# taz.de -- Anti-Kriegs-Protest: Viele Gruppen, eine Bewegung? | |
> Die Friedensbewegung galt als Putin-Versteherin. Den Ruf will sie nun | |
> schleunigst loswerden. | |
Bild: 2018 hieß es auf einer Kundgebung der Friedensbewegung noch: „Sicher… | |
BERLIN taz | Wladimir Putin hat dem Bündnis, das am Sonntag gegen den | |
russischen Präsidenten demonstrieren will, in dieser Woche eine Menge | |
Arbeit eingebrockt. Am Montag, drei Tage vor Kriegsbeginn, war der Aufruf | |
zu der Aktion in Berlin eigentlich schon fertig. Endlich, es war nämlich | |
ein ganz schönes Hin und Her in den Tagen zuvor, um jedes Wort wurde | |
gerungen, bis am Ende ein Kompromiss stand: Die russische Drohkulisse sei | |
nicht hinnehmbar, Nato-Truppen in Osteuropa dienten aber auch nicht der | |
Entspannung. | |
Schon am Dienstag ging das so nicht mehr. Am Vorabend hatte Russland die | |
abtrünnigen Republiken in der Ostukraine anerkannt, der Krieg wurde | |
wahrscheinlicher. Also noch eine Telefonkonferenz, noch mal am Aufruf | |
feilen. Am Mittwoch ging er online – mit mehr Putin und weniger Nato. | |
Am Donnerstag war dann natürlich schon wieder alles überholt. Gleich nach | |
dem Kriegsbeginn schaltete sich das Bündnis am Morgen wieder zusammen. Die | |
Stimmung war am Boden, die Entscheidung aber diesmal schnell getroffen: | |
eine Menschenkette zwischen russischer und ukrainischer Botschaft, wie | |
ursprünglich geplant? Als Symbol passt das nicht mehr ganz. Mehr Platz | |
braucht es nun auch. Der neue Plan: eine Kundgebung an der Siegessäule mit | |
Lautsprechern über die gesamte Straße des 17. Juni – dort, wo im Februar | |
2003 eine halbe Million Menschen gegen den Irak-Krieg demonstriert hatten. | |
Wo diese Bewegung denn diesmal sei, hatten in den vergangenen Wochen viele | |
Kommentator:innen gefragt. Jetzt, da Putin den Krieg tatsächlich | |
gestartet hat, will das Bündnis in Berlin die Antwort liefern. Es ist eine | |
breite Allianz, die zuvor in der Form noch nie für den Frieden auf die | |
Straße gegangen ist: Der DGB und die Evangelische Kirche sind dabei, Pulse | |
of Europe und Seebrücke, Greenpeace und Campact, aber auch Gruppen der | |
klassischen Friedensbewegung wie Pax Christi. | |
Für sie ist das auch eine Chance. Nicht nur, dass die Friedensgruppen ohne | |
Hilfe der großen Organisationen – also deren Infrastruktur, Geld und | |
Mobilisierungspotenzial – eine Aktion dieser Größenordnung nicht stemmen | |
könnten. Sie hoffen auch, sich mit der Kundgebung gewissermaßen | |
rehabilitieren zu können. Der Ruf als Putin-Versteher klebt seit Jahren an | |
der Bewegung. | |
Das kommt nicht von ungefähr. Es ist erst eine Woche her, dass die | |
Linken-Abgeordnete Sevim Dağdelen auf einer Kundgebung vor dem | |
Brandenburger Tor auftrat. Ein Youtube-Video ihrer Rede machte schnell die | |
Runde. Sie sprach darin unter großem Jubel von „Kriegshetze und | |
Kriegstreiberei“ des Westens. Die CIA-Warnung vor einer russischen Invasion | |
sei ein „Lügenmärchen“ und erschreckend, wie viele Medien es ungefragt | |
übernommen hätten – wie „in einem totalitären Staat“. Das klang bereits | |
befremdlich, als das russische Militär die Ukraine nur umzingelt und noch | |
nicht angegriffen hatte. | |
## Der Anstoß für die Berliner Demo kam von Campact | |
Zur Wahrheit gehört aber auch: Viele in der Friedensbewegung haben | |
umgedacht und ob des Kriegsbeginns ihre Positionen revidiert. Auch | |
Dağdelen. Von „der Friedensbewegung“ zu sprechen, ist ohnehin verkürzt. S… | |
ist mittlerweile genau genommen zu klein, um diese Bezeichnung überhaupt | |
noch zu verdienen, aber dafür nicht weniger breit. Längst nicht alle | |
Gruppen treten als Apologeten des Kreml auf. | |
Den Anstoß zur Aktion am Sonntag machte vor zwei Wochen Campact. Die NGO | |
ist spezialisiert auf Onlinekampagnen in verschiedensten politischen | |
Bereichen. Je nachdem, welches Thema gerade Konjunktur hat: Campact hängt | |
sich dran und mobilisiert Unterstützung für linke Positionen, oft mit | |
Erfolg. Friedenspolitik war dabei in den letzten Jahren aber selten Thema. | |
Dabei kommt Campact-Mitbegründer Christoph Bautz im Grunde selbst aus der | |
Friedensbewegung. 2003 war er Sprecher von Resist, einer Gruppe aus dem | |
Attac-Umfeld, die mit Sitzblockaden vor US-Einrichtungen gegen den | |
Irak-Krieg protestierte und schon damals möglichst breit zu mobilisieren | |
versuchte. „In Situationen starker Zuspitzung wie damals beim Irak-Krieg | |
lassen sich Menschen gut ansprechen und auf die Straße bringen. Außerhalb | |
solcher Zeiten ist die Massenmobilisierung für das Thema Frieden aber sehr | |
schwierig. Es gibt eben auch nicht so eine große Szene wie im | |
Umweltbereich“, sagt Bautz. | |
Als der Ukraine-Konflikt in den vergangenen Wochen immer gefährlicher | |
wurde, dachte er sich: Jetzt müsste mal wieder ein passender Zeitpunkt | |
gekommen sein. Erst rief Bautz bei Greenpeace an, wo man auf das „Peace“ im | |
Namen in den letzten Jahren wieder mehr Wert legt, ohne im Verdacht | |
irgendeiner Nähe zum Kreml zu stehen. Als Zweite waren dann schnell die | |
Naturfreunde dabei, eine Freizeitorganisation mit politischem Anspruch und | |
Wurzeln in der Arbeiterbewegung. | |
Noch vor zwei Wochen hatten die Naturfreunde ein Statement veröffentlicht, | |
in dem die Verantwortung für den Ukraine-Konflikt vielerorts gesucht wurde, | |
nur kaum in Moskau. „Die Bilder der militärisch gekleideten deutschen | |
Außenministerin an der Front tragen nicht zur Klärung oder gar Deeskalation | |
bei“, hieß es darin unter anderem. Aber: Die Naturfreunde sind pragmatisch | |
und in allerlei Bewegungen gut vernetzt. Als das Bündnis für Sonntag | |
geschmiedet wurde, waren sie in der Mittlerrolle. „Wenn wir in dieser | |
Situation etwas erreichen wollen, müssen wir die bürgerliche Mitte | |
erreichen, um gemeinsam ein Zeichen für Frieden zu setzen“, sagt Uwe | |
Hiksch, Vorstandsmitglied der Naturfreunde und einst Bundestagsabgeordneter | |
für SPD und PDS. Der gründlich ausgetüftelte Demo-Aufruf ist mit nur sechs | |
Absätzen für ein linkes Bündnis ausgesprochen kurz. Er kommt sogar ohne | |
Fußnoten aus. Vieles, was die Friedensbewegung sonst umtreibt – die Frage | |
etwa, welchen Anteil die Nato-Osterweiterung an der Eskalation hatte –, | |
ließ man einfach weg. „In der jetzigen Lage ist das nicht entscheidend“, | |
sagt Hiksch. | |
Das ist auch ganz im Sinne von Michael Schulze von Glaßer. Er sitzt mit im | |
Bündnis, als Vertreter der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte | |
KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). Sie gehört zum Kern der klassischen | |
Friedensbewegung, hadert aber mit einigen ihrer übrigen Teile. „Vor allem | |
im Gespräch mit jungen Leuten haben wir oft mit dem öffentlichen Bild der | |
Friedensbewegung zu kämpfen“, sagt er. Dass einige Gruppen in der ersten | |
Ukraine-Krise ab 2014 in der sogenannten Mahnwachenbewegung gemeinsame | |
Sache mit Rechtsextremen gemacht haben, habe dem Image ebenso geschadet wie | |
die Russland-Treue. „Es gibt aber durchaus auch eine andere | |
Friedensbewegung“, sagt Schulze von Glaßer. | |
Zum Teil gehe es auch um eine Generationenfrage, meint der 35-Jährige. Der | |
Vorstand der DFG-VK hat sich in den vergangenen Jahren verjüngt. „Wir haben | |
andere Ansichten als Teile der älteren Generation, die in Russland noch | |
immer das sieht, was die Sowjetunion früher schon nicht war“, sagt er. | |
Unter jüngeren Linken spielen liberale Werte eine größere Rolle, sie sind | |
staatskritischer und mit ihrem großen Herz für Minderheiten und Klima keine | |
geborenen Putin-Freunde. Unter den älteren sind links-autoritäre | |
Einstellungen dagegen noch stärker verbreitet und als Feind des eigenen | |
Feindes – der Nato – funktionierte der russische Präsident noch eher als | |
Freund. | |
Es überrascht angesichts dieser Differenzen nicht, dass einige Gruppen der | |
Friedensbewegung unter dem Aufruf für die Aktion am Sonntag fehlen. | |
Niemand, der angefragt wurde, habe abgesagt, heißt es aus dem Bündnis. | |
Heißt im Umkehrschluss: Manche hat man wohl gar nicht erst gefragt. Dem | |
Ansinnen, eine Brücke in die bürgerliche Mitte zu schlagen, hätte das | |
wahrscheinlich nicht gutgetan. | |
## Manchen Gruppen hat es die Sprache verschlagen | |
Tatsächlich bestätigen einige obskure Teile der politischen Linken auch | |
jetzt noch den schlechten Ruf der Friedensbewegung. Der Freidenkerverband | |
wiederholt am Tag des Kriegsbeginns auf seiner Homepage die | |
Kreml-Propaganda von einem „Genozid im Donbass“. Die Tageszeitung Junge | |
Welt rechtfertigt die russische Invasion in einem Kommentar als Mission zur | |
Rettung vor angeblichen ukrainischen Verbrechen: „Abwehr von Massenmord ist | |
nicht nur elementare Pflicht, sondern hat auch das Recht auf ihrer Seite.“ | |
Manchen Gruppen scheint es dagegen die Sprache verschlagen zu haben. Auf | |
den Internetseiten vieler Ostermärsche zum Beispiel gibt es noch keine | |
Statements zum Krieg. Dann gibt es aber auch noch einige, die in der | |
Vergangenheit stets besonders russlandfreundlich aufgetreten sind und jetzt | |
doch umschwenken. Reiner Braun zum Beispiel, [1][der 2014 die Querfront mit | |
den Friedensmahnwachen vorantrieb] und in der Friedensbewegung nicht nur | |
deshalb umstritten ist, hat am Donnerstag gemeinsam mit der | |
[2][Ostermarsch-Legende Willi van Ooyen] eine Stellungnahme veröffentlicht. | |
Sanktionen gegen Russland seien falsch, heißt es darin zwar. Aber auch: | |
„Wir verurteilen die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine. | |
Die Mitschuld des Westens, besonders der USA und der Nato, rechtfertigen | |
keinesfalls diese militärische Aggression.“ Es sei Zeit, auf die Straße zu | |
gehen. | |
Das immerhin verbindet sie mit denen aus der Friedensbewegung, die zu der | |
Kundgebung am Sonntag aufrufen. Sie könnte einen gesellschaftlichen Nerv | |
treffen. Schon in den vergangenen Tagen gab es an vielen Orten | |
Kundgebungen, organisiert teils aus der ukrainischen Community, teils von | |
Parteien und deren Jugendorganisationen. Deutschlandweit protestierten | |
Tausende. | |
Über 10.000 Teilnehmer:innen hat das Bündnis für Sonntag als Ziel | |
ausgegeben. Insgeheim hofft man auf deutlich mehr. Um erfolgreich | |
mobilisieren zu können, ist in der letzten Version des Aufrufs jede | |
Zweideutigkeit verschwunden. Nur noch ein Verantwortlicher für die | |
Eskalation wird genannt. Der klare Appell: „Wir fordern die russische | |
Regierung auf, sofort alle Angriffe einzustellen.“ | |
26 Feb 2022 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
Pascal Beucker | |
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