| # taz.de -- Kulturkampf-Vorwürfe in Hamburg-Nord: Der Kommunist ist nicht mehr… | |
| > Die Deutschland-Koalition in Hamburg-Nord will einer Geschichtswerkstatt | |
| > den Saft abdrehen. Der Namensgeber Willi Bredel ist ihr plötzlich | |
| > suspekt. | |
| Bild: Hort der Düsternis: Im Gefängnis in Hamburg-Fuhlsbüttel saß Willi Bre… | |
| Die Geschichtswerkstatt in Hamburg-Nord droht ihre Förderung zu verlieren. | |
| Benannt ist sie nach dem kommunistischen Schriftsteller Willi Bredel, | |
| dessen Biografie die im Bezirk regierende Deutschland-Koalition jetzt | |
| durchleuchtet sehen möchte. Die Grünen und Die Linke sehen darin den | |
| Versuch, Kulturkampf von rechts zu betreiben. | |
| Vergangene Woche haben SPD, CDU und FDP in die Bezirksversammlung den | |
| Antrag eingebracht, die Willi-Bredel-Gesellschaft „moderner, zukunftsfester | |
| und mit klarem Fokus auf die Geschichte des Stadtteils weiterzuentwickeln“. | |
| Dabei solle ebenso die Lebensgeschichte Bredels und seine Rolle in der DDR | |
| „kritisch-wissenschaftlich aufgearbeitet“ werden. Ohne eine solche | |
| Aufarbeitung werde ab 2027 die Förderung gestrichen. | |
| Nach Angaben der Grünen-Bezirksfraktion geht es dabei um fast 34.000 Euro | |
| für Miete, Betriebskosten und Personal. Isabel Permien, Sprecherin für | |
| Kulturpolitik, findet „diese politische Einmischung in die inhaltliche | |
| Arbeit einer durchaus streitbaren Kulturorganisation“ empörend. | |
| Fraktionschef Timo Kranz hält den Antrag für „nicht überraschend, liegt er | |
| doch auf einer Linie mit der Politik von Wolfram Weimer und Julia Klöckner“ | |
| – dem Kulturstaatsminister und der Bundestagspräsidentin (beide CDU). | |
| Willi [1][Bredel ist eine ambivalente Figur]. Er war als Namensgeber für | |
| die Geschichtswerkstatt prädestiniert, wurde er doch 1933/1934 selbst im KZ | |
| Fuhlsbüttel gequält, das im Bezirk Nord liegt. Bredel war verhaftet worden, | |
| weil er als Aktivist und Journalist für verschiedene kommunistische Blätter | |
| tätig gewesen war. Über seine [2][Erlebnisse in Fuhlsbüttel hat er einen | |
| erschütternden Roman geschrieben], der 1935 in London erschien. | |
| ## „Liquidation der Schädlinge“ | |
| Nach seiner Entlassung floh Bredel nach Moskau, um seinem Leben ein | |
| unrühmliches Kapitel hinzuzufügen. Vom 4. bis 9. September nahm er an einer | |
| Reihe nächtlicher Sitzungen teil, in denen sich die exilierten deutschen | |
| Schriftsteller gegenseitig auf ihre Linientreue überprüften. Wenige Tage | |
| zuvor hatte der erste der Moskauer Schauprozesse stattgefunden, mit denen | |
| Stalin Kader aus dem Weg räumen ließ, von denen er glaubte, dass sie ihm | |
| gefährlich werden könnten. | |
| Reinhard Müller, ehemaliger Mitarbeiter der Thälmann-Gedenkstätte Hamburg, | |
| [3][publizierte das Stenogramm der Schriftstellersitzungen 1991 in seinem | |
| Buch „Die Säuberung“], wo er es als ein „demaskierendes Lehrstück des | |
| stalinistischen Terrors“ vorstellt: „Da werden die Zugehörigkeit zu | |
| ‚Fraktionen‘, Häresien und Abweichungen von der ‚Generallinie‘ ebenso | |
| exorzistisch untersucht wie Wohnungsbesuche, Freundschaftsbeziehungen und | |
| gemeinsames Kartenspiel; da fordert selbst Georg Lukács die ‚Liquidation | |
| der Schädlinge‘.“ | |
| Bredel taucht in dem Dokument laufend auf – vor allem als Fragender und | |
| auch in einer längeren Stellungnahme, in der er sich zunächst selbst | |
| bezichtigt, nicht rechtzeitig Konterrevolutionäre unter den Schriftstellern | |
| in Moskau bloßgestellt zu haben. Er nennt dann sieben Namen, von denen | |
| mindestens sechs später ermordet wurden oder in der Haft umkamen. | |
| Während des Krieges machte Bredel Propaganda für die Sowjetunion und | |
| versuchte als Mitglied des Nationalkomitees Freies Deutschland | |
| Wehrmachtssoldaten zum Aufgeben zu bewegen. Nach dem Krieg, als Mitglied | |
| des Zentralkomitees (ZK) der SED, verriet er seinen Freund Walter Janka, | |
| nachdem dieser wegen angeblicher konterrevolutionärer Verschwörung | |
| verurteilt worden war. | |
| Grünen-Fraktionschef Kranz hält es für gerechtfertigt, Fragen zur Person | |
| Bredels zu stellen. „Ich würde erwarten, dass man sich in der | |
| Bredel-Gesellschaft kritisch mit dem Namensgeber auseinandersetzt“, sagt | |
| er. „Ich würde aber wenigstens vorher fragen, ob die das schon getan | |
| haben.“ CDU und SPD versichern, es habe mehrere Gespräche mit der | |
| Geschichtswerkstatt gegeben. Die Willi-Bredel-Gesellschaft will sich | |
| derzeit nicht äußern. | |
| Die Arbeit der Bredel-Gesellschaft unterscheidet sich Kranz’ Eindruck nach | |
| nicht wesentlich von der anderer Geschichtswerkstätten. Er vermisse | |
| Argumente, warum sie etwas ändern sollte, sagt Kranz. | |
| Der Fraktionschef der Grünen weist wie auch Rachid Messaoudi von der | |
| Fraktion der Linken darauf hin, dass die CDU noch nie der Förderung für die | |
| Willi-Bredel-Gesellschaft zugestimmt habe. Insofern komme der jetzige | |
| Vorstoß nicht überraschend. Die Grünen störe aber vor allem, „dass die SPD | |
| das einfach mitmacht“. Dabei habe sie sich jahrzehntelang nicht an diesem | |
| Namen gestört. | |
| Der jetzige Antrag sei ein völliges Novum. „Das gab es noch nie, dass so | |
| unverhohlen gedroht wurde: Ihr kriegt kein Geld mehr“, sagt Kranz. Seiner | |
| Meinung nach sollten Kultureinrichtungen frei sein in ihrer Arbeit. Der | |
| Staat habe sich da nicht einzumischen. | |
| Die Bezirkskoalition versichert, ihr gehe es um etwas anderes. Sie lobt das | |
| Engagement der Bredel-Gesellschaft für die Erhaltung der | |
| Zwangsarbeiterbaracken am Flughafen Fuhlsbüttel und die dortige | |
| Ausstellung. Das Arbeitsspektrum der Willi-Bredel-Gesellschaft sei jedoch | |
| viel schmaler als das vergleichbarer Geschichtswerkstätten, kritisiert | |
| SPD-Fraktionschefin Tina Winter. Deshalb sei eine Überprüfung und | |
| Weiterentwicklung geboten. | |
| ## Im ZK, als die Mauer gebaut wurde | |
| [4][In ihren Jahresberichten beschäftigt sich die Geschichtswerkstatt] zu | |
| einem Drittel bis zur Hälfte mit der Person Willi Bredels. Winter geht es | |
| darum, den Stadtteil in seiner Breite einzubeziehen und auch darum, eine | |
| neue Generation an die Arbeit heranzuführen. „Wir wollen eine | |
| Geschichtswerkstatt in Fuhlsbüttel, die auch in zehn Jahren noch | |
| funktioniert“, sagt Winter. | |
| Ähnlich sieht das ihr CDU-Kollege Martin Fischer. Die Anregung, die | |
| Geschichtswerkstatt von der Bredel-Gesellschaft zu entflechten, begründet | |
| er mit Bredels Wirken in der DDR. Bredel habe im ZK der [5][SED gesessen, | |
| als die Mauer gebaut wurde], und sei Präsident der Akademie der Künste | |
| gewesen. „Das stand nicht für eine freie Kultur“, sagt Fischer. | |
| Den Namen der Geschichtswerkstatt zu hinterfragen, sei mitnichten Ausdruck | |
| eines Kulturkampfes, versichert Fischer. Sonst müsste ja die von den | |
| Grünen, der SPD und der Linken durchgesetzte [6][Umbenennung der | |
| Hindenburgstraße im Bezirk als Kulturkampf von links] gelten, sagt er. | |
| 16 Dec 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Vom-Arbeiter-zum-Schriftsteller/!1175117&s=Willy+Bredel/ | |
| [2] /NS-Widerstandsroman-Die-Pruefung/!6030440 | |
| [3] https://ulis-buecherecke.ch/Neue%20Eintr%C3%A4ge%202024/die_saeuberung.pdf | |
| [4] https://bredelgesellschaft.de/ | |
| [5] /Historikerin-ueber-Frauen-und-die-DDR/!6132109 | |
| [6] /Hindenburgstrasse-in-Hamburg/!5984611 | |
| ## AUTOREN | |
| Gernot Knödler | |
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