| # taz.de -- Druck auf Studierende in Russland: Medizinisches Zwangspraktikum im… | |
| > Angehende Ärzt:innen sollen einen Teil ihrer Ausbildung in von Moskau | |
| > annektierten ukrainischen Gebieten absolvieren. Weigern sie sich, drohen | |
| > Strafen. | |
| Bild: In Russland ist das Lohnniveau in medizinischen Berufen sehr gering | |
| Grund, frustriert zu sein, haben Menschen in Russland zur Genüge. Einer | |
| davon ist das geringe Lohnniveau in medizinischen Berufen, die eine lange | |
| Ausbildung erfordern. Ziemlich unzufrieden, um nicht zu sagen regelrecht in | |
| Rage, sind derzeit Studierende der Medizin. | |
| Hochemotional reagierten viele von ihnen auf Pläne der russischen | |
| Regierung, die Zeit der Facharztausbildung in die Länge zu ziehen und | |
| angehende Ärzt:innen zu verpflichten, bis zu drei Jahre in Krankenhäusern | |
| unter der Aufsicht von Mentor:innen Dienst zu tun, ohne sich den | |
| Einsatzort selbst aussuchen zu können. | |
| Wer Pech hat, landet in den von Russland annektierten ukrainischen | |
| Gebieten. Das erinnert an sowjetische Praktiken. Mittels horrender Strafen | |
| sollen die Betroffenen zudem davon abgehalten werden, sich den gesetzlichen | |
| Vorgaben zu entziehen. Am 11. November verabschiedete die Duma das Gesetz, | |
| keine Woche später setzte Präsident Wladimir Putin seine Unterschrift | |
| darunter. | |
| In auf Tiktok und Instagram geteilten Videos ließen vor allem | |
| Medizinstudentinnen ihrem Unmut freien Lauf. Über 232.000 Likes finden sich | |
| unter dem Beitrag von Anastasia Dorochowa, deren unverblümte Offenheit wie | |
| eine persönliche Abrechnung mit dem vom Kreml über lange Jahre propagierten | |
| idealen Karriereweg einer staatsloyalen jungen Generation klingt. | |
| ## In der ersten Reihe | |
| „Ich halte mich bei allem an traditionelle Werte“, erklärte sie ihrem | |
| Publikum. Zu Schulzeiten habe sie vorbildlich alle Etappen des | |
| außerschulischen Bildungs- und Erziehungsprogramms durchlaufen, dreimal | |
| nahm sie dank ihrer Erfolge in der ersten Reihe an Fernsehauftritten mit | |
| Wladimir Putin teil. | |
| Sie habe einen Berufssoldaten geheiratet, aber weil ihr Mann kaum etwas | |
| verdiene, sorge sie selbst mit einem studienbegleitenden Job in einer | |
| medizinischen Einrichtung für beider Unterhalt. „Ich wollte so sehr eine | |
| große Familie und war mir sicher, dass ich das bis zum Ende meines Studiums | |
| hinbekomme.“ | |
| Doch daraus wird wohl erst einmal nichts. Nach den neuen Regelungen werde | |
| sie erst mit 30 ihre Ausbildung abschließen, so Anastasia. Kinder kriegen – | |
| das könne sie sich bis dahin gar nicht leisten. „Dabei schreien sie immer | |
| lauthals: ‚Bekommt Kinder!‘“ | |
| Jewgenija, die im dritten Jahr Medizin studiert, echauffierte sich, dass | |
| sie für ihr kostenpflichtiges Studium umgerechnet bereits über 10.000 Euro | |
| bezahlt habe und der Staat ihr die Zukunft raube, obwohl er in ihre | |
| Ausbildung keine Kopeke investiert habe. | |
| ## Video gelöscht | |
| In der ersten Aufregung ließ die St. Petersburger Studentin Taja Borsilowa | |
| verlauten, ihr Studium wegen des „idiotischen Gesetzes“ im fünften Jahr | |
| abzubrechen. Wenig später löschte sie das Video und sprach anschließend | |
| eine vom Blatt abgelesene Entschuldigung. Ärztliches Fachpersonal wiederum | |
| schickte haufenweise Beschwerdebriefe an die Präsidialverwaltung, denn die | |
| russische Verfassung garantiere, den Arbeitsort selbst wählen zu dürfen. | |
| Über Emotionen diskutiere er nicht, antwortete der Vorsitzende des | |
| Duma-Gesundheitsausschusses, Sergei Leonow, dem Moskauer Nachrichtenportal | |
| MSK1. Außerdem habe er bei Treffen mit Studierenden keinerlei | |
| Negativreaktionen erlebt, man müsse nur die richtigen Worte finden. | |
| Unlängst veröffentlichte die russische Tageszeitung Kommersant Einzelheiten | |
| aus den gesetzlichen Ausführungsbestimmungen des Gesundheitsministeriums. | |
| Darin heißt es, ein dreijähriges Praktikum unter Aufsicht sei nur für | |
| wenige Fachrichtungen, wie beispielsweise in der Chirurgie oder | |
| Krebsbehandlung, vorgesehen. | |
| Für andere Bereiche gelten kürzere Pflichtzeiten, für Arbeitseinsätze in | |
| ländlichen Regionen oder [1][den annektierten ukrainischen Gebieten Donezk, | |
| Luhansk, Cherson und Saporischschja] nur jeweils die Hälfte der sonst | |
| üblichen Praktikumsdauer im Rest des Landes. | |
| ## Keine Approbation | |
| Es mag sein, dass die studentische Kritik im Vorlauf der Abstimmung in der | |
| Duma doch gehört wurde. Am vorgesehenen Prinzip ändert sich hingegen nichts | |
| – ohne Zwangspraktikum keine ärztliche Approbation. Wer auf Staatskosten | |
| studiert, muss in den ersten beiden Semestern einen Vertrag mit einem | |
| Krankenhaus über die Zeit der Facharztausbildung abschließen und bei | |
| Nichtantritt die Ausbildungskosten plus eine Strafe entrichten. | |
| 78.000 Medizinabsolvent:innen gab es in diesem Jahr. In der Regel | |
| entscheiden sich nach dem Studium über ein Drittel davon, nicht im schlecht | |
| bezahlten staatlichen Gesundheitssektor zu arbeiten. Mit den neuen | |
| Maßnahmen, die ab März 2026 gelten, will die Regierung das Defizit von | |
| 23.000 Ärzt:innen ausgleichen. Attraktiver machen sie den Beruf | |
| allerdings nicht. | |
| 3 Dec 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Vera Bessonova | |
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