# taz.de -- 17-jähriger über Rassismus: „Das Polizeiproblem ist massiv“ | |
> Musa Farhan wechselt die Straßenseite, wenn er die Polizei sieht. Im | |
> April attackierten Beamten den 17-jährigen nach einer Demo gegen Racial | |
> Profiling. | |
Bild: Hat kein Vertrauen mehr zur Polizei: Musa Farhan | |
taz: Hallo Musa, soll ich du oder Sie sagen? | |
Musa Farhan: „Du“ ist okay. | |
Würdest du die Polizei rufen, wenn du auf Straße in Schwierigkeiten | |
gerätst? | |
Eher nicht. Also höchstens im Extremfall, wenn jemand mir eine Waffe vor | |
das Gesicht hält. Aber auch dann hätte ich Angst, dass mir seitens der | |
Polizei etwas angetan wird. Ich würde eher meine Freunde anrufen. | |
War das schon immer so oder gab es einen Punkt, an dem du deine Einstellung | |
geändert hast? | |
Mir war schon immer bewusst, dass die Polizei kein Freund und Helfer ist. | |
Aber dass ich [1][als schwarzer Mensch einer erhöhten Gefahr von | |
Polizeigewalt ausgesetzt] bin, ist mir erst vor zwei Jahren klar geworden. | |
Was ist da passiert? | |
Ich bin abends noch mal rausgegangen, wollte kurz zum Supermarkt, hatte | |
Flipflops und eine kurze Hose an und Kopfhörer in den Ohren. Da kamen mir | |
zwei Polizisten entgegen. Ich habe getan, was ich immer tue: Ich gehe ihnen | |
aus dem Weg. Sie kamen mir hinterher, hielten mich an. Sie sagten, ich | |
hätte auffällig die Straßenseite gewechselt. | |
Und was wollten sie? | |
Sie fragten meine Personalien ab, ich musste meine Taschen leeren. Sie | |
meinten, sie suchen Leute, die hier nicht hergehören, [2][checkten meinen | |
Aufenthalt], fragten, wo ich wohne und wo ich geboren bin. Als sie sahen, | |
dass ich deutscher Staatsbürger bin, fragten sie, ob ich Rauschgift dabei | |
hätte. Sie haben nach einem rassistischen Stereotyp Probleme bei mir | |
gesucht. Sie haben aber nichts gefunden. | |
Was dachtest du, warum dir das passiert ist? | |
An dem Abend war mir das nicht als rassistischer Übergriff bewusst, sondern | |
nur als unnötiger Vorfall. Erst später, als ich mich mit dem Thema | |
auseinandergesetzt habe, ist mir bewusst geworden, wie rassistisch das war | |
– allein, dass sie sagen, sie suche nach Leuten, die hier nicht hingehören. | |
Oder das mit den Drogen. | |
Seit wann wechselst du die Straßenseite, wenn du die Polizei triffst? | |
Seit ich wieder in Hamburg bin, also seit zwei Jahren. Als ich zehn war, | |
sind unsere Eltern mit uns sechs Geschwistern nach Tansania gegangen, als | |
ich 15 war, kamen wir zurück. Vorher war ich einfach zu klein und in | |
Tansania war es sowieso anders. | |
Welche Erfahrungen hast du dort mit der Polizei gemacht? | |
In Tansania ist die Polizei nicht rassistisch, aber das Polizeiproblem dort | |
ist auch massiv. Die Polizei geht auch nicht respektvoll mit Menschen um. | |
Mein Vater war davon betroffen. Sicher auch schon vorher in Deutschland, | |
aber da war ich so klein, dass ich das nicht richtig mitbekommen habe. Aber | |
er hat mir immer klargemacht, dass man im Umgang mit der Polizei aufpassen | |
muss und sie einem in der Regel nicht helfen will. Und dass man selbst | |
respektvoll mit ihr umgehen muss, damit einem bestimmte Dinge nicht | |
passieren. | |
Warum seid ihr nach Tansania gegangen und warum kamt ihr zurück? | |
Mein Vater kommt von dort und meine Mutter hatte Lust, dort eine Zeit zu | |
leben. Als sie ein Jobangebot bekam, gingen wir hin, als sie den Job dort | |
verlor, kamen wir zurück. Dann haben wir erst mal in Kiel gewohnt, dann in | |
Hamburg. Geboren bin ich in Husum, zwischendurch haben wir auch mal in | |
Nieder-Olm in Rheinland-Pfalz gewohnt. | |
Wie schnell hast du zurück in Deutschland realisiert, dass du als schwarzer | |
Mensch im Fokus der Polizei stehst? | |
Ich habe zuerst in den Medien mitbekommen, dass andere schwarze Menschen | |
aufgrund ihrer Hautfarbe von der Polizei getargeted werden. Es gab ja viele | |
Fälle, wo Leute gestorben sind oder grundlos verhaftet wurden. Ich selbst | |
kämme mir meine Locken zum Afro. Ein bisschen war mir schon bewusst, dass | |
ich damit Aufmerksamkeit errege, aber ich erinnere mich an eine Situation | |
vor einem Jahr, als ich mich gerade gekämmt hatte und rausgegangen bin. | |
Kurz danach fuhr ein Polizeiauto an mir vorbei und ein Polizist guckte mir | |
aus dem Fenster so lange hinterher, bis das Auto außer Sicht war. Da hat es | |
in meinem Kopf Klick gemacht. | |
Wie hat der [3][Vorfall im April an der Reeperbahn] dein Leben verändert? | |
Er hat mich traumatisiert. Das letzte bisschen Vertrauen, dass ich in die | |
Polizei hatte, ist durch den Vorfall verschwunden. Wenn es vorher | |
Diskussionen über die Polizei in meinem Freundeskreis gab, war ich immer | |
die Person, die gesagt hat: „Die Polizei ist nicht im Ganzen schlecht, sie | |
macht auch gute Sachen.“ Nach dem Vorfall änderte ich diese Einstellung. | |
Meine Angst vor der Polizei ist jetzt viel größer, meine Hände fangen an zu | |
zittern, wenn ich einen Streifenwagen sehe. Ich habe viele Alpträume. Krass | |
finde ich auch, dass alle 15 Polizisten in ihrer Darstellung der Ereignisse | |
gelogen haben. | |
Wie gehst du damit um? | |
Es geht mir gar nicht so sehr um mich selbst, sondern um alle schwarzen | |
Menschen, die davon betroffen sind. Ich hab’ es nicht gut, aber im | |
Verhältnis zu anderen habe ich es extrem gut. Zum Beispiel Geflüchtete, die | |
keine Arbeitserlaubnis haben und dealen, weil sie Geld verdienen müssen. Es | |
gibt ein rassistisches Stereotyp vom schwarzen Dealer, und diese Menschen | |
werden da reingezwungen. Sie sind dann auch nachts draußen, wenn die | |
Straßen leer sind und niemand zuguckt. Stell dir vor, ein schwarzer Dealer | |
wird nachts von der Polizei verprügelt. Wenn der das am nächsten Tag | |
anzeigen will, wird ihm niemand glauben. | |
Der Vorfall hat auch viel Solidarität und eine politische Diskussion | |
ausgelöst. | |
Wenige Tage nach dem Vorfall gab es eine Demo vor der Davidwache auf St. | |
Pauli, da kamen 500 Leute. Der Tag war sehr emotional für mich. Ich hatte | |
eigentlich so viel zu sagen, aber ich durfte nicht, ich hatte noch keine | |
Anwältin und es war nicht klar, welche rechtlichen Konsequenzen das Ganze | |
noch haben würde. Das hat mich klein gemacht. | |
Engagierst du dich seitdem politisch? | |
Ja, ich nutze meine Reichweite auf Instagram, um über Rassismus, Sexismus | |
und Diskriminierung aufzuklären. Die Reichweite habe ich mir über | |
Skatevideos aufgebaut. Skaten ist meine Ablenkung, und ich hasse es, das zu | |
sagen, aber es ist wie eine Therapie. Wenn ich skate, muss ich mich so auf | |
den Trick konzentrieren, dass ich alles andere ausblenden kann. Dadurch | |
bekomme ich Abstand. Wenn ich Musik mache, hilft das auch, dabei kann ich | |
Sachen verarbeiten. | |
Engagierst du dich auch im Black-Lives-Matter-Kontext? | |
Ja, ich helfe bei Demos, die meine Schwester organisiert. Sie finden unter | |
dem Motto „loud 'n proud“ statt. Es treten Künstle*innen auf, neulich hat | |
jemand gebreakdanced, sonst läuft viel Black Music. Es werden aber auch | |
ernste Themen besprochen. Wenn die Stimmung dann schlecht ist, spielt zum | |
Beispiel der [4][Reggaeartist Mighty Howard] und die Stimmung geht wieder | |
hoch, die Leute tanzen. Es ist wie ein politisches Festival. | |
Welche Rolle spielt Musik in deinem Leben? | |
Mein Vater war nie viel da. Ich habe meine Vaterfigur durch Musik ersetzt. | |
Tupac hat mich sehr geprägt. Ich habe meinen Respekt vor Frauen von dem | |
Lied „Keep your head up“ von Tupac gelernt. Und ich habe Hoffnung aus dem | |
Song „Changes“ bekommen. Da rappt Tupac ja über Rassismus, die Polizei und | |
Dinge, die sich ändern müssen in der Welt. Er vermittelt die Hoffnung, dass | |
das vielleicht noch was wird. | |
Glaubst du daran? | |
Ich habe mich damit abgefunden, [5][dass Rassismus Realität ist]. Man muss | |
sich nicht einbilden, dass es woanders besser ist. Rassismus ist ein | |
Problem, vor dem man nicht weg rennen kann. Das ist extrem frustrierend. | |
Aber ich probiere, an allem zu wachsen und verliere nicht die Hoffnung. Ich | |
glaube nicht, dass ich noch erleben werde, dass alle zusammen friedlich | |
leben. Aber wenn ich sterbe, werde ich vielleicht denken, ich hab mein | |
Bestes getan um die Welt in die richtige Richtung zu bewegen. | |
Was müsste sich in Deutschland ändern, damit Übergriffe wie der auf dich | |
und deinen Bruder nicht mehr passieren? | |
Es müsste klare Konsequenzen für die Polizei geben. Da waren 15 | |
Beamt*innen im Einsatz. Ich wurde geboxt, mein Bruder musste zur Wache, | |
ich musste ins Krankenhaus. So etwas müsste doch reichen, damit | |
Polizist*innen gefeuert werden. Sie haben so einen wichtigen Job mit | |
soviel Macht, dass Fehler wie diese nicht passieren dürfen. Wenn man keine | |
Konsequenzen zieht, heißt das, dass man wartet bis jemand stirbt. | |
Auf der Demo vor der Davidwache wurde ein Song von dir gespielt. Wie hat | |
sich das angefühlt? | |
Es war ein extrem krasses Gefühl. Ich bin noch nie aufgetreten und auch da | |
war es ja nicht live, sondern vom Band. Es ist mein einziger aufgenommener | |
Song bislang. Er heißt „Letter to my kings and queens“. Die | |
Aufnahmequalität ist leider sehr schlecht. Aber dass der Song vor so einem | |
großen Publikum lief, hat sich krass angefühlt. Ich ich wusste dadurch, | |
dass ich Menschen erreiche. | |
10 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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