| # taz.de -- Satire „Eddington“: Ein Film ohne Helden | |
| > Wer verrennt sich wo? In der Filmsatire „Eddington“ seziert Ari Aster die | |
| > extreme gesellschaftliche Polarisierung in den USA während der | |
| > Covidpandemie. | |
| Bild: Wo der Sheriff noch den Hut auf hat: Joe Cross (Joaquin Phoenix) in „Ed… | |
| Ganz zu Beginn von „Eddington“ betritt der Sheriff jener fiktiven Stadt im | |
| US-Bundesstaat New Mexico, die Ari Asters Film ihren Namen gibt, einen | |
| Supermarkt – ohne Maske. Heute würde das niemanden mehr stören, zum | |
| Zeitpunkt der Filmhandlung, Ende Mai 2020, sorgt das dagegen selbst im | |
| konservativen Amerika für Irritationen. | |
| Doch bevor Querdenker und solche, die immer noch glauben, dass Corona eine | |
| von der Pharmaindustrie inszenierte Verschwörung war, ins Kino stürmen, da | |
| hier scheinbar endlich mal ein Filmemacher die absurden Coronaregeln | |
| entlarvt: So einfach macht es Ari Aster sich und dem Publikum | |
| selbstverständlich nicht. | |
| Genauso wenig wie es sich Luca Guadagnino und Giorgos Lanthimos in ihren | |
| zuletzt ebenfalls in Deutschland gestarteten Filmen [1][„After the Hunt“] | |
| und [2][„Bugonia“] leicht gemacht haben. Statt eindeutiger Positionen | |
| wählten alle drei Regisseure Ambivalenz; statt klare Antworten zu geben, | |
| stellen sie Fragen und sezieren in ihren filmischen Versuchsanordnungen die | |
| extreme Polarisierung, die nicht nur die US-amerikanische, sondern auch die | |
| meisten anderen westlichen Gesellschaften zunehmend plagt. | |
| ## Ein abgehalfterter Typ | |
| Polarisierung wegen der Covidepidemie bestimmt auch die Figurenanordnung in | |
| „Eddington“: Auf der einen Seite steht Sheriff Joe Cross, gespielt von | |
| Joaquin Phoenix, ein abgehalfterter Typ, der seinen Job mehr schlecht als | |
| recht erledigt und den Alltag zu Hause mit zwei komplizierten Frauen | |
| zubringt: Seine von psychischen Problemen geplagte Frau Louise (Emma Stone) | |
| und deren alternde Mutter Dawn (Deidre O’Connell). Dawn wird im Internet | |
| von bizarren Verschwörungstheorien getriggert. | |
| Sein Gegenpol heißt Ted Garcia (Pedro Pascal), Bürgermeister der Stadt, | |
| jovial und gutaussehend, lässig und mit seinem Leben und vor allem mit sich | |
| selbst mehr als zufrieden. | |
| Aus dieser Grundkonstellation entwickelt Aster eine zunehmend absurde, | |
| exaltierte Satire, die an einem schwarzen Tag der jüngeren US-Geschichte | |
| eskaliert, am 25. Mai 2020. An diesem Tag kam in Minneapolis der Schwarze | |
| George Floyd durch brutale Polizeigewalt ums Leben, im Gegensatz zu vielen | |
| anderen ähnlichen Taten gefilmt von mehreren Handykameras. Trotz der | |
| Einschränkungen durch die Pandemie kam es in der Folge zu landesweiten | |
| Protesten, die der bereits existierenden Black-Lives-Matter-Bewegung | |
| weiteren Zulauf bescherten – teils von weißen Demonstranten angeführt. | |
| ## Unter die Nase gerutscht | |
| Für diese selbst ernannten Tugendwächter, die gerade auch gerne Schwarzen | |
| Amerikanern vorschreiben wollen, wann und wie sie zu protestieren haben, | |
| hegt der Regisseur wenige Sympathien. Das zeigt [3][Ari Aster] in einer der | |
| pointiertesten Szenen von „Eddington“: Eine weiße Demonstrantin mit unter | |
| die Nase gerutschter Maske schreit einen Schwarzen Polizisten an und | |
| fordert ihn auf, sich den BLM-Protesten anzuschließen. | |
| „Ich weiß, ich habe keinen Rassismus erfahren, das ist nicht mein Kampf, | |
| ich bin heuchlerisch“, schreit sie zunehmend hysterisch, bis schließlich | |
| ein weiterer, ebenfalls weißer Demonstrant den Schwarzen Polizisten | |
| auffordert, niederzuknien, „Take a knee“, so wie es der US-Football-Profi | |
| Colin Kapernick aus Protest bei einem Spiel vormachte. Selten wurden | |
| Überheblichkeit und übergriffiges Verhalten zeitgenössischer | |
| Protestbewegungen so präzise auf den Punkt gebracht wie hier. | |
| Aber um das noch einmal zu betonen: Aster schlägt sich auf keine der vielen | |
| Seiten in diesem zweieinhalbstündigen ausufernden Filmexzess. Weder der | |
| nominelle Protagonist Joe Cross lässt sich als Sympathiefigur verstehen | |
| (erst recht nicht nach seinen im Fieberwahn begangenen Morden), noch der | |
| liberale, weltoffene Bürgermeister Ted Garcia. | |
| ## Alle bekommen ihr Fett weg | |
| Auch wenn dieser als Mann lateinamerikanischer Herkunft (gespielt von Pedro | |
| Pascal, einem der aktuellen Hollywood-Darlings) im gerne zur schematischen | |
| Zuordnung neigenden US-Kino eigentlich als Held prädestiniert wäre; sowohl | |
| linke Demonstranten, als auch die rechten Verschwörer bekommen ihr Fett | |
| weg. Zum Ende artet „Eddington“ in ein blutrünstiges Gemetzel aus. | |
| In Ari Asters USA scheinen sämtliche Seiten den Verstand verloren zu haben, | |
| ist längst jede Spur von Vernunft und Gelassenheit abhanden gekommen, hat | |
| die Polarisierung der Gesellschaft ihren blutigen Tiefpunkt erreicht. | |
| Ähnlich wie in Giorgos Lanthimos Satire „Bugonia“, die es sich ebenfalls | |
| verkneift, in ihrem Rededuell zwischen einem Verschwörungstheoretiker und | |
| der Chefin eines Pharmakonzerns einseitig Partei zu ergreifen oder wie in | |
| Luca Guadagninos Thriller „After the Hunt“, in dem es die #Metoo-Bewegung | |
| ist, die Ausgangspunkt eines ambivalenten Dramas ist, in dem nicht | |
| selbstverständlich einem möglichen Opfer sexueller Übergriffe Vertrauen | |
| geschenkt wird. | |
| ## Am Ende ein Gewaltexzess | |
| Drei Filme von drei der interessantesten Regisseure des zeitgenössischen | |
| Kinos, drei teure Produktionen, deren Besucherzahlen in den US-Kinos | |
| deutlich hinter den Erwartungen zurückblieben. Die Vermutung liegt nahe, | |
| dass das zumindest zum Teil daran liegt, das auf den jeweiligen Feldern | |
| beim Kulturkampf keine klare Position bezogen wird, das beiden Seiten Gehör | |
| geschenkt wird oder – im Falle von Ari Asters „Eddington“ – beide Seiten | |
| als problematisch beschrieben werden und am Ende ein Gewaltexzess steht. | |
| Ein gewisses Maß an Hoffnungslosigkeit mag man hier konstatieren, ein | |
| unbestimmtes, ungutes Gefühl, dass die Polarisierung der nicht nur | |
| US-amerikanischen Gesellschaft inzwischen ein Maß erreicht hat, bei dem ein | |
| Überwinden der Gräben kaum möglich scheint. Sich angesichts der Zustände | |
| der westlichen Welt in brachialen Zynismus zu flüchten, mag zwar | |
| langfristig wenig sinnvoll erscheinen, zumindest kurzfristig sorgt es für | |
| großes Vergnügen. | |
| 16 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /After-the-Hunt-von-Luca-Guadagnino/!6116847 | |
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| [3] /Horrorkomoedie-Beau-Is-Afraid-im-Kino/!5930532 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Meyns | |
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