# taz.de -- Abschiebung nach Albanien: Zurück unter Wellblech | |
> Als Kind verlor Fllanxa Murra ihre Beine, als Erwachsene floh sie nach | |
> Deutschland – und wurde abgeschoben. Ist Albanien für eine lesbische | |
> Romni sicher? | |
Bild: Fllanxa Murra auf dem Weg zum Haus ihrer Schwester | |
Im Norden Tiranas liegt das Mutter-Theresa-Krankenhaus, es ist das größte | |
in ganz Albanien. Hunderte Menschen eilen zwischen Notaufnahme und | |
Fachzentren hin und her. Nur eine Straßenkreuzung weiter, vom | |
Krankenhausgelände ausgelagert, begrüßen ein müder Wachmann und ein Hund | |
die BesucherInnen des Gebäudes V. „Spitali Psikiatrik“ steht auf einer | |
braunen Marmorplatte geschrieben: die Psychiatrie. | |
Eine Krankenschwester sitzt bei der improvisierten Anmeldestation und | |
prüft, wer das Gebäude betritt, mehr symbolisch als pedantisch. Glatte | |
Steintreppen führen in den ersten Stock. Hinter einer weißen Eisentür, die | |
nur von innen oder mit einem Schlüssel geöffnet werden kann, befindet sich | |
die Frauenstation, auf der seit dem 6. Dezember auch Fllanxa Murra liegt. | |
Grelle Leuchtstoffröhren erhellen den langen Gang, die Wände sind gelb | |
gestrichen. Getönte Fensterscheiben und Gitterstäbe trennen die | |
Patientinnen von der Außenwelt. Die karge Einrichtung sei Konzept, sagt die | |
Ärztin – Sicherheitsvorkehrungen, damit sich die Patientinnen nicht | |
umbringen. | |
Fllanxa Murra, die junge Frau, die hier von allen beim Vornamen genannt | |
wird, sitzt auf einem Metallbett und schaut auf ihr Handy. FreundInnen aus | |
Deutschland schicken ihr Nachrichten. Sie fragen, wie es ihr geht, und | |
schreiben, sie solle durchhalten. Was Murra nicht versteht, übersetzt sie | |
mit einer App. | |
## Sie war aus ihrer Gemeinde nicht mehr wegzudenken | |
Vor ihr steht ein Rollstuhl. Die Prothesen, die in einer Ecke in einer | |
Mülltüte verpackt stehen, sind zu alt, als dass sie sich schmerzfrei mit | |
ihnen bewegen könnte. Murra sagt, sie habe als Kind ihre Beine bei einem | |
Unfall mit einer Landmine verloren. Sie zieht eine Decke bis zur Hüfte, | |
eine Strickjacke schützt sie gegen die Zugluft. | |
Zwei Wochen zuvor [1][wurde Fllanxa Murra abgeschoben]. Im Oktober 2016 war | |
sie nach Deutschland geflohen. Die 29-Jährige ist Balkanägypterin, eine | |
Minderheit der Roma in Albanien, und wuchs in einer armen Region unweit der | |
Kleinstadt Burrel auf. Als Murras Familie herausfand, dass sie lesbisch | |
ist, sperrte sie sie für mehrere Tage in ein Zimmer ein, bis sie versuchte, | |
sich umzubringen, erzählt Murra. | |
Im November [2][hat sie der taz ihre Lebensgeschichte erzählt], ihre Pläne | |
für die Zukunft. Sie hatte in Taucha, einer kleinen Stadt unweit von | |
Leipzig, ein Zuhause gefunden. Eine eigene Wohnung, regelmäßige | |
medizinische und psychologische Betreuung, ein Deutschkurs und | |
Gemeindefeste gehörten zu ihrem Alltag. „Fllanxa ist fester Bestandteil | |
unserer Gemeinde. Gar nicht mehr wegzudenken“, sagte Lothar Trinks damals, | |
ein ehemaliger Friedhofsgärtner, der Murra in ihrem Alltag half, zusammen | |
mit anderen BürgerInnen aus Taucha und dem Queer Refugees Network in | |
Leipzig. | |
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat Murras Asylantrag als | |
„offensichtlich unbegründet“ abgelehnt, da keine „begründete Furcht vor | |
Verfolgung“ bestehe und sie in Albanien keine „Gefahr eines ernsthaften | |
Schadens“ zu befürchten habe. Nicht als Romni, nicht wegen ihrer | |
Homosexualität und auch nicht wegen ihrer Behinderung. 2015 ist Albanien | |
von der Bundesregierung [3][in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten | |
aufgenommen worden], eine Aussicht auf Asyl haben nur die allerwenigsten. | |
Fllanxa Murra gehörte nicht dazu: Am Nikolaustag um drei Uhr morgens begann | |
ihre Abschiebung. | |
## War die Abschiebung rechtmäßig? | |
Dass eine lesbische Frau im Rollstuhl abgeschoben wird, hat viele Menschen | |
in Deutschland bewegt, Berichte über Murras Abschiebung wurden hundertfach | |
in sozialen Netzwerken geteilt. Seitdem stellen sich ihr Anwalt und ihre | |
FreundInnen in Taucha und Leipzig Fragen: Wie lief die Abschiebung ab, war | |
sie rechtmäßig? Warum wurde Murra in Albanien in eine Psychiatrie gebracht? | |
Und vor allem: Wie geht es ihr dort? | |
Einen Tag nach dem ersten Besuch steht Fllanxa Murra mit lila Krücken vor | |
ihrem Bett und lächelt. Sie wirkt viel aufgeweckter als am Tag zuvor. „Wie | |
geht es dir?“, fragt sie auf Deutsch, und beantwortet die Gegenfrage: „Es | |
geht mir gut.“ Sie zeigt auf die Prothese und die Krücken, die ihr aus | |
Deutschland mitgebracht wurden. | |
Sie weiß, wie wichtig es ist, dass sie die Details der Abschiebung genau | |
und wahrheitsgetreu schildert. Sie hat Angst davor, Fehler zu machen. Angst | |
vor einer „Rache“ der deutschen Behörden. Inzwischen hat sie sich auf ihr | |
Bett gesetzt, das Stehen auf der Prothese strengt sie an. Die Ärztinnen | |
glauben, dass Murra mit einer Bekannten aus Deutschland spricht. Wüssten | |
sie von dem Interview, hätten sie es verhindert, sagt die Übersetzerin. | |
Um drei Uhr nachts habe es an der Klingel ihrer Wohnung in Taucha | |
geklingelt, erzählt Murra. Drei Mal. Durch den Spion in der Wohnungstür | |
habe sie gesehen, dass PolizistInnen vor der Tür stehen, eine Frau und fünf | |
oder sechs Männer. Sie habe Angst bekommen und nicht gewusst, was sie tun | |
solle. Um zu vermeiden, dass die BeamtInnen die Tür aufbrechen, habe sie | |
entschieden, sie selbst zu öffnen. | |
## Sie schrie – die Polizisten schrien zurück | |
Ein Polizist habe Murra auf Deutsch gesagt, man habe den Befehl zur | |
Abschiebung. „Ich habe gesagt, dass ich niemanden in Albanien habe, dass es | |
gefährlich ist, zurückzukommen“, sagt Murra. Immer wieder wiederholt sie | |
die Worte, mit denen sie versucht habe, das Gesagte zu vermitteln: „Ich | |
Anwalt“, „nicht Albanien“, „bitte helfen“, „Gefahr“. Sie habe ges… | |
und die PolizistInnen hätten zurück geschrien: Sie solle sich beruhigen. | |
Murra erzählt, dass sie den BeamtInnen die ärztlichen Gutachten gezeigt | |
habe. „Sie haben sie nicht durchgelesen, sondern einfach in meine Tasche | |
gepackt.“ Dann habe man sie auf den Boden gedrückt und in Handschellen | |
gelegt. Sie sagt, sie habe sich wegen ihrer fehlenden Finger an einer Hand | |
befreien können und es geschafft, in die Küche zu fliehen. „Da habe ich ein | |
Messer genommen und gedroht, mich umzubringen.“ | |
Die PolizistInnen hätten ihr das Messer abgenommen, sie sei von vier | |
Männern in einen Polizeiwagen gebracht worden, in ihrer Schlafkleidung. | |
Ihre neue Prothese habe man nicht eingepackt, sondern nur die beiden über | |
zehn Jahre alten, mit denen sie nicht richtig laufen kann. „Ich habe | |
versucht, es zu erklären“, sagt Murra, „aber es war zu chaotisch.“ Die | |
Beamtin sei gefahren, zwei Männer hätten sie festgehalten und ihr wehgetan. | |
Später zeigt sie Fotos, die sie am Tag nach der Abschiebung gemacht hat. Zu | |
sehen sind Hämatome an Murras Armen. | |
Am Flughafen in Leipzig hätten die PolizistInnen sie in ihrem Rollstuhl an | |
die Bundespolizei übergeben, sagt Murra. Erst zu diesem Zeitpunkt sei eine | |
Dolmetscherin dazugekommen. Murra sagt, sie habe versucht ihr zu erklären, | |
dass sie mit ihrem Anwalt sprechen müsse. Die Dolmetscherin habe für die | |
PolizistInnen übersetzt: „Nein, du hast keinen Anwalt. Wir brauchen nicht | |
mit einem Anwalt reden.“ Sie solle sich benehmen, habe man ihr gesagt. | |
## Medikamente wider Willen | |
Dann habe man sie auf dem Boden festgehalten, ihren Kopf fixiert, den Mund | |
zugehalten und Medikamente durch die Nase gespritzt. Murra imitiert den | |
Ablauf, greift sich an den Hals und auf den Mund. Sie hat gegen ihren | |
Willen Medikamente bekommen? Murra nickt. „Ja, ein flüssiges Mittel.“ | |
Zwei Polizisten und ein Arzt hätten sie in das Flugzeug gebracht, wo man | |
sie angeschnallt und erneut das Medikament verabreicht habe. Was es gewesen | |
sei, wisse sie nicht. Sie sei müde geworden, habe Kopfschmerzen bekommen. | |
„Es hat sich angefühlt, als hätte ich zwei Köpfe.“ In Albanien hätten d… | |
deutsche Arzt und die beiden Polizisten sie an die albanische Polizei | |
übergeben, die schon gewartet habe. In einem Krankenwagen sei sie | |
schließlich in die Psychiatrie gebracht worden. | |
Der Sprecher der Landesdirektion Sachsen sagt, man habe nicht entschieden, | |
dass sie in eine Psychiatrie gebracht werde. „Die albanischen Behörden | |
wurden allerdings vor Start des Flugzeugs über den Zustand von Frau Murra | |
informiert.“ | |
Der Sprecher der Bundespolizeiinspektion Leipzig bestätigt: „Nach der | |
Landung in Tirana ist Frau M. an die örtlichen Grenzschutzbehörden | |
übergeben worden.“ Dies entspreche den standardisierten Verfahren bei | |
Rückführungen. Er rechtfertigt die Zwangsmaßnahmen damit, dass die Beamten | |
Murra vor der Gefahr schützen wollten, aus dem Rollstuhl zu stürzen und | |
sich dabei selbst zu verletzen. Dafür hätten die Beamten sie „soweit | |
erforderlich und verhältnismäßig am Oberkörper“ festgehalten. | |
## Ein Anwalt prüft die Rechtmäßigkeit | |
Zu dem Vorwurf, dass Murra gegen ihren Willen Medikamente bekommen habe, | |
gibt er keine Auskunft. Er selbst sei nicht dabei gewesen, auch sonst wisse | |
„jetzt keiner mehr was darüber.“ Dem Vorwurf, Murra habe keinen Anwalt | |
kontaktieren dürfen, hält die Bundespolizei entgegen: „Es bestand am 6. | |
Dezember 2018 anwaltlicher Kontakt mit der Bundespolizei.“ Murras Anwalt | |
Franz Schinkel bestätigt zwar, dass es den Kontakt gegen 9 Uhr 25 am Morgen | |
gegeben habe, jedoch auf seine „eigene Initiative“ hin. Mit Fllanxa Murra | |
selbst habe er nicht gesprochen. | |
Nach dem sächsischen Gesetz über die Hilfen und Unterbringung bei | |
psychischen Krankheiten wäre eine Zwangsmedikamentierung in Ausnahmefällen | |
tatsächlich legal, wenn „der Patient krankheitsbedingt nicht fähig (ist), | |
Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlung einzusehen oder seinen Willen | |
nach dieser Einsicht zu bestimmen“. Ob das bei Murra gegeben war, prüft nun | |
ihr Anwalt. | |
Er prüft auch, ob die Abschiebung zu diesem Zeitpunkt rechtlich in Ordnung | |
war. Murras Anwalt kritisiert, dass sie nicht ausreichend Gelegenheit | |
hatte, juristisch gegen die Ablehnung ihres Asylantrags vorzugehen. Am 20. | |
November hatte er einen Duldungsantrag gestellt, um die Abschiebung | |
auszusetzen. Am 29. November reichte er neue ärztliche Dokumente nach – | |
unter anderem ein Schreiben der Universitätsklinik Leipzig. | |
Darin wird Murra eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert: „Die | |
Gefahr einer deutlichen Verschlechterung der Symptomatik bis hin zum | |
weiteren Suizidversuch“ sehen die Ärzte im Fall einer Abschiebung als „sehr | |
wahrscheinlich“ an. Diese Gutachten sind allerdings nicht bindend – nach | |
geltendem Recht muss ein von der Ausländerbehörde beauftragter Arzt eine | |
Reiseunfähigkeit feststellen. | |
## Murra könnte nach Deutschland zurückgeholt werden | |
Murra erfuhr erst in der Nacht ihrer Abschiebung von den PolizistInnen, | |
dass die Ausländerbehörde ihren Antrag auf Duldung abgelehnt hatte. Ihr | |
Anwalt erfuhr es erst am nächsten Morgen. Und klagt nun nicht nur gegen die | |
Ablehnung ihres Asylantrags, sondern auch gegen die Abschiebung. „Nach | |
derzeitigem Kenntnisstand bin ich der Meinung, dass diese Abschiebung | |
rechtswidrig war“, sagt er. | |
Sollte er recht haben, könnte Murra nach Deutschland zurückgeholt werden – | |
bleiben darf sie nur, wenn ihr auch ein Aufenthaltsrecht erteilt wird. Bis | |
all das entschieden ist, können 6 bis 18 Monate vergehen. | |
In der Psychiatrie in Tirana teilt sich Fllanxa Murra ihr Zimmer mit einer | |
18-Jährigen, die Wahnvorstellungen hat. Das Interview gibt sie in einem | |
Nachbarzimmer. Von nebenan hört man Schreie und Poltern. „Die Leute hier | |
sind verrückt“, sagt Murra. „Ich gehöre hier nicht hin.“ Auch ihre Ärz… | |
sagt, Murra brauche keine psychiatrische, sondern eine langfristige | |
psychologische und medizinische Versorgung. | |
Später kommt Murras Schwester Zyraja zu Besuch. Sie ist die Einzige aus der | |
Familie, mit der sie noch Kontakt hat. Herzlich küsst die Schwester sie auf | |
die Wange und wischt lachend die Spuren ihres Lippenstifts von Fllanxa | |
Murras Wange. Die lacht mit. Auch an den Grübchen sieht man, dass die | |
beiden Schwestern sind. Zu gern würde sie Fllanxa mehr unterstützen, sagt | |
Zyraja, die ihren Nachnamen nicht veröffentlichen will. „Aber ich kann ihr | |
nicht finanziell helfen.“ Sie sagt auch, dass Fllanxa Murra durch ihre Zeit | |
in Deutschland offener geworden sei. „Man sieht es ihr an. Ich merke es | |
auch, wenn sie redet.“ | |
## Ihre Familie spricht nicht mehr über sie | |
In Albanien würde Fllanxa Murra vermutlich wieder eine Invalidenrente von | |
etwa 66 Euro monatlich bekommen – ohne Unterstützung reicht das nicht. Ihre | |
Schwester versucht, eine Wohnung für sie zu finden. | |
Auf Unterstützung durch die Familie kann Murra nicht hoffen. „Unsere Eltern | |
sagen, Fllanxa gehöre nicht mehr zur Familie. Dass sie homosexuell ist, sei | |
eine Schande“, sagt Zyraja. Seit Murras Flucht werde nicht mehr darüber | |
gesprochen. | |
Als Fllanxa Murra Anfang Dezember in die Psychiatrie in Tirana eingeliefert | |
wurde, informierten die Ärztinnen unmittelbar ihre Verwandten. Alle kamen | |
in die Klinik. Auch diejenigen, die sie vor zwei Jahren wegen ihrer | |
Homosexualität verdammt hatten: Vater, Mutter, Brüder. Die Mutter habe | |
gesagt, sie solle nach Hause kommen. Doch Murra will nicht, sie hat Angst. | |
Ihre Ärztin sagt, dass es der Vater sei, der die Angst auslöse. Und dass | |
sie dabei gewesen sei, als er zu Murra sagte, sie gehöre nicht mehr zur | |
Familie. | |
Auch ihre Schwester glaubt, dass Fllanxa Murra nicht zur Familie | |
zurückkehren könne. „Selbst wenn sich der Kontakt verbessern würde, wäre | |
das Leben in dem Dorf für Fllanxa unmöglich.“ Das Beste für sie wäre, wenn | |
sie nach Deutschland zurück könnte – „auch, wenn sie dann nicht mehr bei | |
mir ist“. | |
## Homosexuelle in Albanien zu verstoßen, ist nicht selten | |
Xheni Karaj hat in Tirana vor zehn Jahren die Alianza LGBT gegründet, eine | |
Organisation, die sich für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und | |
Transpersonen einsetzt. Dass Homosexuelle in Albanien von ihren Familien | |
eingesperrt, verstoßen oder gar verletzt werden, sei keine Seltenheit, sagt | |
die 33-Jährige und blickt auf die Bildschirme der Überwachungskameras. | |
Der Beratungsraum des Community Centers liegt in einem Hinterhaus nahe der | |
Innenstadt. Wer die Adresse nicht kennt, findet diesen Schutzraum für LGBT | |
nicht. Karaj trifft alle, die Kontakt zur Alianza suchen, zunächst in einem | |
nahe gelegenen Café – eine Vorsichtsmaßnahme. | |
Im Fenster des flachen Hauses mit dem großen Innenhof hängt eine | |
Regenbogenflagge, drinnen flirren elektrische Heizer gegen die Kälte des | |
albanischen Winters an. Jubel dringt aus einem Nebenraum. Eine Gruppe | |
junger Menschen bereitet sich hier gerade auf die Wahl zur „Miss Trans“ | |
vor. Xheni Karaj begrüßt später alle mit einer Umarmung. | |
Karaj kennt die Geschichte von Fllanxa Murra. Als Murra abgeschoben wurde, | |
baten ihre Unterstützer vom Queer Refugees Network aus Leipzig Karaj um | |
Hilfe. Murras Fall sei der schwierigste, den sie je gehabt habe. | |
Homosexuell, körperlich eingeschränkt und Romni – das sei in Albanien „ein | |
Todesurteil.“ Karajs Organisation hat zwar eine Notunterkunft, in der | |
obdachlose LGBT-Personen Unterschlupf finden können – die ist aber nicht | |
barrierefrei. | |
## In Deutschland könnte sie leben | |
„Wir haben nicht genügend Ressourcen, um Fllanxa zu unterstützen“, sagt | |
Karaj. Zudem gebe es in Albanien weder ausreichende staatliche | |
Unterstützung und medizinische Versorgung, noch Infrastruktur für Personen | |
mit Behinderung. Man sehe kaum Menschen mit Behinderung auf der Straße. | |
„Die einzige Möglichkeit für sie ist, zu Hause zu bleiben.“ | |
Wäre es besser, wenn Murra in Deutschland lebte? „Ja, definitiv“, sagt | |
Karaj. In Deutschland könne sie das, was ihr in Albanien verwehrt wird: | |
„Leben statt bloß überleben.“ | |
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sieht das anders. In dem | |
Ablehnungsbescheid, den Murra am 4. Juli 2018 erhielt, heißt es, es gebe in | |
Albanien „weder eine staatliche Diskriminierung von Frauen noch von Lesben, | |
Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen, Transgendern oder Intersexuellen | |
(LGBTTI)“. Ein Gesetz schütze zudem vor häuslicher Gewalt. | |
Ein im Mai 2016 verabschiedeter „Aktionsplan zur besseren Integration“ von | |
LGBTTI werde von Nichtregierungsorganisationen gelobt. Fllanxa Murra drohe | |
weder eine Verfolgung durch den albanischen Staat noch durch | |
nichtstaatliche Akteure. | |
## Ein Spendenkonto für die Miete | |
Karaj kennt diese Argumentation. Die neuen Antidiskriminierungsgesetze | |
interpretiert sie als Anbiederung – Albanien bewirbt sich derzeit um den | |
Beitritt zur EU. „Es gibt einen großen Kontrast zwischen den Gesetzen auf | |
dem Papier und der Realität.“ Sie erzählt von anderen Fällen, in denen | |
LGBT-Personen von ihren Eltern eingesperrt oder rausgeworfen wurden. | |
Von Fällen, in denen Eltern ihre Kinder zu ÄrztInnen brachten, damit diese | |
sie von ihrer Sexualität heilten. Und davon, wie ein Arzt sich weigerte, | |
eine Transperson zu behandeln. Er habe Karaj angerufen und gesagt: „Warum | |
lasst ihr diese Menschen nicht einfach sterben?“ | |
Am 20. Dezember verlässt Murra die Psychiatrie. Sie hätte schon früher | |
gehen können, durfte aber noch bleiben. „Aus Kulanz“, sagt die Ärztin. | |
„Weil ich nicht weiß, wo ich hin soll“, sagt Murra. | |
Bis deutsche Gerichte über die Rechtmäßigkeit von Murras Abschiebung | |
entschieden haben, will sie in eine eigene Wohnung ziehen. Doch es ist | |
schwer, in Tirana eine für sie bezahlbare Wohnung zu finden – an eine | |
barrierefreie ist kaum zu denken. In Deutschland [4][haben ihre | |
UnterstützerInnen ein Spendenkonto eingerichtet], um Geld für ihre Miete zu | |
sammeln. | |
## Eine Notlösung … | |
Kurz bevor sie die Psychiatrie verlässt, sitzt Fllanxa Murra auf einem | |
Holztisch im kahlen Gang und wippt nervös mit der Prothese. Aus ihrer | |
Hosentasche zieht sie einen Zettel, auf dem „Ihr nächster Termin“ steht. | |
Datiert auf den 4. Januar 2019, 13 Uhr. Wahrnehmen kann sie den Arzttermin | |
nicht, er ist in der Helios-Klinik in Leipzig. | |
Mit den lila Krücken und der neuen Prothese geht Murra, sich an der Wand | |
abstützend, die glatten Stufen hinunter zum Ausgang der Klinik. Ihre | |
Schwester ist gekommen, um sie abzuholen. Fürs Erste kommt Murra bei ihr | |
unter. Ein Bekannter der beiden holt sie mit seinem VW Golf ab. Auf dem | |
Rücksitz winkt ein kleiner Junge aufgeregt. Es ist Fllanxa Murras Neffe. | |
Sie steigt ein und küsst ihn. „Er freut sich, mich zu sehen“, sagt sie. | |
„Und ich freue mich.“ | |
Während der Autofahrt blickt Murra aus dem Fenster in den Trubel der Stadt. | |
„In Deutschland kann ich allein die Straßenbahn nehmen und Freunde | |
treffen“, sagt sie. „Hier ist das nicht möglich.“ Draußen fahren alte | |
Linienbusse mit Treppenstufen. Ein Straßenbahnnetz gibt es nicht. | |
## … die keine ist | |
Nach etwa einer halben Stunde löst sich die Hektik Tiranas auf. Die Straßen | |
haben Schlaglöcher, es ist wenig von den Weihnachtslichtern der Innenstadt | |
übrig. Ein einzelner Bulle steht auf einer Wiese, auf der sich Heuballen | |
stapeln. An den Straßenrändern und in Bächen sammelt sich der Müll. Ein Weg | |
führt zu dem mit Wellblech bedeckten Haus, in dem Murras Schwester mit | |
ihrem Ehemann und den zwei Kindern lebt, direkt neben der Schwiegermutter | |
und deren Familie. Murra steigt aus, manövriert sich mit ihren Krücken | |
zwischen der an der Leine hängenden Wäsche hindurch. | |
Murras Schwester führt in den kleinen Raum, in dem ein Bett, ein | |
Kleiderschrank und ein Regal stehen. In einer Nische hängt ein Waschbecken, | |
in dem sich Kochtöpfe stapeln. Eine Tür führt zu einem weiteren kleinen | |
Raum, dem Stehklo. Es ist kalt, eine Heizung gibt es nicht. Auf gut zwanzig | |
Quadratmetern leben hier vier Personen – und nun vorerst auch Fllanxa | |
Murra. | |
„Es geht nicht“, sagt ihre Schwester. „Sie kann hier nicht leben.“ Schn… | |
dreht sie die Bilder der Eltern und Brüder auf der Kommode um. „Damit | |
Fllanxa nicht weint.“ Draußen warten die Schwiegermutter und deren Tochter. | |
Die alte Frau streckt ihre Hände gen Himmel. Sie betet für Fllanxa Murra. | |
9 Jan 2019 | |
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[4] https://www.facebook.com/Fllanxa-Murra-zur%C3%BCck-nach-Deutschland-holen-3… | |
## AUTOREN | |
Sarah Ulrich | |
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