# taz.de -- Sexismus in der Gamer-Szene: Wenn die starken Frauen kommen | |
> Weil Anita Sarkeesian Sexismus in Videospielen kritisierte, wurde sie im | |
> Netz wochenlang beleidigt und verfolgt. Für viele Gamerinnen ist der Hass | |
> ihrer Mitspieler Alltag. | |
Bild: Persönlichkeit statt „sexy action woman“: Die Fotojournalistin Jade,… | |
HAMBURG taz | Das hübsche Gesicht wird erst blau, dann rot. Die Oberlippe | |
schwillt an, das rechte Auge schwillt zu. Dann ist der Bildschirm | |
blutbesudelt, das Frauengesicht nicht mehr zu erkennen. Mission | |
accomplished: Das Spiel „Beat Up Anita Sarkeesian“ lud in der vergangenen | |
Woche online dazu ein, eine virtuelle Version des Gesichts der | |
amerikanischen Bloggerin per Mausklick zu vermöbeln. | |
Das Spiel mit dem Untertitel „Schlag die Schlampe“ ist der Höhepunkt einer | |
Online-Hasskampagne in der Computerspielbranche ohnegleichen. Der Grund: | |
Sarkeesian, amerikanische Feministin, Popkultur-Kritikerin, Video-Bloggerin | |
und Gründerin des [1][Weblogs Feminist Frequency] wollte auf der | |
Crowdfunding-Plattform Kickstarter 6.000 Dollar [2][für eine neue | |
Videoreihe] sammeln, in der sie stereotype Frauenbilder in Computerspielen | |
analysiert. Zum Beispiel die hilflose Jungfrau, den sexy Handlanger oder, | |
in Sarkeesians Worten, das „Fighting Fuck Toy“ („Kämpfendes | |
Fick-Spielzeug“). | |
Die Liste der Frauenbilder in Computerspielen ist nicht sehr lang – und | |
auch nicht besonders einfallsreich. Laut Sarkeesian würden viele Spiele | |
dazu neigen, „sexistische und frauenfeindliche Ideen von Frauen zu | |
untermauern und zu verstärken.“ Mit ihren Videos wolle sie die Debatten | |
über weibliche Charaktere in Computer- und Videospielen anschieben und die | |
Aufmerksamkeit der Spieleentwickler erregen – damit sie anfingen, | |
interessantere und komplexere weibliche Figuren zu entwickeln. | |
Es ist keine Netz-Avantgarde, an die sich Sarkeesians Videos richten: In | |
den USA werden sie auch an Schulen und Universitäten verwendet, auf Youtube | |
erreichen sie mehrere Zehntausend Klicks. Daher fand der Aufruf anfangs vor | |
allem großen Zuspruch. Und hatte Erfolg: Innerhalb von 24 Stunden konnte | |
Sarkeesian mehr als 6000 Dollar sammeln. | |
Gleichzeitig erhob sich eine Protestwelle, die schnell in eine | |
konzentrierte Hasskampagne ausartete. Sarkeesians Twitter-Account wurde des | |
Terrorismus beschuldigt, [3][ihr Wikipedia-Eintrag mit Verleumdungen] | |
überzogen, unter ihren Youtube-Videos fand sich ein Potpourri aus | |
rassistischen und antisemitischen Kommentaren, Todesdrohungen und | |
Ankündigungen von Vergewaltigungen, sexuellen Anzüglichkeiten und | |
Belästigungen. „Die muss mal richtig durchgevögelt werden“ [4][hieß es] | |
dort – eine der milderen Formulierungen. | |
## Fäkalsprache unter Männern, Sexismus gegen Frauen | |
Nachdem die Finanzierungsperiode abgelaufen war und Sarkeesian sagenhafte | |
160.000 Dollar von knapp 7.000 Unterstützern gesammelt hatte – von dem ein | |
Großteil wohl auch wegen des Protests gegen die Hasskampagne zusammenkam – | |
ebbte die Belästigungswelle nicht ab. Dutzende, mitunter [5][erniedrigende | |
Karikaturen], erschienen, das Facepunch-Spiel wurde veröffentlicht. | |
Über Twitter verteidigte sich der Macher, ein 25-jähriger Amateurentwickler | |
aus Kanada. Er wolle ja nur Aufmerksamkeit von der Feministin. „Ich dachte, | |
es würde genug sein, um einen Dialog mit ihr zu starten“, twitterte er, | |
ungläubig ob der vielen Kritiker, die sein Spiel als „ekelhaft“ und | |
„widerlich“ bezeichneten (sein Twitterkonto ist inzwischen offline). | |
Der Fall von Anita Sarkeesian ist extrem; ein Einzelfall ist er nicht. Im | |
Juni wurde die Schauspielerin Aisha Tyler auf der E3, einer der größten | |
Computerspielmessen der Welt, aufgrund ihrer Hautfarbe öffentlich | |
angefeindet. „Das kommt davon, wenn die Industrie von Juden und Linken | |
infiziert wird“, hieß es unter anderem, die Gaming-Foren kochten über. | |
Auch Personen fernab des öffentlichen Interesses sind vor Beleidigungen | |
nicht gefeit: Die Call of Duty-Spielerin Jenny Haniver betreibt die | |
[6][Website „Not in the Kitchen Anymore“], auf der sie Belästigungen | |
gesammelt hat, die ihr männliche Spieler während des Spiels an den Kopf | |
warfen. Beleidigungen, schreibt Haniver, gehörten zum Spielvergnügen. Aber | |
während sich männliche Spieler vor allem Fäkalsprache an den Kopf werfen, | |
werden weibliche Spielerinnen meist auf ihre Sexualität degradiert. | |
„Die Art und Weise, wie Gamerinnen behandelt werden, ist für mich durchaus | |
ein Grund, nicht online zu spielen und mich in keine Communities | |
einzubringen“, sagt die Bloggerin Charlott, die für [7][das deutsche Blog | |
FemGeeks] schreibt. „Leider ist es immer noch so, dass wenn ich im Internet | |
als Frau „erkannt“ werde und mich äußere, die Anfeindungen gleichwohl | |
größer sind als wäre ich ein Mann. Wenn ich dann auch noch zu Themen wie | |
Sexismus oder Rassismus schreibe, kann ich schon die Minuten runterzählen | |
bis ätzende Kommentare kommen.“ | |
Feministische Statements polarisieren, fordern Kritik und Dialog heraus. | |
Die Belästigungen jedoch lassen sich weder als inhaltliche Kritik noch als | |
schlichter Shitstorm der Trolle, der Schmuddelkinder des Netzes, abwinken. | |
## Pumpguns für Jungs, Ponyhöfe für Mädchen | |
Vielleicht sind die Gründe der Computerspielindustrie zu suchen. Auch wenn | |
sich heute deutlich mehr Frauen in der Computerspielindustrie wiederfänden | |
als vor einigen Jahren, sei es noch immer „eine männlich dominierte | |
Branche“, befindet Gunnar Lott, verantwortlich für die Kommunikation des | |
Mobile Game-Startup flaregames und ehemaliger Chefredakteur des | |
PC-Spiele-Magazins GameStar. | |
Mit dem Resultat, das viele Produkte sehr geschlechterspezifisch ausgelegt | |
sind. Zwar sollen laut der Gesellschaft für Konsumforschung rund 44 Prozent | |
aller Computerspieler in Deutschland weiblich sein. Aber: Die weiblichen | |
„Gamerinnen“, die aufgelistet sind, spielen Singstar, Farmville, und Die | |
Sims. Dabei sind Quietschbunte virtuelle Ponyhöfe ebenso stereotyp wie Pump | |
Guns. Geschlechtertrennung wird großgeschrieben. | |
Dass die Hasskampagne gegen Sarkeesian solche Ausmaße annehmen konnte, | |
begründet Lott unter anderem damit, dass zwei Dinge zusammenkamen: ein | |
Vorstoß Sarkeesians, der als Attacke auf das Gaming-Hobby wahrgenommen | |
wurde – und eine Frau als Absender. Ersteres hätte genügt, den Shitstorm | |
auszulösen, Letzteres sorgte für die vergiftete Tonalität: „Ein Mann hätte | |
vielleicht eine ähnliche Intensität der Debatte hervorgerufen – aber auf | |
einem anderen Niveau.“ | |
Frauen, so Lott, polarisierten auch im Jahr 2012 die männlich und | |
jugendlich geprägten Diskussionsumfelder: Da gebe es oft keine normale | |
Akzeptanz des anderen Geschlechts, nur ein „infantiles Oszillieren zwischen | |
Anbetung und Verachtung“. | |
## „Die frauenfeindliche Gesinnung wird aktiviert“ | |
Christoph Klimmt, Professor für Kommunikationswissenschaft an der | |
Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover möchte eine | |
gaming-spezifische misogyne Haltung nicht erkennen: „Die Wucht der Attacken | |
zeigt meines Erachtens, dass die Täter sich nicht als Gamer angegriffen | |
fühlen, sondern dass ihre frauenfeindliche Gesinnung aktiviert wurde.“ | |
Klischeehafte Geschlechterdarstellungen aber könnten frauenfeindliche | |
Tendenzen befüttern: „Es ist natürlich plausibel, dass die oft stereotypen | |
Frauendarstellungen in Computerspielen gerade auch solche Männer | |
ansprechen, die misogyn eingestellt sind.“ Insgesamt sieht Klimmt die | |
Geschlechterdarstellung in Computerspielen kritisch, sie erweise sich „als | |
deutlich einseitiger und stärker mit Stereotypen durchsetzt als bei | |
herkömmlichen Unterhaltungsangeboten.“ | |
Viele Spieleentwickler seien sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung | |
nicht bewusst: „Sie sehen ihre Produkte als reines Spiel und wollen nicht | |
zur Kenntnis nehmen, dass sie mit ihren Darstellungen und Geschichten auch | |
Aussagen über die soziale Wirklichkeit treffen“. Mit anderen Worten: | |
Weltbilder formen sich auch durch Unterhaltungsangebote, die gar keinen | |
belehrenden Anspruch in sich tragen. | |
Anita Sarkeesian hat derweil mit der Arbeit an ihrer Videoserie begonnen: | |
„Die Attacken werden mich nicht davon abhalten, weiter an diesem Projekt zu | |
arbeiten“, schreibt sie in ihrem Blog. Jede Menge Geld und Unterstützer hat | |
sie nun. | |
16 Jul 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.feministfrequency.com/ | |
[2] http://www.kickstarter.com/projects/566429325/tropes-vs-women-in-video-games | |
[3] http://feministfrequency.com/archive/wikipedia_harassment1.png | |
[4] http://www.feministfrequency.com/2012/06/harassment-misogyny-and-silencing-… | |
[5] http://www.feministfrequency.com/2012/07/image-based-harassment-and-visual-… | |
[6] http://www.notinthekitchenanymore.com/ | |
[7] http://femgeeks.de | |
## AUTOREN | |
Katalina Präkelt | |
## TAGS | |
Nazis | |
Videospiele | |
Feminismus | |
Videospiele | |
Games | |
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