# taz.de -- Justizposse in Koblenz: Der unvollendete Prozess | |
> Seit viereinhalb Jahren wird gegen 20 Neonazis in Koblenz verhandelt. Nun | |
> nicht mehr: Weil der Richter in Rente geht und kein Ersatz zur Verfügung | |
> steht. | |
Bild: Prozessbeteigte im Koblenzer Neonazi-Prozess | |
BERLIN taz | Es ist der bisher längste Prozess gegen Rechtsextreme in | |
Deutschland – nun ist er geplatzt. Im August 2012 wurde der Prozess gegen | |
26 Neonazis des „Aktionsbüros Mittelrhein“ vor dem Oberlandesgericht | |
Koblenz eröffnet, viereinhalb Jahre und 337 Prozesstage wurde seitdem | |
verhandelt. Am Dienstag nun verkündete das Gericht, der Prozess sei bis auf | |
Weiteres unterbrochen. Der Grund: Der vorsitzende Richter Hans-Georg | |
Göttgen geht in Rente. | |
Ende Juni scheide Göttgen „zwingend“, weil altersbedingt, aus dem Dienst | |
aus, teilte Gerichtssprecherin Tanja Becher mit. Da ein Prozessende bis | |
dahin auszuschließen sei, wurden alle noch offenen Verhandlungstermine | |
abgesetzt. „Der weitere Verlauf des Verfahrens ist derzeit ungewiss“, so | |
Becher. | |
Möglich sind nun zwei Varianten: Entweder der Prozess wird an der Kammer | |
neu gestartet. Oder das Verfahren wird eingestellt. Becher ließ eine | |
Entscheidung offen. Über Wahrscheinlichkeiten wolle sie nicht spekulieren, | |
sagte sie. | |
Ein Ersatzrichter steht nicht mehr zur Verfügung. Dieser war schon 2014 | |
nachgerückt, weil bereits da ein anderes Kammermitglied in den Ruhestand | |
ging. Andere Richter, die den Prozess bisher nicht begleiteten, dürfen | |
nicht übernehmen. | |
Angesetzt waren für den Prozess ursprünglich nur neun Termine. Die | |
Verhandlung war aber von Beginn an von Hakeleien zwischen den 52 | |
Verteidigern und den Richtern geprägt. Wiederholt stellten die Anwälte | |
Befangenheitsanträge, Prozesstage fielen auch aus, weil sich Angeklagte | |
krankmeldeten. Einmal musste unterbrochen werden, weil ein Unbekannter eine | |
Stinkbombe im Saal gezündet hatte. | |
## „Klima der Angst“ | |
Das „Aktionsbüro Mittelrhein“ verstand sich als Zusammenschluss mehrerer | |
rechtsextremer Kameradschaften. Ihre Zentrale lag im sogenannten Braunen | |
Haus in Bad Neuenahr-Ahrweiler (Rheinland-Pfalz). Die angeklagten Neonazis, | |
zu Prozessbeginn 19 bis 54 Jahre alt, sollen zwischen 2009 und 2011 Linke | |
ausspioniert und attackiert haben. Ihnen wird zur Last gelegt, Hakenkreuze | |
und Szeneparolen gesprüht, Brandanschläge auf Autos von Linken geplant und | |
mit anderen Rechtsextremen ein alternatives Hausprojekt in Dresden-Löbtau | |
mit Knüppeln und Böllern attackiert zu haben. | |
Von politischen Gegner sollen sie Anschriften und Fotos für mögliche | |
„Vergeltungsaktionen“ gesammelt haben. Einem Rechtsextremismusexperten des | |
Landesamts fürs Soziales sollen sie gar einen GPS-Sender an sein Fahrzeug | |
geheftet haben. | |
Ein „Klima der Angst“ habe die Gruppe schaffen wollen, heißt es in der rund | |
1.000 Seiten starken Anklageschrift. Ziel der Gruppe sei die „Beseitigung | |
der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ gewesen. Unter den | |
Angeklagten waren auch Lokalfunktionäre der NPD. | |
Der Prozess gegen sie dauerte bisher länger als der NSU-Prozess in München, | |
der im Mai 2013 eröffnet wurde. Sechs Angeklagte erhielten zwischenzeitlich | |
eigene Verfahren. Vier wurden verurteilt, bei zwei Angeklagten wurden die | |
Verfahren eingestellt. | |
2 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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