| # taz.de -- Antisemitimus-Vorwurf im Theater: Der Identity-Komplex | |
| > Nach Antisemitismusvorwürfen setzt das Metropoltheater München eine | |
| > Inszenierung von Wajdi Mouawads „Die Vögel“ ab. | |
| Bild: Mutter Leah (Sarah Camp, hinten) und Sohn Eitan (Leonard Dick, vorne) in … | |
| Muss man sich an eine verlorene Identität klammern? Und was heißt es, ein | |
| Leben zwischen zwei Welten zu führen? Um diese Fragen kreist das | |
| Theaterstück „Die Vögel“ des libanesisch-kanadischen Schriftstellers Wajdi | |
| Mouawad, um dessen Aufführung und Absetzung am Münchner Metropoltheater in | |
| der Kulturszene der Stadt seit Wochen eine heftige Debatte entbrannt ist. | |
| Vertreter:innen der Jüdischen Studierendenunion Deutschland und der | |
| Verband jüdischer Studenten in Bayern hatten dem Stück in einem offenen | |
| Brief im November Antisemitismus vorgeworfen. In der Inszenierung des | |
| Regisseurs und Theaterintendanten Jochen Schölch werde israelbezogener | |
| Antisemitismus salonfähig gemacht sowie eine Relativierung des Holocaust | |
| vorgenommen. | |
| Die Verbände forderten in ihrem Schreiben, die Finanzierung des Stückes zu | |
| streichen, öffentliche Mittel dürften nicht in die Förderung von | |
| Antisemitismus fließen. Eine Reihe von Stimmen aus der Münchner Kultur wies | |
| die Vorwürfe scharf zurück. Intendant Schölch zeigte sich über das | |
| Schreiben schockiert und sah später in der Diskussion den Ruf seines | |
| Theaters durch ein „moralisches Fallbeil“ (dpa) beschädigt. | |
| Ex-Bürgermeister Christian Ude (SPD) bemerkte, dass kein Mensch, der guten | |
| Willens sei, das Stück missverstehen könne. Er warf den Vertreter:innen | |
| der Verbände vor, ein „Reizthema zum 9. November“ setzen zu wollen. Auch | |
| der Verlag der Autoren, in dem „Die Vögel“ in deutscher Übersetzung | |
| erscheinen, wies in einer Pressemitteilung den Antisemitismusvorwurf | |
| zurück. Er bezeichnet „Die Vögel“ in einem Folgeschreiben als „Aufruf z… | |
| Versöhnung“ – zwischen Religionen, Völkern und Generationen. | |
| ## Liebe zwischen einem deutschen Juden und einer arabischen Frau | |
| Darüber, ob es sich bei dem Stück, das seit 2017 durchgehend auch an | |
| deutschen Bühnen gespielt wird, tatsächlich um einen Aufruf zur Versöhnung | |
| handelt, lässt sich streiten. Der Dramatiker Mouawad erzählt in „Die Vögel… | |
| von einer Liebe zwischen dem deutschen Juden Eitan und der | |
| palästinensischstämmigen US-Amerikanerin Wahida. Eitans jüdischer Familie | |
| ist die Beziehung zwischen den beiden ein Dorn im Auge, die junge arabische | |
| Frau erfährt von den Angehörigen des Geliebten Ablehnung und Rassismus. | |
| Mit einer Reise nach Israel spüren die beiden ihren Wurzeln nach und | |
| begeben sich tief ins Dickicht der Identitäten.Missstände der israelischen | |
| Gesellschaft will Mouawad aufzeigen, an jenen der palästinensischen und | |
| arabischen Gesellschaften zeigt der Autor weniger ausgeprägt Interesse. | |
| Der Aussöhnung beider Völker steht im Stück ein Komplex aus Schuldgefühlen | |
| und Holocaust-Trauma entgegen, gegen den Eitan aufbegehrt. Es fallen Sätze | |
| wie: „Man kann nicht alles, was passiert, mit einem KZ vergleichen, | |
| Scheiße!“ | |
| An Aussagen wie dieser – teils auch drastischeren – stießen sich die | |
| Studierendenverbände JSUD und VjSB und unterstellten dem Stück, den | |
| „industriellen Massenmord an Jüdinnen und Juden völlig zu relativieren“. | |
| Das Metropoltheater nahm „Die Vögel“ schließlich vom Spielplan. Zuvor war… | |
| Vermittlungsbemühungen um ein Gespräch gescheitert. | |
| In einer Pressemitteilung drückte der Theaterleiter Jochen Schölch sein | |
| Bedauern darüber aus, dass in der derzeit erhitzten Atmosphäre ein Gespräch | |
| nicht möglich sei. Als nächste Schritte suche sein Theater die | |
| Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat und mit Expert:innen. Die Direktorin | |
| des [1][NS-Dokumentationszentrum]s, Mirjam Zadoff, sowie der Direktor des | |
| Jüdischen Museums München, Bernhard Purin, äußerten bereits Bedenken, | |
| werteten die Absetzung als „falsches Signal“. | |
| ## „Gefühle sind keine Argumente“ | |
| Kritiker:innen der Welt, der SZ und der Deutschen Bühne taten es ihnen | |
| gleich. Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, wurde im | |
| SZ-Interview deutlich: „Gefühle sind keine Argumente“, die Argumentation | |
| der Studierendenverbände sei „kulturfern“. | |
| Verteidiger:innen des Versöhnungsstücks, das mitunter etwas nebulöse | |
| [2][Abwege in den Identity-Komplex] nimmt, würden hier mit harten Bandagen | |
| antreten. Ob der Kulturbetrieb einen souveränen Umgang mit der Kritik der | |
| Studierendenverbände, die bei ihren Positionen bleiben, findet, wird die | |
| weitere Debatte zeigen. | |
| Derweil stellte am Wochenende das Schauspiel Köln „aus gebotenem Anlass“ | |
| eine Aufzeichnung seiner Inszenierung von Wajdi Mouawads „Die Vögel“ aus | |
| dem Jahr 2019 online. Das Stück suche „nach Lösungsansätzen in einem schier | |
| unlösbaren Konflikt“, stand dazu auf der Website zu lesen. | |
| 7 Dec 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Chris Schinke | |
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