| # taz.de -- Roman von Esther Becker: Die Wut und die Ohnmacht | |
| > In ihrem Roman „Wie die Gorillas“ erzählt Esther Becker von jungen Frauen | |
| > und der nicht einfachen Suche nach einem passenden Selbstentwurf. | |
| Bild: In manchen Zeiten verlässt die Wohnung nur noch, um Horrorfilme im Kino … | |
| Es ist selten, dass die Protagonistin eines Romans und die Form sich durch | |
| Ähnlichkeiten auszeichnen. Bei dem Roman „Wie die Gorillas“ [1][von der | |
| Berliner Autorin Esther Becker] aber kann es passieren, dass man zunächst | |
| zur Unterschätzung neigt, sowohl dem Buch gegenüber, weil die Kapitel kurz | |
| sind und mit leeren Seiten voneinander getrennt, als auch der Erzählerin | |
| und Protagonistin gegenüber, weil sie mit Momenten aus der Kindheit | |
| beginnt, die zunächst harmlos erscheinen, wie der Widerstand gegen | |
| Augentropfen und ein rutschender Bikini. | |
| Am Ende des Romans aber hat man begriffen, dass Sich-schmal-zu-machen und | |
| den Körper zum Verschwinden zu bringen, eben das Drama ist, mit dem die | |
| Erzählerin kämpft. So schnell und vermeintlich leicht sich die einzelnen | |
| Abschnitte auch lesen, langsam dringt schleichend das Unheimliche und das | |
| Beängstigende ein, das die Erzählerin als Kind, als Mädchen, als junge Frau | |
| und schließlich Studentin der Medienwissenschaften bedrängt. | |
| Während ihre Freundinnen Svenja und Olga, die sie schon seit der Schule | |
| kennt, zu wissen scheinen, welchen Ausbildungsweg sie einschlagen und wie | |
| sie ihr Äußeres gestalten, kann die namenlos bleibende Erzählerin lange zu | |
| keinem Entwurf von sich selbst finden. Sie lehnt sich ab, allein ihre Hände | |
| findet sie selbst schön. | |
| ## Zusteuern auf eine Krise | |
| In den letzten Kapiteln hat sie sich zu einer Abschlussarbeit über | |
| Horrorfilme entschieden, schaut die drastischsten Bilder von der | |
| Malträtierung der Körper an und verlässt ihre Wohnung nicht mehr. Für die | |
| Leserin wäre das zwar vorhersehbar gewesen, das Zusteuern auf eine Krise, | |
| aber vielleicht hat man sich täuschen lassen vom Spielerischen und oft auch | |
| Komischen der erzählten Episoden. | |
| Da gibt es zum Beispiel die Geschichte, wie die Erzählerin mit ihrer | |
| Freundin Svenja, die Schauspielerin werden möchte, einen Job als Hostess | |
| annimmt, bei einer Preisverleihung. Sie müssen unangenehm kurze Kleider | |
| tragen und in Stöckelschuhen laufen, mit denen sie kaum die Treppe zum | |
| Moderator hochkommen. „Wir können uns kaum ansehen, ohne zu lachen. Unsere | |
| Haare sind wüst toupiert, unsere Augen dick beschichtet. Die falschen | |
| Wimpern kitzeln, wenn wir blinzeln.“ Was glamourös wirken soll, ist nur | |
| albern, künstlich und aufgesetzt. | |
| Das ist eine von vielen in den Roman eingestreuten Geschichten, in denen | |
| die jungen Frauen, obwohl ihre Leben der jüngsten Vergangenheit angehören, | |
| mit sehr stereotypen Erwartungen an ihre Rolle als Frau konfrontiert | |
| werden. Schmückendes Beiwerk, immer noch. Die Erzählerin bekommt | |
| Wutanfälle, wenn sie erlebt, wie Regisseure später ihre Freundin Svenja als | |
| barbusigen Blickfang einsetzen. | |
| Esther Becker hat selbst Schauspiel studiert, bevor sie sich dem Schreiben | |
| zuwandte. Bisher waren es meist Theaterstücke, die sie herausbrachte, auch | |
| für Jugendliche und Kinder. Im Grips Theater kam im letzten September ihr | |
| Stück [2][„Das Leben ist ein Wunschkonzert“] heraus, in dem ein Mädchen, | |
| dessen Eltern in den Alkohol abgetaucht sind, ganz auf sich gestellt ist. | |
| Niemand soll zu ihr nach Hause kommen, um nicht die leeren Flasche zu | |
| sehen. Aber dieser kindlichen Heldin gelingt, was die Hauptfigur aus „Wie | |
| die Gorillas“ nicht schafft: sich aus der Isolation herauszuarbeiten und | |
| neue Kontakte zu knüpfen. | |
| ## Die Last des Nicht-Gesagten | |
| Was den Roman mit den Theaterstücken darüber hinaus verbindet, ist die | |
| schnelle Übertragung von Emotionen. Esther Becker beschreibt keine Gefühle | |
| und analysiert sie nicht; sondern sie baut mit wenigen Sätzen Situationen, | |
| aus denen sich schnell erschließt, was die Teilnehmenden empfinden. | |
| Mit Svenja und Olga fühlt die Erzählerin sich stark. Ihre übrigen | |
| Beziehungen sind von Unausgesprochenem belastet: zu ihrer Mutter, die | |
| wieder heiraten will, zum Vater, der erst der erwachsenen Tochter gesteht, | |
| als gehe das nur als Geständnis, dass er schwul ist. Sie schämt sich dafür, | |
| dass er Schuldgefühle hat. Die Aussprache, die beide ersehnen, findet nicht | |
| statt. Stattdessen schneidet die Tochter sich vor Wut, dass die falschen, | |
| verletzenden Worte gegenüber dem Vater aus ihrem Mund springen, in den | |
| Finger. | |
| Es ist ein Puzzle aus vielen Einzelteilen, die für sich genommen gar nicht | |
| so viel hermachen, aus denen sich nach und nach aber ein Bild des Unglücks | |
| zusammensetzt, ein Nicht-zu-Hause-Sein in der eigenen Haut. So wächst beim | |
| Lesen des Romans die Empathie mit der Erzählerin. | |
| 2 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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