| # taz.de -- Albanien als sicheres Herkunftsland: Eine von 962 | |
| > Fllanxa Murra hat keine Beine. Sie floh nach Deutschland, als ihre Eltern | |
| > von ihrer Homosexualität erfuhren. Nun gilt Albanien als sicheres | |
| > Herkunftsland. | |
| Bild: Fllanxa Murra will Schwimmerin werden | |
| Es ist ein Novembermorgen, an dem die Sonne noch wärmt, als würde der | |
| Winter nie kommen. Es ist einer der besseren Tage von Fllanxa Murra. Sie | |
| lächelt, ein bisschen nervös ist sie auch. Heute wird sie ihre Geschichte | |
| erzählen. | |
| Sie sitzt an dem mit Schokokeksen und Kaffee gedeckten Tisch in der | |
| Kleiderkammer in Taucha. Der kleine Laden ist für sie ein Rückzugsort | |
| inmitten der tristen Vorstadt, nur wenige Minuten von Leipzig entfernt. | |
| Fllanxa Murra verständigt sich mit den Menschen im Raum, mit Mimik und | |
| Gestik mehr als mit einer gemeinsamen Sprache. Es sind Ehrenamtliche und | |
| Geflüchtete, die hier zusammenkommen. Unter ihnen bewegt sie sich | |
| selbstbewusst, manövriert ihren Rollstuhl durch den engen, mit Büchern und | |
| Kleiderspenden gefüllten Raum. | |
| Es gibt auch schlechte Tage. Tage, an denen sie allein in ihrer Wohnung | |
| sitzt, nur ein paar hundert Meter von der Kleiderkammer entfernt, und | |
| wartet. Auf neue Briefe von der Asylbehörde. Auf jemanden, der kommt und | |
| sie abholt. Die sechs Steinstufen vor ihrer Wohnung kommt sie zwar allein | |
| hinunter. Doch dann sitzt sie da, auf der untersten Stufe, und wartet, bis | |
| ihr jemand den Rollstuhl hinterherträgt. | |
| Schon lange hat sie keine guten Nachrichten mehr bekommen. Der letzte | |
| Brief, den sie Anfang November erhielt, kündigte ihre Abschiebung an. | |
| Datiert ist der Brief auf den 26.10.2018. Einen Monat hat sie Zeit, | |
| freiwillig auszureisen. Sie könne nicht mehr auf eine weitere Duldung ihres | |
| Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland vertrauen, heißt es in dem | |
| Behördenschreiben. Doch das Vertrauen hat sie schon vor langer Zeit | |
| verloren. | |
| ## *** | |
| 2014 kam ein Filmteam zu Fllanxa Murra nach Hause. Der Film, der auf | |
| YouTube zu sehen ist, zeigt ein Leben in Armut. In einem kleinen Dorf nahe | |
| der Kleinstadt Burrel, etwa zwei Autostunden von der albanischen Hauptstadt | |
| Tirana entfernt, lebte sie gemeinsam mit ihren Eltern und sieben | |
| Geschwistern in einer weißen Steinhütte nahe bei einem Fluss. Als | |
| sogenannte BalkanägypterInnen gehört ihre Familie zu einer Albanisch | |
| sprechenden Teilgruppe der südosteuropäischen Roma. | |
| Inmitten dieser Armut lebte Fllanxa Murra. Ihr Körper ist gezeichnet von | |
| einem Unfall. Als sie neun Jahre alt war, trat sie beim Hüten von Ziegen | |
| auf eine Landmine und verlor beide Beine sowie drei Finger der linken Hand. | |
| Wenn Fllanxa Murra heute von den Erlebnissen spricht, runzeln sich kleine | |
| Falten auf ihrer Stirn. Ihre großen braunen Augen schauen nach unten, als | |
| wollten sie den mitleidigen Blicken ausweichen. Mit den beiden Fingern, die | |
| ihr an der linken Hand geblieben sind, zwirbelt sie ihr blond gefärbtes | |
| Haar. Sie spricht flüssig, aber leise. | |
| Die Familie habe sie sehr unterstützt – vor allem ihre Mutter. „Sie hat | |
| hart gekämpft, damit ich ein gutes Leben habe“, sagt sie. Bis zu dem Tag, | |
| an dem die Mutter Nachrichten auf Fllanxa Murras Handy las und herausfand, | |
| dass ihre Tochter lesbisch ist. Fllanxa Murra hatte sich in die | |
| Journalistin verliebt, die den Fernsehbeitrag über ihr Leben gedreht hatte: | |
| „Meine Familie ist ausgerastet.“ | |
| ## „Ich war zu müde zum Leben“ | |
| Ihr Verhältnis zu ihrer Mutter zerbrach binnen Sekunden. „Du Lesbe“, rief | |
| ihre Familie, du Behinderte!“ Fllanxa Murra erzählt, wie sie in ihrem | |
| Zimmer eingesperrt worden sei und ihr das Handy abgenommen wurde. Jeglichen | |
| Kontakt zur Außenwelt habe die Familie ihr verwehrt, an manchen Tagen habe | |
| sie nicht einmal Essen gebracht bekommen. | |
| Nach einer Woche habe ihre Freundin sie zu Hause aufgesucht, weil sie sich | |
| Sorgen machte. Fllanxa Murras Vater habe sie verprügelt. Und die Freundin | |
| sei gegangen. | |
| Fllanxa Murra konnte nicht gehen. Ihre Prothesen waren schon zu alt, zu | |
| kaputt, um damit noch richtig laufen zu können. „Das war der Moment, in dem | |
| ich beschlossen habe, mich umzubringen“, erzählt sie. Zu dem Zeitpunkt war | |
| sie 25. Sie habe eine Überdosis der Tabletten genommen, die die Schmerzen | |
| der Gliedmaßen erträglich machen sollten, und gewartet. „Ich war zu müde | |
| zum Leben“, sagt sie heute. | |
| Ihre Familie fand sie rechtzeitig und brachte sie in ein Krankenhaus in | |
| Tirana. Zwei Monate wurde sie dort wegen der Überdosis und ihrer | |
| psychischen Leiden behandelt, bis sie für einige Tage zu der einzigen | |
| Schwester ging, die aus dem Dorf nach Tirana gezogen war. In deren Wohnung | |
| lernte sie Dritan H. kennen – den Mann, der ihr Hoffnung auf ein besseres | |
| Leben gab. „Er hat versprochen, mir zu helfen.“ | |
| ## *** | |
| In einer der folgenden Nächte schafft sie es mit der Hilfe von Dritan H., | |
| aus ihrem Dorf zu fliehen. Mit einem Kleinbus fahren sie am 2. Oktober 2016 | |
| über 20 Stunden lang, passieren fünf Landesgrenzen, ohne gestoppt zu | |
| werden. „Es waren viele Leute, die nach Deutschland wollten“, erinnert sie | |
| sich. 300 Euro pro Person haben sie für die Fahrt im Kleinbus von Tirana | |
| ins sächsische Riesa gezahlt. Sie werden direkt zur örtlichen Polizei | |
| gebracht, wo sie die erste Nacht verbringen, bevor sie nach Leipzig weiter | |
| verteilt werden. „Wie in einem Taxi“, sagt sie, als sei ihre Flucht eine | |
| Fahrt zum Supermarkt. | |
| ## *** | |
| Die Geschichte der Flucht von Fllanxa Murra könnte hier zu Ende sein. Heute | |
| sitzt sie in dem engen, mit Bücherregalen gefüllten Eingangsraum der | |
| Kleiderkammer in Taucha. Mit aufgewecktem, aber sichtlich erschöpftem Blick | |
| schaut sie auf ihre rechte Hand, an der sie ein schwarzes geflochtenes | |
| Armband trägt. Auf einem dezenten weißen Stein ist ein kleines F | |
| eingraviert. Fllanxa Murra ist müde. Und dennoch will sie ihre Geschichte | |
| öffentlich machen. „Ich hoffe, dass mir dann noch geholfen wird.“ | |
| Was hier aufgeschrieben ist, basiert auf Gesprächen mit ihrem Umfeld, auf | |
| ärztlichen Stellungnahmen und Behördendokumenten, die sie fein säuberlich | |
| in einem Ordner sammelt. Und auf dem, was sie selbst erzählt. Nicht alles | |
| können wir überprüfen. Aber was Fllanxa Murra erzählt, wirkt glaubwürdig. | |
| ## *** | |
| Es ist der 18. Oktober 2016, als Fllanxa Murra und Dritan H. einen | |
| Asylantrag stellen. Zwischenzeitlich wurden sie in eine Unterkunft für | |
| Asylsuchende nach Leipzig gebracht. Dritan H. ist der Einzige, dem sie | |
| vertraut. Ohne ihn hat sie keine Möglichkeit, sich zu artikulieren, denn | |
| sie spricht kein Deutsch. Sie kann sich ohne ihn nicht außerhalb der | |
| Unterkunft bewegen, denn sie hat anfangs keinen Rollstuhl und keine | |
| funktionierenden Prothesen. Dritan H. wird zu einem Freund, in dessen Hände | |
| sie ihr Leben legt. | |
| Am 21. Oktober 2016 haben die beiden ihre erste Anhörung beim Bundesamt für | |
| Migration und Flüchtlinge, dem BAMF. Siebzehn Tage später erhalten sie den | |
| ersten Ablehnungsbescheid. Fllanxa Murra sagt, sie habe zu diesem Zeitpunkt | |
| nicht gewusst, dass sich Dritan H. vor den Asylbehörden als ihr Ehemann | |
| ausgibt. Dritan H. habe sich von der Tarnung bessere Chancen erhofft – da | |
| Fllanxa Murra eine Behinderung hat. „Er wollte von mir profitieren“, | |
| erzählt sie. | |
| *** | |
| Es ist eine klirrend kalte Nacht im November 2016. In Nächten wie dieser | |
| ist Dritan H. fast immer mit seinen Freunden unterwegs. Er beginnt, das | |
| gemeinsame Geld für Drogen auszugeben. „Angefangen bei Alkohol, später auch | |
| Marihuana und Kokain“, sagt Fllanxa Murra. Aus den ärztlichen Dokumenten | |
| geht hervor: Am 18. 11. 2016 wird Fllanxa Murra vom medizinischen | |
| Stützpunkt ihrer Unterkunft in das Leipziger Klinikum St. Georg geschickt. | |
| Dritan H. kommt als ihr Übersetzer mit. In keinem Moment ist sie mit | |
| medizinischem Personal allein. Die Diagnose im Krankenhaus: | |
| Unterbauchschmerzen. Sie bekommt Schmerzmittel und wird entlassen. Was die | |
| Ärzte nicht wissen: „Ich wurde von Dritan H. vergewaltigt“, sagt Fllanxa | |
| Murra. | |
| „Ich hatte Angst, zu schreien, weil es mir peinlich war.“ Während Fllanxa | |
| Murra im Krankenhaus auf Hilfe durch das medizinische Personal hoffte, habe | |
| Dritan H. sie verhöhnt. Dass sie sicher Schmerzen habe, weil er so stark | |
| und männlich gewesen sei. Dass er sie „hart genommen“ habe. Dass sie sicher | |
| schwanger sei. Die Vergewaltigung sei ihr erster Geschlechtsverkehr mit | |
| einem Mann gewesen, erzählt Fllanxa Murra. | |
| In den folgenden Wochen habe sich die Situation immer weiter verschlimmert. | |
| Dritan H. habe sie beleidigt und mit einer Waffe bedroht. Ohne ihn sei sie | |
| verloren, habe er ihr fast täglich gesagt. Und sie habe ihm das geglaubt. | |
| In ihrem Rollstuhl habe er sie auf die Straße gebracht, um sie zum Betteln | |
| zu zwingen und in den Supermarkt zum Stehlen. Dann habe er sie in einen | |
| Park geschoben, wo ein Mann auf sie gewartet habe, den sie oral befriedigen | |
| sollte. Erst als sie sich erbrochen habe, durfte sie aufhören. Dritan H. | |
| habe sie geschlagen und eines Tages einen Mann in das gemeinsame Zimmer | |
| gebracht, der Fllanxa Murra erneut vergewaltigt habe. | |
| ## „Im Rahmen der Flüchtlingswelle ist viel passiert“ | |
| Es ist ein Zufall, der Fllanxa Murra im Januar 2017 von Dritan H. befreit. | |
| Immer wieder habe er Streit mit anderen Bewohnern der Asylunterkunft | |
| gehabt, auch wegen der Drogen, sagt sie. Als ein Mann aus Montenegro bei | |
| Dritan H. eine Schusswaffe entdeckt, wird dieser festgenommen – und kurze | |
| Zeit darauf abgeschoben. Für die taz war er bis Redaktionsschluss nicht zu | |
| erreichen. | |
| Heute erzählt Fllanxa Murra, dass sie sich zu dieser Zeit mehrfach bemüht | |
| habe, Hilfe zu holen. „Ich habe versucht, mit den Sozialarbeitern im Camp | |
| zu sprechen, habe versucht, ein eigenes Zimmer zu bekommen“, sagt sie. Doch | |
| es sei abgelehnt worden. Die Leitung der Unterkunft für Asylsuchende gibt | |
| der taz zu den Vorwürfen Murras, in der Unterkunft vergewaltigt worden zu | |
| sein und keine Hilfe bekommen zu haben, keine Auskunft. „Im Rahmen der | |
| Flüchtlingswelle ist viel passiert“, sagt der Leiter der Einrichtung. In | |
| der Tat berichten Medien in dieser Zeit regelmäßig über Missbrauch in | |
| Asylunterkünften. | |
| Ein Dolmetscher wird ihr nicht gestellt – es ist immer Dritan H., der für | |
| sie übersetzt. Erst kurz vor dessen Abschiebung habe sie mit einer | |
| Sozialarbeiterin sprechen können, die ihr von der angeblichen Ehe erzählt. | |
| Sie stellt einen neuen Antrag auf Asyl. | |
| Im Herbst 2017 erfährt sie vom Queer Refugees Network in Leipzig. Erstmals | |
| seit ihrer Ankunft ein Jahr zuvor trifft sie auf UnterstützerInnen, die | |
| bereit sind, sich ihre Geschichte anzuhören. | |
| ## *** | |
| Eine davon ist Sabrina Latz. Sie ist Mitarbeiterin des Queer Refugees | |
| Network, einer Leipziger Unterstützungsorganisation für queere Geflüchtete. | |
| Latz begleitet Fllanxa Murra seit über einem Jahr. Selten zeige die, wenn | |
| es ihr wirklich schlecht geht. „Ich nehme sie als sehr kämpferisch wahr“, | |
| sagt Latz. „Was ihr passiert ist, zeigt, dass die Strukturen in Deutschland | |
| bei besonders schutzbedürftigen Personen versagen.“ Latz ist wütend | |
| darüber, dass nicht früher eine Dolmetscherin hinzugezogen wurde. Dass | |
| Dritan H. geglaubt wurde. Dass Fllanxa Murra nicht barrierefrei | |
| untergebracht wurde. Dass sie nicht ein einziges Mal selbst gefragt wurde, | |
| was eigentlich passiert sei. | |
| Als sie das erste Mal in die Beratung kam, sei sie in sehr schlechter | |
| Verfassung gewesen. Deshalb habe man sich entschieden, sie kurzfristig in | |
| einem Frauenhaus in Leipzig unterzubringen – mit besserer Anbindung an | |
| medizinische und psychologische Betreuung. Am 3. Juli 2018 weist die | |
| Asylbehörde Fllanxa Murra endlich eine eigene Wohnung zu. Allein kann sie | |
| die Wohnung wegen der sechs Eingangsstufen allerdings nicht verlassen. Und | |
| dennoch hat Fllanxa Murra seit zwei Jahren zum ersten Mal einen Ort, an den | |
| sie sich zurückziehen, den sie gestalten kann. Hier hat sie ein selbst | |
| gebasteltes Kuscheltier zur Dekoration aufgestellt. Ein Fantasietier: | |
| kugelrund, grün, mit aufgeklebten Augen und einer Krone. Am Wohnzimmertisch | |
| trägt sie fein säuberlich ihre Termine in einen Kalender: Physiotherapie, | |
| Helios Klinik, Deutschkurs. | |
| Nur einen Tag nach ihrem Einzug in die neue Wohnung kommt der Brief: | |
| Fllanxa Murras Antrag auf Asyl wird als „offensichtlich unbegründet | |
| abgelehnt“. Es bestehe keine „begründete Furcht vor Verfolgung“, keine | |
| „Gefahr eines ernsthaften Schadens“. Weder gebe es Anhaltspunkte, dass Roma | |
| in Albanien einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt wären, noch drohe der | |
| Antragstellerin eine Verfolgung aufgrund ihrer homosexuellen Orientierung. | |
| Der Bescheid verweist auf staatliche Reformen. Eine Verfolgung durch den | |
| nach Albanien abgeschobenen Dritan H., der laut Fllanxa Murra auch nach | |
| seiner Ausreise noch mehrfach gedroht habe, sei „nicht mit beachtlicher | |
| Wahrscheinlichkeit“ anzunehmen. | |
| Und weiter: Es sei „nicht zu erwarten, dass ihre Eltern bei ihrer Rückkehr | |
| anderweitige Handlungen vornehmen, welche die notwendige Intensität einer | |
| Verfolgungshandlung aufweisen“. Begründung: Die Eltern hätten die | |
| Antragstellerin „nur eingeschlossen […], um sie nach Auffassung der Eltern | |
| zu schützen“. | |
| Auf Anfrage der taz teilt das BAMF mit, dass „immer die individuell | |
| vorgetragene Fluchtgeschichte“ bewertet werde. Auf konkrete Nachfragen zum | |
| Fall geht das Amt nicht ein. | |
| ## *** | |
| Tatsächlich ist der Bescheid juristisch korrekt. „Das Problem bei den | |
| sicheren Herkunftsstaaten ist, dass die Nachweispflicht viel höher ist“, | |
| sagt Fllanxa Murras Anwalt Franz Schinkel. Seit Albanien diesen Status | |
| erhalten habe, werde bei AlbanerInnen grundsätzlich vermutet, dass diese | |
| nicht verfolgt werden. „Wir haben es ganz schwer, das Gegenteil zu | |
| beweisen“, sagt Schinkel. | |
| „An Fällen wie diesem merken wir, dass bei diesen Ländern faktisch keine | |
| Einzelfallprüfung stattfindet“, sagt auch Sabrina Latz. | |
| Tatsächlich wird kaum einE AlbanerIn in Deutschland als Flüchtling | |
| anerkannt. Der Asylgeschäftsbericht des Bundesamts zeigt: Von insgesamt 962 | |
| Entscheidungen zwischen Januar und Oktober 2018 erhielt keine Person den | |
| Status als Asylberechtigte, vier Personen wurden als Flüchtling anerkannt | |
| und weiteren vier Personen wurde subsidiärer Schutz gewährt. Für fünf | |
| Personen wurde ein Abschiebeverbot festgestellt. Die übrigen Anträge wurden | |
| abgelehnt. Damit liegt die Anerkennungsquote inklusive Abschiebeverbote bei | |
| 1,35 Prozent. | |
| Weil die Anerkennungsquote schon seit Jahren niedrig ist, wollte die | |
| Bundesregierung 2015 Albanien, Montenegro und das Kosovo als sichere | |
| Herkunftsstaaten deklarieren. Begründung: Wenn sowieso kaum jemand | |
| anerkannt wird, könnte man das Verfahren auch beschleunigen. Dafür brauchte | |
| sie die Zustimmung des von SPD und Grünen dominierten Bundesrats. Nachdem | |
| der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit | |
| seiner Stimme schon geholfen hatte, dass Mazedonien, Serbien und | |
| Bosnien-Herzegowina als sicher deklariert wurden, löste die Debatte dieses | |
| Mal einen Richtungsstreit innerhalb der Partei aus. Die Landeschefs | |
| veröffentlichten ein Papier, in dem sie sich gegen eine Ausweitung der | |
| sicheren Herkunftsländer stellten. | |
| Also gab es einen Deal: Die Bundesregierung machte Zugeständnisse bei der | |
| Asylrechtseinschränkung, die Grünen willigten ein. Im Oktober 2015 wurden | |
| Albanien, Montenegro und das Kosovo mit Zustimmung von sieben grünen | |
| Landeschefs als weitere sichere Herkunftsstaaten definiert. | |
| Erst im September 2018 sagte Außenminister Heiko Maas bei einem Besuch in | |
| Tirana, die albanischen Reformleistungen der letzten Jahre bewiesen „eine | |
| beeindruckende politische Kraftanstrengung“. Organisationen wie Amnesty | |
| International oder der Zentralrat der Sinti und Roma prangern die | |
| gesellschaftliche Diskriminierung von Minderheiten, die patriarchale | |
| Familienstruktur und die Korruption in Albanien an. | |
| „Alle Länder im westlichen Balkan haben Strategien zur Integration der Roma | |
| erlassen, ohne dass diese umgesetzt werden“, heißt es in einem Statement | |
| des Zentralrats der Sinti und Roma von 2017. In Bezug auf sexuelle Freiheit | |
| sieht es kaum anders aus: 1995 wurde Homosexualität im Strafgesetz als | |
| Haftgrund gestrichen. Gesellschaftlich ist Homophobie noch immer stark | |
| verbreitet. Als 2012 die erste Gay-Pride-Parade Albaniens in Tirana | |
| stattfinden sollte, drohte der damalige stellvertretende | |
| Verteidigungsminister, die TeilnehmerInnen verprügeln zu lassen. | |
| ## *** | |
| Drei starke Schmerzmittel muss Fllanxa Murra derzeit einnehmen, gegen die | |
| Nervenschmerzen infolge der Amputationen. Eines davon istMetamizol, in der | |
| höchsten Dosierung, die man verabreichen kann. Eine Ärztin hat bei Fllanxa | |
| Murra den „dringenden Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung“ | |
| diagnostiziert. Die Stellungnahme liegt auch dem Asylantrag bei. Die Ärztin | |
| empfiehlt eine psychotherapeutische Behandlung. | |
| Da das BAMF in Murras Fall die Diskriminierung als Romni und als | |
| Homosexuelle nicht als Asylgrund anerkennt, bleibt ihr nur die Möglichkeit, | |
| aus medizinischen Gründen ein Abschiebeverbot zu erwirken. Doch die | |
| Stellungnahme der Ärztin reicht dafür nicht aus. Dafür müsste das Bundesamt | |
| ein Gutachten bestellen. | |
| Das BAMF geht jedoch davon aus, dass die medizinische Betreuung auch in | |
| Albanien erfolgen kann. Die Ausländerbehörde prüft zusätzlich, ob durch die | |
| Abschiebung eine „besondere Gefahr für Leib oder Leben“ entsteht – | |
| beispielsweise Suizidgefahr, wie Murras Rechtsanwalt Schinkel erklärt. | |
| Schinkel klagt gegen den Asylbescheid und versucht gleichzeitig, die | |
| Abschiebung hinauszögern. Sonst könnte Fllanxa Murra trotz der Klage | |
| abgeschoben werden. „Wenn ich zurück nach Albanien muss, bin ich verloren“, | |
| sagt sie. Von ihrer Familie könne sie keine Hilfe mehr erwarten. Und selbst | |
| wenn sie die jährliche Invalidenrente von 100.000 Lek, umgerechnet etwa 800 | |
| Euro, die sie vom Staat bis zu ihrer Ausreise bekommen hat, noch einmal | |
| bekäme, würde diese nicht zum Leben reichen. Sogar der niedrige Mindestlohn | |
| liegt in Albanien bei 252.000 Lek. „Man kann Frau Murra nicht einfach auf | |
| dem Flughafen absetzen“, sagt Schinkel. | |
| ## *** | |
| Bis zum 28. November hat Fllanxa Murra noch Zeit, freiwillig auszureisen. | |
| Wenn sich die rechtliche Lage bis zu dem Termin nicht verändert hat, kann | |
| sie abgeschoben werden. Und was passiert dann? „Dann bringe ich mich um.“ | |
| Die Antwort kommt zu schnell, als das sie nicht wohlüberlegt sein könnte. | |
| Ihre Unterstützer aus Taucha haben Unterschriften für einen Härtefallantrag | |
| gesammelt. Sie ist fest in den kleinen Ort integriert, nimmt an Grillfesten | |
| und Kirchenkonzerten teil, kommt regelmäßig zur Kleiderkammer – wie heute. | |
| Dann sitzt sie mit den anderen am Tisch, trinkt Kaffee, plaudert, so gut es | |
| geht, lernt Deutsch. | |
| Zwei ehrenamtliche Helfer helfen Fllanxa Murra, zu ihren Terminen zu | |
| kommen. Lothar Trinks, ein ehemaliger Friedhofsgärtner aus Taucha, hilft | |
| ihr aus dem Rollstuhl in sein Auto, um sie in die nur wenige Hundert Meter | |
| entfernte Wohnung zu fahren. Dort trägt er den Rollstuhl die Treppen hoch – | |
| während Fllanxa Murra sich Stufe für Stufe zu ihrer Eingangstür hochstützt. | |
| Die beiden sind ein eingespieltes Team. | |
| Heute ist Donnerstag, einer der Tage, die ihr Hoffnung geben. Dienstags und | |
| donnerstags geht sie zum Deutschkurs. Auf dem schwarzen Wohnzimmertisch in | |
| ihrer Wohnung liegen Lernzettel, Sprachlernbücher und Dokumente. Sätze wie | |
| „Mein Kopf tut weh“, schreibt sie auf die losen Blätter. | |
| Fllanxa Murra, die wenige Monate vor ihrem 30. Geburtstag steht, hat Pläne. | |
| „Ich will eine Ausbildung machen, damit ich genauso wie alle anderen leben | |
| kann“, sagt sie. Leise, als sei es zu peinlich, einen solchen Gedanken mit | |
| ihrer Behinderung überhaupt zu denken, sagt sie: „Ich würde gerne | |
| Schwimmerin werden.“ Die letzten Worte will sie ohne Hilfe der | |
| Dolmetscherin sagen: „Glücklich sein.“ | |
| 30 Nov 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Sarah Ulrich | |
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