| # taz.de -- Rapper Doku auf Netflix: Mit Haftbefehl wird es nicht langweilig | |
| > Die vermeintliche Authentizität und die Inszenierung seines Absturzes | |
| > lassen viele Fragen zu der Dokumentation über den Rapper Haftbefehl | |
| > aufkommen. | |
| Bild: Der Rapper Haftbefehl bei einem Konzert in Gießen im November 2025 | |
| Bekanntlich ist jede Art des Schreibens erlaubt, nur nicht die langweilige. | |
| Das gilt für Filme ebenso, erst recht für Dokumentarfilme. „Babo – Die | |
| Haftbefehl-Story“ scheint insofern alles richtig zu machen. Die Doku über | |
| den Rapper Aykut Anhan alias Haftbefehl (oder „Babo Haft“ oder „Hafti“) | |
| hält sich seit Wochen auf den obersten Plätzen der deutschsprachigen | |
| Netflix-Charts. | |
| Die ARD hat mehrfach berichtet, das ZDF zog nach, brachte letzten Samstag | |
| zur besten Sendezeit einen Beitrag zum [1][Diskurs um Film und Mann, | |
| inklusive der Begriffe „schonungslos“], „Absturz“ und „Selbstzerstör… | |
| Ein bisschen säuerlich wirken die Öffentlich-Rechtlichen schon – anstatt | |
| die schwindenden Zuschauer:innen auf eine Dokumentation in den eigenen | |
| Programmen aufmerksam machen zu können, müssen sie auf einen Streamer | |
| hinweisen. | |
| ## Doku für den Schulunterricht? | |
| Fleißig wird sich darum mit Anlassverschiebung geholfen – es geht in den | |
| Berichten weniger um den Film selbst, sondern um den Vorschlag einiger | |
| Schulen, Haftbefehl, seine Texte und den Film im Unterricht zu behandeln, | |
| sowie die Weigerung des CDU-geführten hessischen Kultusministeriums, das zu | |
| tun. Oder es werden Suchtexpert:innen geschaltet, die Babos | |
| habituierten Drogenkonsum analysieren, warnen und Auswege benennen. | |
| Den Netflix-Film selbst schauen derweil viele Menschen, die weder „Street | |
| Credibility“, noch etwas mit Rap oder Deutschrap am Hut oder der | |
| Baseballcap haben. Diskutiert wird fleißig auf allen Ebenen: Ist das ein | |
| Werk, das einen Menschen „schonungslos“ bei der „Selbstzerstörung“ zei… | |
| Glorifiziert es den „Absturz“ in manipulativen Bildern, | |
| bühnennebelumwaberten Slowmos? | |
| Ist die Doku frauenfeindlich, weil Haftis Partnerin in „Stand by Your | |
| Man“-Manier die drogeninduzierten Probleme ihres Mannes erträgt? Oder ist | |
| die „Babo“-Story in ihrer vermeintlichen Authentizität nicht ehrlich genug, | |
| weil sie die Gnadenlosigkeit der Musikindustrie nicht wirklich aufdeckt? | |
| Dürfen überhaupt Menschen über Babo, seine Szene und Attitude urteilen, die | |
| nicht seit mindestens 15 Jahren rappen – und [2][am besten aus Offenbach | |
| stammen, so wie Hafti?] | |
| ## Sensationalistische Sequenzen | |
| Womit man wieder bei der Frage der Langeweile wäre. Ennuyant ist der Film | |
| tatsächlich nicht. Seine tendenziösen, zuweilen sensationalistischen | |
| Sequenzen funktionieren genauso, wie solche Sequenzen immer funktionieren; | |
| für Babo selbst, der waidwund als angeschossener Grizzly durch den Film | |
| tapert, entwickelt man in kürzester Zeit eine Riesenmenge Empathie, für | |
| seine Frau ebenfalls. | |
| Das vielleicht größte Verdienst der Doku ist es, das Selbstverständliche zu | |
| benennen. Jede:r Größenwahnsinnige, jeder Zampano, jeder Wortheld war | |
| einst ein kleines, süßes Mäuschen, das [3][vom (Fehl-)Verhalten seiner | |
| Eltern geprägt wurde.] | |
| Auch die Öffentlich-Rechtlichen haben schon Hip-Hop- und Rap-Filme und | |
| -Serien in Auftrag gegeben, im nächsten Jahr soll [4][das Leben des Rappers | |
| Xatar] im NDR zu sehen sein. In der ARD-Mediathek gibt es zudem | |
| „HipHop-Highlights“, dazu gehört der aus dem Jahr 2021 und der ARD-Sendung | |
| „titel, thesen, temperamente“ stammende, 19-minütige Beitrag „Ein Tag mit | |
| Haftbefehl“. | |
| ## Der „Heimatmusiker“ | |
| Er beginnt mit einem Schwenk vom Hochhaus auf die Straße, dazu serviert | |
| eine sonore Off-Stimme einen klassischen Auftakt: „Das Frankfurter | |
| Bahnhofsviertel. Wir sind verabredet mit einem, der hier so was wie ein | |
| Heimatmusiker ist – Haftbefehl“. | |
| Von Anfang an setzt man auf die übliche, journalistische Distanz zum | |
| Porträtobjekt Babo, der noch schlank, (koksig) selbstbewusst und lustig | |
| wirkt. Lustig und bezeichnend ist auch das Ende des Stücks. Babo ruft auf | |
| Lautsprechermodus einen Kumpel an und erklärt, gerade vom ZDF gefilmt zu | |
| werden. „Ich liebe ZDF!“, behauptet der. „Sag mal lieber ARD …“, hör… | |
| die Reporterstimme im Off. Das Verhältnis zwischen Babo und den | |
| Öffentlich-Rechtlichen beruht eben auf Gegenseitigkeit: Man kennt sich | |
| schlichtweg nicht so gut. | |
| 29 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
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| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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