sind nicht personenbezogen und erfassen keine Bewegungsprofile.
Die Routen und Stecknadeln werden zunächst in der App gespeichert, wo sie
verändert werden können: Die Nutzer*innen können beispielsweise einige
Meter abschneiden, um ihre Startadresse zu verbergen. Gespeichert werden
die relevanten Daten dann auf drei TU-Servern.
Die App selbst steht auch anderen Städten zur Verfügung. Seit zwei Wochen
gibt es sie in Bern. Über Berlin als Ganzes können bisher noch keine
signifikanten Aussagen gemacht werden. Dafür gibt es noch zu viele weiße
Flecken auf der Karte. An zwei Punkten zeigen sich aber bereits Häufungen:
In der Edisonstraße in Schöneweide kommt es regelmäßig zu Konflikten mit
parkenden Autos, Radfahrer*innen weichen auffällig oft aus. Oder auch in
der Paulsborner Straße in Wilmersdorf: Hier kommt es nach ersten
Auswertungen häufig zu dichten Überholvorgängen.
Bermbach möchte nach diesem Muster in ganz Berlin gefährliche Stellen
auflisten. In der Politik könne dann keiner mehr sagen: „Es liegen keine
Daten vor.“
26 Aug 2019
## LINKS
[1] https://www.digital-future.berlin/forschung/projekte/simra/
[2] /E-Mobilitaet/!5614400
[3] /Archiv-Suche/!5576465&s=unfallstatistik
## AUTOREN
Gabriel Rinaldi
## TAGS
Schwerpunkt Radfahren in Berlin
Fahrrad
Straßenverkehr
Forschung
Unfallopfer
Verkehr
rote Ampeln
Verkehrswende
E-Roller
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