# taz.de -- 50 Jahre Mondlandung: Unser Freund im All | |
> Was Nazis und Pfadfinder mit der Mondlandung zu tun haben – und weshalb | |
> heute Spekulanten magisch vom Mond angezogen werden. Zehn Thesen. | |
Bild: So schön voll, so schön hell: der Mond | |
## 1. Früher war mehr Mond | |
Alles begann mit einer Apokalypse ohne Zeugen. Vor Ewigkeiten taumelte die | |
ungemütliche, heiße Urerde um die Sonne und kollidierte mit einem kleineren | |
Planeten. Der erfuhr nie, dass ihn die Menschheit 4,5 Milliarden Jahre | |
später „Theia“ taufen würde. Aus den Trümmern der Urerde jedenfalls | |
schälten sich zwei Kugeln heraus, die wir heute noch sehr schätzen: Erde | |
und Mond. Beiden haben Material der gleichen kosmischen Katastrophe intus. | |
Später kühlte die Erde aus, einschlagende Asteroiden aus dem All brachten | |
das Wasser auf den Wüstenplaneten. So zumindest lauten die gängigsten | |
Theorien. | |
An Vulkanschloten auf den Böden der Ozeane brodelte die Chemie: Elemente | |
klumpten, reagierten und zerstoben wieder. Bis im Jahr 4.000.234.768 vor | |
Christus, am 17. August um 5:37 Uhr morgens, exakter Zeitpunkt frei | |
geschätzt, ein großes Makromolekül etwas Neues lernte: sich kopieren. Das | |
Ding reproduzierte sich, mutierte, entwickelte sich, und sehr viel später | |
schreibt eine hoffentlich deutlich höher entwickelte Mutation dessen diesen | |
Text. Eine andere liest diesen Text. Und isst dabei vielleicht einen | |
anderen Abkömmling dieser Zeit. Einen Apfel oder ein Huhn. Und Neil | |
Armstrong, auch so ein Wesen, das sich hochselektiert hat, landete vor 50 | |
Jahren auf dem Mond. | |
„Hätten wir in dieser Frühzeit schon gelebt, das wäre ein Spektakel | |
gewesen“, sagt Andreas Burkert. Er leitet den Lehrstuhl für theoretische | |
und numerische Astrophysik an der LMU München, das Gespräch findet am | |
Telefon statt, aber selbst durch das Rauschen der Freisprechanlage seines | |
Wagens klingt der Mann begeistert wie ein kleiner Junge. Der Mond prangte | |
in der Frühgeschichte der Erde wahrscheinlich zehnmal größer am Firmament, | |
so nahe war er seinem Mutterplaneten. „Heute übersieht man den Mond ja oft, | |
was sehr schade ist, weil er so schön ist. Damals war das schwer, es gab | |
mehrere Mondaufgänge am Tag“, sagt Burkert. | |
## 2. Ohne Mond wären wir Delfine | |
Der Mond hat die Wesen, die seine Schönheit erkennen, erst möglich gemacht. | |
„Wir könnten ohne den Mond nicht existieren“, sagt Burkert. Die frühe Erde | |
drehte sich zwei- bis dreimal so schnell um ihre eigene Achse wie heute. | |
Ein Tag hatte acht Stunden, die Winde müssen mit bis zu 500 km/h heftig | |
gewesen sein. „Strecken Sie bei der Geschwindigkeit mal Ihren Kopf aus dem | |
Auto“, sagt Burkert. Ohne Mond würde sich die Erde heute noch so kirre | |
drehen wie damals – kaum denkbar, dass da Menschen entstanden wären. | |
Der kleine Begleiter der Erde entfernte sich allmählich von ihr, wie auch | |
heute noch. Bei der Mondlandung vor 50 Jahren war er noch zwei Meter näher. | |
Ein Akt der Emanzipation; die Energie für seine Flucht zieht der Mond aus | |
der Erdrotation, die er dadurch bremst. | |
Vielleicht wäre auch ohne Mond intelligentes Leben wenigstens im Meer | |
entstanden. „So etwas wie Delfine, die ohnehin vielleicht sogar | |
intelligenter sind als wir Menschen“, sagt der Professor, der gerade seinen | |
Wagen in eine Tiefgarage steuert. Delfine haben aber, gibt er zu bedenken, | |
keine Hände. Sie können keine Werkzeuge benutzen, keine Technologien | |
entwickeln und nicht zum Mond fliegen. Falls sie das überhaupt wollen | |
würden. | |
## 3. Ohne Nazis keine Mondlandung | |
Das Bremsen der Erdrotation war nicht der einzige Liebesdienst des Mondes | |
an die Erde. Nebenbei stabilisiert unser pockennarbiger Begleiter – ein | |
Begriff des Lyrikers Durs Grünbein – auch die Achse der Erde, die sonst wie | |
ein Kreisel kurz vorm Umfallen um die Sonne taumeln würde. Mal wären die | |
Pole dort, wo sonst der Äquator ist, mal andersherum. | |
Das kam in der Erdgeschichte schon vor, aber wesentlich seltener als ohne | |
Mond. Für höhere Lebensformen wie FridaysforFuture-Aktivist*innen wäre | |
die Eiererde mit zu starken Klimaänderungen verbunden; Demonstrieren und | |
vermutlich das Leben selbst würde sehr schwerfallen. Kurzum, der Mond ist | |
einer der vielen wichtigen kosmischen Zufälle, die zum unbehaarten | |
Nacktaffen Homo sapiens führten. | |
Daraus Demut abzuleiten, schien zumindest den Menschen am 16. Juli 1969 | |
fern zu sein. Damals feuerte sich Apollo 11 in den blauen Himmel Floridas | |
empor, und mit jedem Meter stieg die Gewissheit, dass hier die Krone der | |
Schöpfung am Werk ist. „Das könnte der Beginn einer neuen Stufe der | |
Evolution sein. Vergleichbar mit den ersten Amphibien, die in der Urzeit | |
aus Sümpfen auf trockenes Land krochen“, kommentierte das US-Fernsehen live | |
den Aufbruch von Neil Armstrong, Buzz Aldrin und Michael Collins an der | |
Spitze der Saturn-V-Rakete. Zusammengesetzt aus 5,6 Millionen Teilen, über | |
400.000 Menschen hatten an der Mission mitgewirkt. | |
Das viel zitierte „größte Abenteuer der Menschheit“ war so ambivalent wie | |
die gesamte Spezies: Die Raketentechnologie war maßgeblich von deutschen | |
Ingenieuren entwickelt worden, an deren Spitze die von den USA angeworbenen | |
Nazis Wernher von Braun und Arthur Rudolph standen. Beide mit | |
verantwortlich für den Tod von mehr als 12.000 Zwangsarbeitern während des | |
Zweiten Weltkriegs, die bei der Produktion von Hitlers Rakete V2 in | |
unterirdischen Stollen im Harz starben. | |
## 4. Der Mond mag Pfadfinder | |
Die Milliarden Dollar Ausgaben für den Propagandaerfolg gegen die | |
Sowjetunion kritisierte der Bürgerrechtler Jesse Jackson kurz nach der | |
Mondlandung am 21. Juli in der New York Times mit den Worten: „Während wir | |
Leute auf den Mond schicken oder tödliche Raketen nach Moskau oder auf Mao | |
schießen können, schaffen wir es nicht, genug Lebensmittel zu den Leuten in | |
die überfüllten Ghettos zu schaffen.“ | |
Am 14. Dezember 1972 verließ schließlich mit Eugene Cernan der vorerst | |
letzte Mensch den Mond. Zwölf Astronauten hopsten über den kleinen | |
Zwergenzwilling der Erde, zwölf weitere hatten ihn umkreist. Alle waren | |
weiße, US-amerikanische Männer. „Alle, außer einem, waren Pfadfinder, fast | |
alle haben Countrymusik auf dem Weg zum Mond gehört, sie haben 8 Dollar am | |
Tag verdient, minus einer Gebühr für ein Bett im Raumschiff“, schrieb das | |
Magazin New Yorker über die auf dem Mond gelandeten Astronauten. | |
Alle waren in den später 1920ern oder frühen 1930er Jahren geboren, während | |
der großen Wirtschaftskrise, ihre Väter oft Soldaten im Krieg. „Die | |
Erwartungen, was das Leben bringt, waren sehr niedrig, und was auch immer | |
du erreichen wolltet, musstet du dir verdienen“, schrieb der Journalist Tom | |
Brokaw über diese Generation. Keine Chance auf Ruhm auf dem Mond hatten | |
damals schwarze Menschen oder Frauen. | |
## 5. Mondfahrer sind Freaks | |
Der Flug zum Mond hat die Apollo-Astronauten tief verändert. Der US-Autor | |
Basil Hero traf für sein jüngst erschienenes Buch „The Mission of a | |
Lifetime“ alle noch lebenden Apollo-Astronauten. | |
Jim Lovell, der an Bord von Apollo 13 fast ums Leben gekommen wäre, sagt | |
etwa, er habe 50 Jahre lang darüber nachgedacht, was wir hier auf der Erde | |
haben. Sein Ergebnis: „Wir kommen nicht in den Himmel, wenn wir sterben. | |
Wir kommen in den Himmel, wenn wir geboren werden.“ | |
Michael Collins wurde zum Anhänger der Gaia-These, die besagt, das komplexe | |
System Erde mit all seinen Lebensformen lasse sich am besten verstehen, | |
wenn man den Planeten wie ein eigenes Lebewesen betrachtet. „Ich tue immer | |
so, als würde ich mich mit Göttin Gaia unterhalten“, sagt er. Das helfe | |
ihm, zu verstehen, was der Mensch der Erde antut. | |
Sein Apollo-11-Kollege Edwin Aldrin blieb Christ. Dank ihm ist das erste | |
Getränk, das jemals auf dem Mond ausgeschenkt wurde, Messwein: Aldrin | |
feierte vor seinem Ausstieg das Abendmahl. „In der Ein-Sechstel-Gravitation | |
des Mondes kräuselte sich der Wein langsam und anmutig am Rand der Tasse“, | |
erzählte Aldrin [1][dem Bestsellerautoren Eric Metaxas]. Aldrin behielt die | |
Anekdote lange für sich, weil die Organisation Amerikanische Atheisten die | |
Apollo-8-Astronauten verklagt hatten, die während einer Erdumrundung live | |
aus der Schöpfungsgeschichte lasen. | |
Der Apollo-14-Astronaut Edgar Mitchell war überwältigt, als er aus dem | |
dicken Fenster seiner Raumkapsel blickte und Erde, Mond und Sonne im All | |
sah. Ihn überkam eine Erkenntnis: Ich, mein Raumschiff, die anderen hier | |
drin, alles da draußen, alles besteht aus Molekülen, die alle im Inneren | |
längst erloschener Sterne entstanden. Ich bin also eins mit allem. Nach | |
erfolgreicher Rückkehr auf die Erde gründete Mitchell das esoterische | |
Institute of Noetic Sciences. Dort glaubt man bis heute, dass alles eins | |
mit allem ist, und erforscht Phänomene wie die Telepathie. | |
Schließlich kam also Apollo 17, die letzte Mondlandung. Berühmt für das | |
Foto Blue Marble, die Blaue Murmel. Sie zeigt ein hell erleuchtetes Rund | |
namens Erde, prall von Wolken, Wasser und Leben und doch verletzlich. Bis | |
heute eine ikonografische Aufnahme für die Umweltbewegung. | |
Der Astronaut, der das Foto aufnahm, hieß Harrison Schmitt. Er stand im | |
Dezember 2017 stolz hinter US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus, als | |
dieser eine Direktive für einen neuen Aufbruch zum Mond unterschrieb. | |
Schmitt ist Republikaner, machte Karriere als Senator und hält den | |
Klimawandel für eine Erfindung von Umweltfreaks, die eigentlich den | |
Sozialismus in den USA einführen wollen. Der Vater der Blauen Murmel ist | |
ein Klimawandelleugner. | |
## 6. Der Mond mag’s verschwörerisch | |
Man muss William Kaysing nicht kennen. Aber jeder kennt seine Theorie. Sie | |
ist die berühmteste Verschwörungstheorie des 20. Jahrhunderts: „Wir waren | |
nie auf dem Mond“, so der Titel seines Buchs von 1976. Kaysings Eltern | |
kamen aus Österreich, er sprach fließend Deutsch. In den 40ern diente er in | |
der Navy, studierte später Englisch, arbeitete kurz bei einem Zulieferer | |
für die spätere Mondrakete. Er glaubte, dass die Apollo-11-Astronauten | |
einfach acht Tage die Erde umkreisten und ihre Mondlandung eine | |
Hollywoodproduktion war. | |
Kaysing selbst ist bereits verstorben, seine Tochter Wendy lebt noch. Sie | |
hat sich lange überlegt, ob sie mit der taz telefonieren will, weil so | |
viele so Schlechtes über ihren Vater geschrieben haben. Sie will per Mail | |
wissen, ob der Autor die Mondlandung für echt hält. Ja, schon. Was sie von | |
einem Gespräch überzeugt, ist der englische Wikipedia-Eintrag der taz, in | |
dem steht, dass die Zeitung die Grünen unterstützt habe. Wendy Kaysing ist | |
auch eine Grüne. Wäre ihr Vater wohl auch gewesen. | |
„Mein Vater war ein sehr schlauer Mann. Er war ein Minimalist, wollte mit | |
so wenig Dingen wie möglich auskommen. Und er hasste den Vietnamkrieg“, | |
sagt Kaysing am Telefon. Sie ist gerade bei ihrer Schwester in Kalifornien. | |
Ihr Vater sei wie Bernie Sanders gewesen, die linke Ikone der | |
US-Demokraten. Jemand, der für die Menschen etwas tun wolle. | |
Wendy Kaysing spricht viel vom sozialen Engagement ihres Vaters, er setzte | |
sich für Obdachlose ein und schrieb Bücher darüber, wie man mit wenig Geld | |
gut kochen kann. Er lebte in Kalifornien und war inspiriert von der | |
Hippiebewegung, habe aber keine Drogen genommen. | |
Das Gespräch mit der Tochter des Vaters der Mondverschwörung dauert eine | |
knappe Stunde. Zu wenig, um ein Urteil über den Mann zu fällen. Aber eines | |
wird offensichtlich: Die Mondverschwörung ist ein Symptom. Symptom eines | |
Landes, in dem Regierung und Wirtschaft zu viel lügen. William Kaysing sah, | |
dass der Kriegsgrund für Vietnam eine Lüge war. Er sah, dass im Fernsehen | |
Ärzte erzählen, Rauchen sei gesund. | |
Er sah Werbung, die er für Gehirnwäsche hielt. Also beschloss er, Bücher | |
über alternative Lebensstile zu schreiben. Wendy Kaysing sagt, das Mondbuch | |
sei eine ideale Plattform gewesen, heute würde man ihren Vater wohl einen | |
Influencer nennen. Heute sieht sie, wie ihr Land süchtig nach Opiaten ist, | |
die Konzerne als Medizin verkaufen. Für die Kaysings sind die USA ein | |
Dickicht aus Lug und Betrug. In ihrer Welt ist die Mondlandung nur eine von | |
vielen möglichen falschen Geschichten. | |
## 7. Der Mond wird weiblich | |
Man könnte die Sache mit der Mondlüge ja auch einfach klären, wenn wieder | |
mal jemand dort landen und nach Neil Armstrongs berühmten Fußabdruck | |
schauen würde. | |
Die Frage, warum es keinen Mann im Mond mehr gibt, ist schnell beantwortet: | |
„Wir haben kein nationales Commitment mehr“, sagte Apollo-8-Astronaut | |
Walter Cunningham 2015 [2][vor dem US-Kongress.] Er beschimpfte gleich noch | |
die Nasa-Manager als alt und risikoscheu und die stolze Raumfahrtagentur | |
als verstaubte Behörde. | |
Cunningham rechnete vor: Als man den Sowjets, die den ersten Satelliten, | |
den ersten Hund und den ersten Menschen ins All geschossen hatten, endlich | |
zeigen wollte, wo Hammer und Sichel hängen, erhielt die Nasa 1965 4 Prozent | |
des Budgets der US-Regierung. Seit dem Ende von Apollo ist es unter 1 | |
Prozent gefallen, seit 15 Jahren unter 0,4 Prozent. Für weitere Mondflüge | |
war kein Geld da. | |
Heute gibt es ja wieder ein Kalter-Krieg-Momentum. Die Chinesen landeten im | |
Januar ihre Sonde Chang’e-4 auf – das ist für alle Pink-Floyd-Fans – „… | |
Dark Side of the Moon“, was noch niemand auf der von der Erde abgewandten | |
Seite des Monds schaffte. An Bord erforschen sie, wie sich Eier von | |
Fruchtfliegen auf dem Mond verhalten. | |
Die Inder wollen bald ihre Chandrayaan-2 ins All schießen, auf dem Mond | |
landen und dort am Südpol einen Rover aussetzen. Die Europäer wollen 2025 | |
einen Roboter absetzen, der aus Mondgestein Wasser und Sauerstoff gewinnen | |
soll, Grundstoffe für eine Mondbasis. | |
US-Präsident Donald Trump muss also den Stolz der Nation vereidigen. 2024 | |
solle die Nasa gefälligst auf dem Mond landen, verkündete er im März. | |
Amerika werde die Welt wieder in Staunen versetzen, sagte sein | |
Vizepräsidenten Mike Pence pathetisch. Die Nasa erklärte dem Sender CNN | |
daraufhin, man werde dann aber endlich [3][die erste Frau auf den Mond] | |
bringen. | |
Es folgte Verwirrung: Im Juni twitterte Trump auf einmal, die Nasa solle | |
nicht ständig vom Mond quatschen. „Wir sollten uns auf die viel größeren | |
Dinge fokussieren, die wir tun, inklusive Mars (wovon der Mond ein Teil | |
ist)“, schrieb Trump. Spötter machten auf Twitter darauf aufmerksam, dass | |
der Mond nicht Teil des Mars’ sei. Was man schon daran erkenne, dass der | |
Mond aus Käse und der Mars aus Schokolade sei. | |
Unabhängig von derartigen astronomischen Detailfragen ist die Finanzierung | |
der neuen US-Mondmission völlig unklar. Trump will das Nasa-Budget ab 2020 | |
um 1,6 Milliarden Dollar im Jahr erhöhen. Sein Vorschlag zur | |
Gegenfinanzierung dürfte allerdings kaum durch den US-Kongress kommen: Der | |
Präsident will laut New York Times dafür ein Programm kürzen, mit dem der | |
Staat Collegestudenten aus armen Familien unterstützt. | |
## 8. Der Mond wird Kapitalist | |
Doch Trumps Allstrategie, die auch bewaffnete Space-Streitkräfte vorsieht, | |
ist konsistenter, als viele Spötter in Europa glauben. Das hat viel mit | |
jener Szene aus These 5 zu tun, als Harrison Schmitt hinter Donald Trump | |
stand. Damals unterzeichnete der Präsident seine erste Weltraumdirektive. | |
Das Werk lobte selbst die New York Times, weil es nicht nur | |
Science-Fiction-Visionen enthält, sondern auch pragmatische Hindernisse | |
für eine Kommerzialisierung des All aus dem Weg räumt: Die USA wollen ein | |
internationales Flugmanagement für den niedrigen Erdorbit und ein Programm, | |
um der Vermüllung dort Herr zu werden – die Trümmer des Weltraumzeitalters | |
gefährden immer mehr Raumfahrzeuge. Vor allem aber wollen die USA das All | |
für private Investoren attraktiv machen. Für so Typen wie Amazon-Gründer | |
Jeff Bezos und seine Firma Blue Origin oder Tesla-Gründer Elon Musk mit | |
seiner Firma SpaceX. | |
Bezos stellte kürzlich seine Mondlandefähre Blue Moon vor und hielt dazu | |
eine bizarre Rede, in der er nicht nur eine Mondbasis ankündigte. Er | |
faselte auch davon, dass die Ressourcen auf der Erde nun bald zur Neige | |
gingen, weshalb der Mensch im All leben müsse. Bezos glaubt, künftig würden | |
Milliarden von Menschen in gigantischen, rotierenden, bepflanzten | |
Space-Zylindern hausen, wie sie der verstorbene US-Physiker Gerard K. | |
O’Neill in den 1970er Jahren vorschlug. | |
Aber so bekifft das klingt, Blue Moon scheint derzeit näher an einer | |
Mondlandung als die Nasa. Bezos hat seinem Erzfeind Trump bereits | |
vorgeschlagen, die Sache zu übernehmen. Private Firmen wie SpaceX schaffen | |
es derzeit, Fracht [4][zu einem Viertel des Preises] der Nasa in die | |
Erdumlaufbahn zu schießen – und haben von der US-Raumfahrtbehörde den | |
Auftrag erhalten, Mondlandefähren zu entwickeln. Die könnte der Staat dann | |
als Dienstleistung einfach einkaufen. | |
Angesichts der Entwicklung hat der Bundesverband der Deutschen Industrie | |
vor ein paar Wochen ein Grundsatzpapier für Raumfahrtanwendungen | |
vorgestellt. Das Industrieland Deutschland müsse fit für den Zukunftsmarkt | |
Weltraum werden, heißt es darin. Der Umsatz mit Allanwendungen könne sich | |
bis 2040 auf 2,7 Billionen Dollar verzehnfachen. | |
## 9. Der Mond ist nicht Luxemburg | |
Sebastian Straube ist kometenhaft überzeugt von dieser Entwicklung. Der | |
Mann ist einer der wenigen Space-Investoren in Deutschland. | |
Er lädt zu einem Treffen in eine Lounge für Kunden der Deutschen Bank in | |
der Friedrichstraße in Berlin. Straube sitzt am Fenster und arbeitet an | |
einer Präsentation für seine Investmentfirma „Interstellar Ventures“. 100 | |
Millionen Dollar will er von Investoren einsammeln, in Weltraumfirmen | |
stecken und diese auch beraten. Es ist der erste Fonds dieser Art in | |
Deutschland, Straube wittert einen neuen Aufbruch ins All. | |
„Die USA machen aus dem All einen transparenten Wirtschaftsraum für | |
Unternehmen“, sagt er. Straube trägt Jeans, ein T-Shirt mit der Aufschrift | |
„I want more space“ und ist kein „Star Trek“-Fan. Das ist ihm wichtig, … | |
betonen: Er ist kein Träumer oder Space-Enthusiast, das klingt nach | |
Kleine-Jungs-Träumen von fernen Planeten. Straube geht es um den neuen | |
Wirtschaftsraum und ums Geldverdienen. „Das ist ganz klar | |
Hochrisikokapital“, sagt er. | |
Die Frage beim risikoreichen Rennen zum Mond ist, wem die Käsekugel da oben | |
gehört. Die Menschheit hat das mit ihren üblichen Allmachtsfantasien 1967 | |
gleich für das ganze Universum in einem [5][Weltraumvertrag] geregelt. Nach | |
dem dürfen alle Staaten Mond, Mars, Jupiter oder die Andromedagalaxie | |
gleichberechtigt nutzen. „Es besteht uneingeschränkter Zugang zu allen | |
Gebieten auf Himmelskörpern“, steht da, die Außerirdischen haben nicht | |
ratifiziert. | |
Beruhigend für die ist, dass kein Staat einen anderen Himmelskörper | |
hoheitlich okkupieren darf. Was das jetzt für private Space-Unternehmer | |
bedeutet ist so unklar, dass die USA 2015 einfach [6][ein Gesetz] erließen, | |
in dem steht: Alle US-Staatsbürger*innen dürfen Space-Ressourcen in | |
Besitz nehmen, abtransportieren, nutzen und verkaufen. Jeff Bezos darf den | |
Mond kleinhacken, sagen die Amerikaner. Die Deutschen sind damit sehr | |
unglücklich, die wollen eine internationale Vereinbarung. | |
Ähnlich dreist wie Amerikaner sind sonst nur die Luxemburger. Der | |
Zwergstaat erlaubt seit 2017 per Gesetz in Luxemburg ansässigen Firmen, das | |
Weltall auszubeuten. | |
Folgende Vorstellung: Eine Chinesin, ein Amerikaner und ein Luxemburgerin | |
landen am Südpol des Monds. Alle wollen Eiswürfel abbauen, die | |
intergalaktisch teure Luxuscocktails für die Bourgeoisie auf der Erde | |
kühlen sollen. Ein fiktives Geschäftsmodell, Sie können es gern umsetzen. | |
Wem gehört das Mondeis? Sagt die Luxemburgerin: Nach dem [7][Projet de loi | |
sur l’exploration et l’utilisation des ressources de l’espace] eindeutig | |
mir! Die Chinesin zückt eine Knarre und sagt: „Fuck you, bitch!“, der | |
Amerikaner wirft sein Laserschwert an. Geballer und Gesurre, alle sterben. | |
Man ahnt es: Der Mond ist nicht Luxemburg, und die Luxemburger Armee wird | |
dort keine Luxemburger Gesetze durchsetzen. Das Ganze ist geschickte PR der | |
Regierung, um Allinvestoren zu zeigen, dass die Politik in Luxemburg hinter | |
ihnen steht. „Wenn es um Ressourcen im All geht, dann brauchen wir bald | |
klare internationale Regeln, damit wir nicht schnell beim Gesetz des | |
Stärkeren sind“, sagt Franziska Knur, beim Deutschen Zentrum für Luft- und | |
Raumfahrt für UN-Angelegenheiten zuständig. | |
Derzeit zieht es Firmen, die die unendlichen Weiten kapitalisieren wollen, | |
tatsächlich häufig nach Luxemburg. „Deutschland verschläft das Rennen um | |
den achten Kontinent total“, bemängelt Straube. Die Bundesregierung habe | |
immer noch kein eigenes Weltraumgesetz auf den Weg gebracht hat, obwohl die | |
Groko im Koalitionsvertrag eines ankündigte. Achter Kontinent, so wird der | |
Mond übrigens gern genannt. | |
Seit Jahren netzwerkt Straube für seine Investmentfirma und kann schon | |
jetzt sehr viele Geschäftsmodelle für das Weltall aufzählen. Die | |
US-Amerikaner etwa vermieten ihren Teil der Internationale Raumstation ISS | |
seit Juni dieses Jahres kommerziell. Theoretisch kann man da jetzt einen | |
Film oder einen Werbespot drehen. [8][Kostenpunkt für Kost und Logis], | |
inklusive Sauerstoff und in der Schwerelosigkeit saumäßig komplizierter | |
Toilettennutzung: 34.000 Dollar täglich. | |
Straube glaubt aber nicht nur ans Geschäft. Er glaubt auch an den Nutzen | |
der Raumfahrt: „Ohne Satelliten würden wir den Klimawandel nicht | |
verstehen“, sagt er und hofft auf eine völlig neue Industrie im All. Wie | |
Jeff Bezos, der will die Erde vom Ballast der Schwerindustrie erlösen: Auf | |
der Blauen Murmel wird gewohnt, geliebt, gehasst und Haare geschnitten. | |
Alles, was stinkt, die ganze Schwerindustrie, will Bezos ins All verlegen. | |
## 10. Der Mond ist aus Glas | |
Oder eben auf den Mond. Fabrik, ausgedruckt von einem Roboter aus | |
Braunschweig. Braunschweig ist da ganz vorn dabei. | |
Dazu ein Abstecher in einen schmucklosen Zweckbau mit Finanzamtflair am | |
Rande der Stadt. Dort schließt Enrico Stoll, der Leiter des Institute of | |
Space Systems der Technischen Universität, einen Glaskasten auf. Darin | |
befindet sich Regolith, so heißt das Gemisch aus Steinen, Felsen und Sand, | |
das den Mond meterdick bedeckt. Kein echter, davon gibt es auf Erden zwar | |
rund 400 Kilo, eingesammelt von russischen Robotern und amerikanischen | |
Astronauten, doch die Proben sind kostbar und teuer. | |
In Braunschweig haben sie die Analysen der Originale genommen und sind so | |
zu Experten im Mondgestein-Simulieren geworden. Weil der Urplanet Theia | |
Mond und Teile der Erde formte, können die Wissenschaftler*innen mit | |
Gesteinen aus Deutschland und Skandinavien Regolith nachmixen. Es muss | |
möglichst unberührt von Wasser sein, das würde die Körner schleifen und dem | |
Sand die für den Mond typische Rauheit und Kantigkeit nehmen. Fein gemahlen | |
sieht Regolith aus wie weißer Pfeffer. | |
Doktorandin Anna Voß hat sich extra ihr sieben Wochen altes Baby in ein | |
Tragetuch gewickelt und ist ins Institut gefahren, um zu erklären, was | |
Mondgestein alles kann. Ihr Team beschießt es mit Lasern oder jagt es durch | |
einen sehr widerstandsfähigen 3-D-Drucker. Der könnte auf dem Mond | |
theoretisch ganze Häuser aufschichten. | |
„Nicht nur Häuser. Alle Infrastruktur, die wir auf dem Mond brauchen. | |
Straßen, Landebahnen, Halterungen von Teleskopen oder auch Kaffeetassen“, | |
sagt Voß und schaukelt die kleine Miriam. Die Idee dahinter, das oberste | |
Ziel aller Mondfahrer: Man nehme so wenig wie möglich mit. Mache möglichst | |
alles aus Stoffen vor Ort. Also aus Stein. Auf dem Mond könnte bald eine | |
neue Steinzeit anbrechen. | |
Voß trägt eine gepunktete Bluse, glattes, blondes Haar, ist eine ruhige | |
Frau, die eher zufällig zur Raumfahrt kam, wie sie sagt. Wieder kein „Star | |
Trek“-Fan. Aber seit sie das Team geleitet hat, das Mondgestein druckbar | |
machen will, schaut sie mit einem anderen Blick nach oben. „Ich denk dann | |
darüber nach, was dort alles möglich sein könnte“, sagt sie. | |
Sie erzählt auch das, was alle erzählen, die was mit dem Mond machen: | |
„Ständig fragen mich Freunde und Bekannte, was der Mensch da oben soll. Auf | |
der Erde gibt es doch genug Probleme“, sagt sie. Auch sie glaubt an den | |
Nutzen der Raumfahrt und nennt GPS oder Wettersatelliten. | |
Mittlerweile sind wir in einem Büro angekommen, in dem ein | |
seifenkistengroßes Gefährt mit dicken Reifen und einem langen Metallrüssel | |
steht, an dessen Ende der Regolithdrucker befestigt ist. So ähnlich könnte | |
das Ding aussehen, das irgendwann mal auf dem Mond herumfährt und Häuser | |
macht. Größtes Problem derzeit: Das Rieselverhalten des Mondgesteins; es | |
ist mal zu zäh, mal zu flüssig für den Drucker. | |
Stoll führt noch in den Keller, wo es für Baby Miriam zu sehr nach | |
Chemiezeug riecht. Überall hängen kleine Raketen an den Wänden. In einem | |
Raum werkeln zwei Studenten an einem Hybridtreibstoff herum, in der Ecke | |
schmort gerade Regolith in einem Ofen. Stoll schwärmt davon, was das | |
Gestein noch alles enthält. Eisenoxid, Aluminiumoxid. Also Metalle und | |
Sauerstoff. Vor dem Ofen steht gebackener Mond. Der sieht ab 1.200 Grad | |
Ofentemperatur aus wie der karamellisierte Zucker auf einer Crème brûlée. | |
Bei 1.500 Grad geschieht etwas Wundersames. Der Regolith transformiert | |
sich, wird durchsichtig, kristallin, wie Glas. Noch hat Stoll nur einen | |
kleinen Tropfen davon erschaffen. Aber egal, was bleibt, ist: Mit dem Mond | |
lassen sich Schlösser aus Sand bauen. | |
20 Jul 2019 | |
## LINKS | |
[1] http://ericmetaxas.com/blog/communion-moon-july-20th-1969/ | |
[2] https://www.commerce.senate.gov/public/?a=Files.Serve&File_id=FCB15C53-… | |
[3] https://edition.cnn.com/2019/05/13/us/nasa-moon-2024-trnd-scn/index.html | |
[4] https://www.bloomberg.com/graphics/2018-rocket-cost/ | |
[5] https://www.vilp.de/treaty_full?lid=en&cid=196 | |
[6] https://www.congress.gov/bill/114th-congress/house-bill/2262/text | |
[7] http://legilux.public.lu/eli/etat/leg/loi/2017/07/20/a674/jo | |
[8] https://www.theverge.com/2019/6/7/18656280/nasa-space-station-private-astro… | |
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Berlin feiert Mondlandung mit Astro-Alex: Es gibt keinen deutschen Mond | |
50 Jahre Mondlandung: Das Zeiss-Planetarium feiert das Jubiläum mit | |
Alexander Gerst und 50 ausgelosten Familien – bis zum Gewitter. | |
Die Wahrheit: „Der Mond ist ein Deutscher“ | |
Das Wahrheit-Interview: Der Astrophysiker Manfred Zschochert aus Ückeritz | |
auf Usedom über das Jubiläum der Mondlandung. | |
Gespräche auf der Apollo-11-Mission: Stimmen aus dem All | |
Was bewegte die Astronauten auf ihrer historischen Mission? Neue | |
Gesprächstranskripte zeigen: Kaugummis, Urinbeutel und Miss Universe. | |
Historisches Fußballspiel: Eine Kosmonautin zum Anfassen | |
Im Oktober 1963 gab es einen großen Moment, in dem sich Weltall, Erde, | |
Mensch auf einem Fußballfeld in Ostberlin trafen. Eine Spurensuche. |