# taz.de -- Absage der Leipziger Buchmesse: Tiefe Seufzer in der Branche | |
> Die Leipziger Buchmesse fällt auch in diesem Jahr aus. Die coronabedingte | |
> Entscheidung trifft ausgerechnet ein hochinteressantes Frühjahrsprogramm. | |
Bild: Fehlender Rückenwind für Bücher: Szene von der bislang letzten Leipzig… | |
Das war eine echt trostlose Woche für die Literatur. Zuerst musste die | |
prachtvoll renovierte Berliner Staatsbibliothek Unter den Linden, ein | |
wahrer Tempel der Bildung, rein digital eröffnet werden. Dann wurde | |
bekannt, dass der WDR die täglichen Literaturbesprechungen streicht. Und | |
schließlich kamen noch die Eilmeldungen: Die Leipziger Buchmesse wird auch | |
dieses Jahr abgesagt, [1][wie 2020 auch schon.] | |
Leipzig, das war für die Buchbranche so etwas wie das Licht am Ende des | |
Tunnels von Lockdown und Veranstaltungsabsagen. Der tiefe Seufzer, der – | |
bei aller Einsicht in ihre Notwendigkeit – nach der Verkündigung der | |
Entscheidung durch die gesamte Literaturszene lief, war bis ins Homeoffice | |
zu hören, in dem man coronabedingt hockt und nun also einen möglichst | |
unzerknirschten Text darüber schreiben muss. Immerhin erfolgte die Absage | |
frühzeitig, sodass sich alle Beteiligten darauf einstellen können. | |
Für die Frühjahrsprogramme der Verlage bedeutet das, daran gibt es wenig zu | |
deuteln, fehlenden Rückenwind. Die Autor*innen haben geschrieben, die | |
Verlage produzieren weiterhin fleißig, und zwar gute Sachen. Das wird ein | |
gutes literarisches Frühjahr werden. | |
Neuerscheinungen von [2][Bernardine Evaristo] und Tove Ditlevsen werden | |
jetzt schon breit wahrgenommen. Die bald erscheinenden Romane von Sharon | |
Dodua Otoo, Monika Helfer, Helga Schubert, Mithu Sanyal und Christian | |
Kracht (um nur ein paar zu nennen) werden auch viel diskutiert werden. | |
Viele Beobachter warten auch schon auf den Debütroman „Wie die Gorillas“ | |
von Esther Becker. Mit der Buchmesse fehlt ihnen allen ein wichtiger | |
Resonanzraum. | |
Eine Buchmesse – und das gilt sowohl für die Leipziger wie für die | |
Frankfurter Messe – ist eben keineswegs nur ein Branchentreff oder eine | |
Gelegenheit für Bücherinteressierte, sich aufmerksam umschauend in | |
Messehallen gegenseitig auf die Füße zu treten. Sie ist auch eine | |
Möglichkeit, ach was, ein Anker, ein Fels, um daran eine breite und | |
öffentlichkeitswirksame Berichterstattung über literarische | |
Neuerscheinungen (und allerlei Gossip) anzuhängen. | |
## Der Anker wird fehlen | |
Dieser Anker wird jetzt fehlen, was auch immer die Verantwortlichen der | |
Leipziger Messe an Alternativveranstaltungen organisieren werden. | |
Überhaupt. Das wird jetzt bereits das dritte literarische Programm in Folge | |
sein, das im Wesentlichen ohne die in der Branche doch so wichtigen | |
Präsenzveranstaltungen auskommen muss, nachdem 2020 auch die Frankfurter | |
Buchmesse zum großen Teil ins Digitale verlegt worden ist. | |
Zwar sind aus der Branche keineswegs nur Katastrophenmeldungen zu hören. | |
Bevor der zweite Lockdown Ende des vergangenen Jahres zuschlug, hatten sich | |
die Buchverkäufe erholt. Das in Deutschland immer noch sehr dichte Netz an | |
engagierten mittleren Buchhandlungen kann viele Folgen der Pandemie | |
abfedern. | |
## Das Businessmodell überdenken | |
Doch was geschehen wird, wenn die coronabedingten Beschränkungen noch sehr | |
lange anhalten müssen, weiß niemand. So hat sich die gesamte Branche viele | |
Jahre lang darauf ausgerichtet, dass die Autor*innen einen für sie | |
wesentlichen Anteil an Honoraren aus Lesungen und sonstigen Live-Events | |
erzielen. Auch bekannte Schriftsteller*innen müssen nun, kühl gesagt, | |
ihre Businessmodelle überdenken. | |
Und wie das Beispiel des WDR zeigt – wo für freie Literaturkritiker mal | |
eben Hunderte von Aufträgen weggefallen sind -, kann sich niemand in der | |
Branche eines solidarischen Verhaltens untereinander sicher sein. | |
## Zu viele Unwägbarkeiten | |
Auch aus diesen Gründen haben sich die Verantwortlichen der Leipziger Messe | |
die Absage nicht leicht gemacht. „Wir bedauern sehr, dass die Leipziger | |
Buchmesse nicht stattfinden kann. Die Verantwortlichen hatten eine | |
schwierige Entscheidung zu treffen, die angesichts der zurzeit unklaren | |
Coronaperspektiven verständlich ist“, erklärte die Vorsteherin des | |
Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs. | |
Was bleibt, ist tatsächlich so ein trauriges Verständnis für die Absage. | |
Der übliche Termin der Buchmesse im März war schon vor Monaten auf Ende Mai | |
verschoben worden, aber auch der war angesichts aller Unwägbarkeiten nicht | |
zu halten. | |
29 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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