| # taz.de -- Aktion „Go Film the Police“: Der Dreh gegen Polizeigewalt | |
| > Eine Initiative will mit Videos die Beweislage bei Polizeiübergriffen | |
| > verbessern. Beamte nehmen filmenden Zeugen gern das Handy ab – zu | |
| > Unrecht. | |
| Bild: Es ist nicht verboten, die Polizei bei Einsätzen zu filmen. Eine Kampagn… | |
| Berlin taz | Spätestens seit dem Mord an George Floyd im Frühjahr 2020 ist | |
| es offenkundig: Vorfälle von rassistischer Polizeigewalt werden oftmals nur | |
| durch „Bürger*innen-Videos“ öffentlich bekannt und juristisch verfolgt. D… | |
| ist auch die Erfahrung der Berliner Kampagne für Opfer rassistischer | |
| Polizeigewalt (KOP), die seit Jahren ihr bekannt werdende Fälle | |
| dokumentiert und Betroffenen zur Seite steht. | |
| Allerdings erlebten filmende Zeug*innen oder Betroffene immer wieder, | |
| [1][dass Polizist*innen versuchen, Handys zu beschlagnahmen] oder die | |
| Filmenden zu zwingen, Videos direkt zu löschen. „Es kommt dabei oft zu | |
| brutaler Gewalt. Und im Nachgang werden die Filmenden häufig mit dem | |
| Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vor Gericht gebracht“, | |
| erklärt KOP-Mitbegründer Biplab Basu. | |
| Als Beispiel nennt er diesen Fall: Am Abend des 20. Juni filmte Frau I. den | |
| Streit einer Freundin mit zwei Männern in der Falkensteinstraße, zu dem die | |
| Polizei hinzugerufen worden war. Als ein Beamter ihr das Filmen verbot, | |
| hörte sie damit auf, gab sie später bei KOP zu Protokoll. Dennoch habe der | |
| Beamte sie von hinten umfasst und schmerzhaft ihren Arm gegriffen. Ihr | |
| Bruder versuchte dazwischenzugehen, doch der Beamte nahm ihr das Handy ab. | |
| Nach Aussage der beiden beruhigte sich danach die Situation. Plötzlich ging | |
| der Beamte auf den Bruder los, brachte ihn brutal zu Boden und legte ihm | |
| Handschellen an. Der Bruder trug mehrere dokumentierte Hämatome an Hals und | |
| Oberarm davon. Beide Geschwister bekamen laut Basu eine Anzeige wegen | |
| „Widerstands“. Das Verfahren gegen Frau I. sei inzwischen eingestellt, das | |
| gegen den Bruder laufe allerdings noch. | |
| Trotz solcher Erfahrungen – oder gerade deswegen – will die KOP Betroffene | |
| und Zeug*innen ermuntern, eskalierende Polizeieinsätze zu filmen. Mit | |
| ihrer neuen Kampagne „Go Film the Police“ fordert sie außerdem, dass die | |
| Wegnahme von Handys oder das Löschen von Filmen durch die Polizei verboten | |
| wird. Solche Aufnahmen seien „essenziell für die Beweisführung vor Gericht, | |
| insbesondere weil den Aussagen von Polizeibeamt*innen immense | |
| Bedeutung zugemessen wird, während den Betroffenen oft nicht geglaubt | |
| wird“, sagt Rechtsanwaltin Maren Burkhardt. | |
| ## Polizei nimmt es gelassen | |
| Den Aufruf, Polizeieinsätze zu filmen, nimmt Thilo Cablitz ostentativ | |
| gelassen. Er ist Sprecher der Berliner Polizei. Die hiesigen Beamten seien | |
| es wegen der Hauptstadtlage gewohnt, dass ein „hohes öffentliches | |
| Interesse“ an ihren Einsätzen bestehe, erklärt er auf taz-Anfrage: | |
| „Aufzeichnungen wie Bild, Video und gegebenenfalls Ton begründen | |
| grundsätzlich kein Einschreiten durch die Polizei.“ Vor allem Bildaufnahmen | |
| seien in der Regel zulässig. | |
| Bei Tonaufnahmen macht er allerdings eine Einschränkung, die bundesweit bei | |
| juristischen Auseinandersetzungen ums Filmen von Polizeieinsätzen eine | |
| immer größere Rolle spielt. Beim Ton ist nämlich laut Cablitz „die | |
| Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes zu beachten“. Dafür verweist er auf | |
| Paragraf 201 des Strafgesetzbuchs: „Hierunter fallen Äußerungen der | |
| Beteiligten, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.“ Berliner | |
| Polizist*innen würden entsprechend geschult, polizeilich nur | |
| einzuschreiten, „wenn entsprechende Normen verletzt wurden“ oder dies | |
| „begründet zu befürchten“ stehe. | |
| Diese Rechtsauffassung ist für den Strafrechtler Fredrik Roggan, der an der | |
| Polizeihochschule Brandenburg in Oranienburg lehrt, zumindest | |
| „unglücklich“. „Damit schickt man Beamte in das Risiko, dass Leute sich | |
| gegen die Beschlagnahme eines Handys wehren“, sagte er der taz. Laut Roggan | |
| ist nämlich Paragraf 201 – der sogenannte „Abhörparagraf“, mit dem der | |
| Gesetzgeber die Vertraulichkeit „des nicht öffentlich gesprochenen Worts“, | |
| vulgo: „Schlafzimmergespräche“, schützen will – bei Polizeieinsätzen g… | |
| nicht anwendbar. Er sagt: Das dienstlich gesprochene Wort eines Beamten | |
| gegenüber einem Bürger sei grundsätzlich „kein nicht öffentlich | |
| gesprochenes Wort“. | |
| Polizist*innen, die mit dem Verweis auf dieses Gesetz filmenden | |
| Bürger*innen das Handy wegnehmen, handelten daher rechtswidrig, erklärt | |
| der Jurist. „Und wenn Polizeihandeln rechtswidrig ist, dürfen sich | |
| Bürger*innen auch dagegen wehren.“ | |
| ## Uneinigkeit bei Tonaufnahmen | |
| Diese Auffassung pro „Bürger*innen-Video“ wird [2][zunehmend von den | |
| Gerichten geteilt]. Zuletzt hatte das [3][Landgericht Osnabrück] im Oktober | |
| einem Bürger recht gegeben, der einen Polizeieinsatz gefilmt hatte, worauf | |
| Polizist*innen sein Handy gegen seinen Willen mit Verweis auf Paragraf | |
| 201 „sichergestellt“ hatten. | |
| Wie Roggan argumentierten die Richter, dieser Paragraf schütze die | |
| Unbefangenheit mündlicher Äußerungen – dienstliches Handeln von | |
| Polizist*innen, das der rechtlichen Überprüfung unterliegt, sei davon nicht | |
| tangiert. Ähnlich hatten zuvor Landgerichte in Kassel und Aachen geurteilt. | |
| Allerdings gibt es auch zwei gegenteilige Entscheidungen – an den | |
| Landgerichten München und Frankenthal. Ganz rechtssicher ist daher bislang | |
| keine Sichtweise, noch fehlt eine obergerichtliche Entscheidung, um die | |
| Frage endgültig auszuräumen. | |
| Ein weiteres Argument, warum die Polizei filmende Bürger*innen | |
| tolerieren muss: [4][Sie selbst setzt bei der Arbeit zunehmend Bodycams] | |
| ein – in Berlin seit August in einem Pilotprojekt der Polizeidirektion 5 | |
| (City). Dabei werde ja auch automatisch das Wort von Bürger*innen | |
| aufgenommen, die mit filmenden Beamten reden, sagt Roggan. „Warum sollen | |
| dann nicht auch die Bürger*innen aufnehmen dürfen?“, fragt er. | |
| 26 Nov 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Rassistische-Polizeigewalt/!5767678 | |
| [2] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/smartphone-polizei-beamte-einsatz-… | |
| [3] https://landgericht-osnabrueck.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presse… | |
| [4] /Streit-um-Bodycams-bei-der-Polizei/!5578113 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Memarnia | |
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