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# taz.de -- Antrag zur Abschaffung von Bettelampeln: Rote Welle für Fußgänger
> Bettelampeln werden nur grün, wenn man den Knopf drückt – selbst wenn der
> Autoverkehr steht. Ein Göttinger Piratenpolitiker will sie abschaffen.
Bild: Einmal drücken bitte: Fahrradampel in Göttingen
Göttingen taz | Wenn die Ampeln für Autos grün werden, müsse der parallel
laufende Fuß- und Radverkehr ebenfalls Grün bekommen, meint der Göttinger
Piraten-Politiker und Ratsherr Francisco Welter-Schultes. In einem Antrag
für die nächste Sitzung des Kommunalparlaments am 13. September fordert er
die Abschaffung aller sogenannten Bettelampeln im Stadtgebiet.
Bettelampeln sind solche, bei denen Fußgänger und Radfahrer die Grünphase
über einen Knopf anfordern müssen. Für sie springen die Ampeln, anders als
für Autos, Motorräder und Co nicht automatisch auf Grün, obwohl der
Querverkehr halten muss.
In Göttingen wurde die erste Bettelampel 2011 in Betrieb genommen. Nach
Angaben der Stadtverwaltung kamen in den vergangenen drei Jahren rund 35
weitere dazu. Sie seien installiert worden, um den Busverkehr zu
beschleunigen.
Die städtischen Verkehrsplaner hätten damit ein klares Signal gesetzt, sagt
Welter-Schultes: Vorrang für den motorisierten Verkehr. „Es ist eine
Maßnahme im Sinne der autogerechten Stadt, einem Leitbild der 1970er-Jahre
entsprechend.“ Mit moderner Verkehrspolitik, Klimaschutzzielen und einer
Verkehrswende seien Bettelampeln nicht zu vereinbaren.
## 46 Sekunden Wartezeit
Dabei habe der Stadtrat im Klimaplan Verkehrsentwicklung bereits 2015
festgelegt, dass Wartezeiten für Fußgänger und Radfahrer so kurz wie
möglich sein sollten. Die Verwaltung ignoriere diesen Beschluss und
„verfolgt trotz allen Schönredens immer noch das Ziel der autogerechten
Stadt“.
Um das zu veranschaulichen, hat der Pirat sogar ausgerechnet, wie lange
Fußgänger in Göttingen im Durchschnitt auf Grün warten müssen: 25 bis 46
Sekunden seien es schon an normalen Ampeln – in vielen anderen Städten
müssten Fußgänger nur 14 bis 23 Sekunden warten.
An Bettelampeln betrage die Wartezeit sogar 40 bis 50 Sekunden. „Der
Radverkehr wird ebenfalls gravierend benachteiligt“, beklagt
Welters-Schultes. „Jede Möglichkeit des flüssigen Fahrens wird durch eine
permanente rote Welle genommen.“
Die Sprecherin der Stadtverwaltung, Cordula Dankert, widerspricht. Die
bedarfsweise Schaltung erhöhe nicht pauschal die Wartezeiten für querende
Fußgänger. Im Gegenteil: „Laufen alle Grünzeiten auch ohne Anforderungen
starr mit, erhöht dies wiederum die Wartezeiten an den anderen Querungen
und auch die für den Kfz-Verkehr und den ÖPNV.“ Daraus entstehe ein
insgesamt starrer Ablauf, der neben den längeren Wartezeiten auch zu
erhöhten Lärm- und Schadstoffemissionen führe.
In Göttingen sieht die SPD, die den Oberbürgermeister und die stärkste
Fraktion im Rat stellt, durchaus „Veränderungsbedarf“. „Bettelampeln
entsprechen nicht einer [1][modernen Mobilitätspolitik]. Sie widersprechen
der Gleichberechtigung der Radfahrer, PKW und Fußgänger“, sagt eine
Fraktionssprecherin.
## Problem für Sehbehinderte
Die FDP-Fraktionsvorsitzende Felicitas Oldenburg erklärt, ihre Partei sei
„gegen die Ausbremsung von Fahrradfahrern und Fußgängern zugunsten des
Autoverkehrs“. Auch bei der Linksfraktion stoßen die Bettelampeln auf
Unverständnis. Sie will den Antrag von Welter-Schultes unterstützen.
Die Grünen bemängeln neben ihrer grundsätzlichen Kritik an Bettelampeln,
dass diese nur auf Grün springen, wenn der Knopf „mit nicht zu wenig Druck“
betätigt werde. Viele mobilitätseingeschränkte Menschen hätten praktisch
keine Möglichkeit, ohne fremde Hilfe über die Straße zu kommen.
Sehbehinderte könnten weder erkennen, „dass sie eine Bedarfsampel zu
betätigen haben, noch, ob ihrem Bedarf entsprochen wird“. [2][Der
Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC)] sähe Bettelampeln gern gleich „auf
dem Schrottplatz der verkehrspolitischen Irrlichter“.
Die Stadtverwaltung lässt sich von all dem nicht beeindrucken. „Auf Grund
der Tatsache, dass die bedarfsorientierten Schaltungen für die
Beschleunigung der Busverkehre zwingend erforderlich ist, plant die
Verwaltung derzeit keine Änderungen“, so Sprecherin Dankert.
In Hamburg, wo rund 100 Bettelampeln in Betrieb sind, ist man schon
flexibler. Dort will die Verkehrsbehörde die betreffenden Kreuzungen
dahingehend prüfen, „ob und wie der Verkehrsfluss für Fußgänger und
Radfahrer verbessert werden kann“.
6 Sep 2019
## LINKS
[1] /Fahrradklima-Test-des-ADFC/!5583993
[2] /Fahrradklimatest-2018/!5583945
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
rote Ampeln
Verkehrswende
Fahrrad
Radverkehr
Göttingen
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Schwerpunkt Radfahren in Berlin
Radwege
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