Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Anwalt über NSU-Prozess: „Es wird keine Freisprüche geben“
> Den Prozess gegen Beate Zschäpe hält man nicht ohne Weiteres durch, sagt
> Mehmet Daimagüler. Er vertritt die Familien der Nürnberger NSU-Opfer.
Bild: Tafeln in Gedenken an den Nürnberger Imbissbetreiber Ismail Yasar
taz: Herr Daimagüler, vor vier Jahren wurde der NSU-Prozess in München
eröffnet. Sie sind seit Beginn an dabei. Wie hält man das durch?
Mehmet Daimagüler: Tatsächlich nicht ohne Weiteres. Ich habe nicht
vorgesehen, was da auf mich zukommt. Nicht nur die verhandelten Taten, auch
die Auftritte von Freunden und Nachbarn von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und
Uwe Böhnhardt haben mich doch sehr belastet. Es war vor allem der
Rassismus, den diese Leute für vollkommen normal hielten, der mich
regelrecht wütend machte. Das waren Momente, in denen ich mich fragen
musste, ob ich noch die nötige Distanz habe.
Wie verarbeiten Sie das?
Ich habe erst gar nicht bemerkt, wie mir das zu schaffen machte. Wie ich
nach den Verhandlungstagen viel zu lange mit Kollegen herumsaß und mich
betrank. Erst später habe ich begriffen, dass ich wieder Depressionen hatte
und mir eine Therapeutin gesucht. Wenn ich mir aber anschaue, was die
Opferangehörigen bis heute aushalten, dann ist das nichts im Vergleich.
361 Prozesstage wurde bisher verhandelt. Ist diese Dauer gerechtfertigt?
Ja. Ein kurzer Prozess ist ein schlechter Prozess. Wir haben fünf
Angeklagte, mit einer Vielzahl an Tatvorwürfen. Auch sie haben das Recht,
dass man kein Urteil durchpeitscht. Und gerade in so einem Verfahren, wo
sehr viele Fragen offen sind, brauchen wir Zeit.
Wann, glauben Sie, fällt ein Urteil?
Ich denke bald, im Sommer. Das Beweisprogramm ist erledigt. Alle Fragen,
die wir in diesem Prozess beantworten können, haben wir beantwortet.
Welche Urteile wird es am Ende geben?
So wie ich die Beweise würdige, wird es keine Freisprüche geben. Beate
Zschäpe wird das volle Paket erwarten: lebenslange Haft plus besondere
Schwere der Schuld. Dass sie nichts von den Taten gewusst haben will, dass
sie diese trotz ihrer rechtsradikalen Vita nicht befürwortet haben will,
halte ich für völlig unglaubwürdig.
Zuletzt attestierte ihr ein Gutachter eine verminderte Schuldfähigkeit.
Ach herrje. Das Gutachten ist widersprüchlich und oberflächlich. Das wird
für das Urteil keine Bedeutung haben.
Und was machen Sie, wenn der Prozess vorbei ist?
Ich fürchte, ich werde weitermachen müssen. Denn wesentliche Fragen sind ja
nicht beantwortet: Wie groß war der NSU wirklich? Welche Rolle spielte der
Verfassungsschutz? Welche Verantwortung trug institutioneller Rassismus?
Wir haben jetzt fünf konkret für die Taten Angeklagte. Aber auch der Staat
gehört auf die Anklagebank. Diejenigen, die die Neonazi-Szene geschützt und
gefördert haben, die Unschuldige verfolgt und Hinweise auf das Trio
ignoriert haben. Das könnte noch ein Fall für den Europäischen Gerichtshof
der Menschenrechte werden.
6 May 2017
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Beate Zschäpe
NSU-Prozess
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Rechtsextremismus
Rechtsextremismus
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Rechter Terror
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Neonazis
Schwerpunkt Neonazis
Bundestag
Burak Bektas
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kritik an Gutachter von Beate Zschäpe: „Keineswegs plausibel“
Psychiater Joachim Bauer sollte Zschäpe im NSU-Prozess eine Höchststrafe
ersparen. Nun wird seine Einlassung vom Gerichtsgutachter zerpflückt.
Zschäpes Mutter im NSU-Prozess: Ein Polizist erinnert sich
Annerose Z. verweigert im NSU-Prozess erneut eine eigene Aussage, lässt
aber die Verwertung ihrer Vernehmung durch die Polizei zu. Die ist
aufschlussreich.
Dokumentarfilm über den NSU: Momente der Fassungslosigkeit
Sobo Swobodnik bleibt mit „6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage. Die Morde des
NSU“ nüchtern. So driftet er nicht ins Spekulative oder Emotionale ab.
Tribunal zur NSU-Mordserie: „Die Opfer sind keine Statisten“
Das Leid und die Erfahrungen der Hinterbliebenen spielen in der Justiz nur
eine geringe Rolle. Deshalb haben sie nun in Köln ein eigenes Tribunal
organisiert.
Gutachten im NSU-Prozess: Nun also gestört
Seit vier Jahren läuft der NSU-Prozess. Kurz vor Schluss ändert Beate
Zschäpe ihre Strategie – und will plötzlich vermindert schuldfähig sein.
Justizposse in Koblenz: Der unvollendete Prozess
Seit viereinhalb Jahren wird gegen 20 Neonazis in Koblenz verhandelt. Nun
nicht mehr: Weil der Richter in Rente geht und kein Ersatz zur Verfügung
steht.
Rechte Anschlagsserie in Brandenburg: War der Verfassungsschutz verwickelt?
Brandenburgs Generalsstaatsanwalt weist im NSU-Untersuchungsausschuss auf
„Merkwürdigkeiten“ bei bisher ungeklärten rechten Anschlägen hin.
Pau und Binninger über den NSU: „Es gab weitere Mittäter“
Es gibt weitere NSU-Helfer, sind die Linke Petra Pau und CDU-Mann Clemens
Binninger überzeugt. Können sie noch gefunden werden?
Das war die Woche in Berlin I: Das rechte Auge sieht eher wenig
5 Jahre nach dem Mord an Burak Bektas: Ermittler scheinen rassistische
Motive nicht gründlich zu prüfen. Wie auch? Auch in Behörden ticken viele
rechts.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.