| # taz.de -- Montgomery-Fotoausstellung in Hamburg: Sein cineastischer Blick auf… | |
| > Schmerzhaft verdichtet zeigt der Fotograf Philip Montgomery auf seinen | |
| > Bildern die Zustände in den USA. Zu sehen ist das in einer großen | |
| > Hamburger Schau. | |
| Bild: Ein überschwemmtes Wohnzimmer nach Hurrikan „Harvey“: „Piano“, H… | |
| Man könnte sie Zeugen der Anklage nennen: Fotos, die nicht schreien oder | |
| lamentieren, sondern schlicht dokumentieren, was sich derzeit zuträgt in | |
| den USA. Auf verschiedenste Schauplätze hat sich der | |
| mexikanisch-amerikanische Fotograf Philip Montgomery dafür begeben, einer | |
| der renommiertesten Dokumentarfotografen der USA derzeit, der regelmäßig im | |
| New York Times Magazine und im New Yorker publiziert. | |
| Jetzt gilt ihm [1][in Hamburgs Deichtorhallen die erste große | |
| institutionelle Einzelausstellung] „weltweit“, wie es in der | |
| Pressemitteilung heißt. Mit 110 seit 2014 entstandenen, teils | |
| erstveröffentlichten Fotos. | |
| „American Cycles“ hat der heute 37-jährige Montgomery die Schau genannt, | |
| die sich mit Rassismus, Wirtschaftskrisen und Umweltkatastrophen befasst, | |
| wiederkehrende Stereotype der weißen Mehrheitsgesellschaft fest im Blick. | |
| Er habe sich bei seinen bewusst schwarz-weißen Fotos an [2][Gangsterfotos | |
| der 1930er Jahre orientiert], sagt Montgomery. „Ich will zeigen, welches | |
| Verbrechen derzeit in den USA passiert.“ Umgesetzt hat er das in Bildern, | |
| die wie Filmstills wirken, Bewegungen im Moment einfangen und so für die | |
| Ewigkeit mumifizieren: eine Endlosschleife, analog zur anhaltenden | |
| Polizeigewalt in den USA. | |
| Montgomery übt einen cineastischen Blick, der die Fotos inszeniert wirken | |
| lässt. Aber das sind sie nicht – sondern die schmerzhaft verdichtete | |
| Realität des Augenblicks. Wobei das schockierendste Foto der Schau | |
| beiläufig mittendrin hängt: Ein totes Pferd liegt im Vordergrund, | |
| ausgemergelt und noch an seinen Pflock gebunden. Weiter hinten laufen vier | |
| Männer orientierungslos durch die ausgedörrte Landschaft. Man denkt an eine | |
| fiktive, grausige Wildwest-Szene. | |
| ## Ein Foto von Trumps Grenzmauer | |
| Diese Ambivalenz ist gewollt. Man wundert sich, und der Dialog mit dem Bild | |
| kann beginnen. In Wahrheit suchen die Männer nach Angehörigen, die immer | |
| wieder in der Grenzregion zwischen Mexiko und den USA verschwinden. Sie | |
| werden Opfer organisierter Kriminalität – einer von vielen Gründen für die | |
| von Präsident Trump vehement bekämpfte Migration. Daneben hängt das Foto | |
| eines Abschnitts von Trumps staatlich finanzierten Grenzmauer. | |
| Um Grenzüberschreitungen eines toxisch agierenden Staatsapparats geht es | |
| auch auf Fotos der Proteste gegen die Erschießung der Schwarzen Michael | |
| Brown (2014) und [3][George Floyd (2020) durch weiße Polizisten]. Die | |
| Bilder bezeugen die strukturell rassistische Gewalt, die sich bei den | |
| Protesten fortsetzt: Da liegt ein Schwarzer Protestler am Boden, dem ein | |
| Weißer eine weiße, vermutlich schädliche Flüssigkeit ins Gesicht schüttet. | |
| Anderswo, in einem nur scheinbar anderen Kontext: ein Porträt des schwarzen | |
| Polizisten Dominick Tricoche, der sich 2021 [4][dem Sturm aufs Kapitol] | |
| entgegenstellte und von Trumps Anhängern giftige Chemikalien ins Auge | |
| bekam. | |
| Wobei es als repräsentativ gelten kann, dass in dieser Ausstellung die | |
| schwarzen Opfer überwiegen – auch bei der Zwangsräumung einer Familie, | |
| organisiert von einer Firma, die mit „problemloser Räumung“ warb. | |
| Entsprechend brutal tritt der Wachmann gegen die Treppe des Hauses, als | |
| wolle er eigentlich die Bewohner (weg)treten. | |
| ## Voyeurismus bleibt tabu | |
| Andere Fotos zeigen Menschen nach Hurrikans und Überschwemmung, knietief im | |
| Wasser oder zwischen verschlammten Möbeln. Tote zeigt Montgomery nie, | |
| Voyeurismus bleibt tabu. Sie hat die Hände vors Gesicht geschlagen, die | |
| schwarze Frau, die nach der Flucht ins Frauenhaus eigentlich eine größere | |
| Wohnung bekommen hat und mit ihren vier Kindern weiter in einem Zimmer | |
| wohnt. Die Enge ist Schutzschild geworden, das Gewalttrauma wirkt nach. | |
| All diese Szenen stehen exemplarisch für die Folgen struktureller Gewalt, | |
| des Staatsversagens in jeglicher Form. Da ist ein Zimmerboden mit Socken | |
| und einem umgestürzten Stuhl – und erst spät bemerkt man den Arm eines | |
| Toten. Wieder so ein beiläufiger Schock, der den Blick schärft. | |
| Auch dieses Foto wirkt wie ein sorgsam arrangiertes Stillleben. Aber die | |
| Szene ist real und das Foto ein Verweis auf die nur langsam auslaufende, | |
| seit 90ern Hunderttausende Tote fordernde Opioid-Krise in den USA. Die | |
| Ursache: wider besseres Wissen von Pharmakonzernen beworbene, massig | |
| verschriebene Fentanyl-Schmerzmittel, die süchtig machen und oft zum | |
| Umstieg auf harte Drogen führen. | |
| Unauffällig wirkt auch die Zusammenkunft einiger Männer auf einem | |
| Golfplatz, wie man zunächst glaubt. Der zweite Blick zeigt: Sie tragen | |
| Gewehre und „sichern“ nach allen Seiten. Einer lächelt, als habe er gerade | |
| einen Treffer gelandet. Es sind Mitglieder einer Kampftruppe um Stewart | |
| Rhodes, den Gründer der rechtsextremen Oath Keepers. Er zählt [5][zu den | |
| Organisatoren des Sturms auf das Kapitol 2021]. | |
| ## Ein Raumschiff, das längst jemand anderes steuert | |
| Auch die idyllische Siedlung mit der jungen Frau in Rückenansicht täuscht: | |
| Denn die Frau, Trumps Wahlkampfhelferin von 2024, zeigt ihr Pistolen-Tattoo | |
| am Rücken. Sie muss es dem Fotografen stolz präsentiert haben. Für | |
| kritische Geister wie Montgomery ist das letztlich eine bedrohliche Geste. | |
| Dann gibt es noch die mit scharfem Licht arbeitenden Innenraum-Fotos, die | |
| so eigenartig strukturiert sind. Auf der Entzugsstation einer JVA in Ohio | |
| sieht man Menschen, die – so individuell wie anonym den Raum bevölkernd – | |
| ähnlich choreografiert sind wie die Figuren des Bauhaus-Künstlers Oskar | |
| Schlemmer. | |
| Auch die vor Bildschirmen erstarrten Angestellten der New Yorker Börse | |
| scheinen im Spotlight surreal. Auf sich stetig verselbstständigende | |
| Algorithmen starrend, wirken sie wie in einem Raumschiff, das längst jemand | |
| anders steuert. | |
| 11 Dec 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.deichtorhallen.de/de/ausstellungen/philip-montgomery/ | |
| [2] /Roman-ueber-Fotografin-Gerda-Taro/!5682474 | |
| [3] /Satire-ueber-polarisierte-Gesellschaft/!6123958 | |
| [4] /Bildsprache-im-Sturm-auf-das-Kapitol/!5826575 | |
| [5] /Nach-dem-Sturm-auf-das-US-Kapitol/!5738598 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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